Flüchtlingskrise:Angela Merkel wankt nicht

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Angela Merkel kurz vor ihrer Erklärung zu den Anschlägen von Paris (Foto: AP)

Nach der Terrorattacke in Paris fordern Angela Merkels Kritiker in der Union eine Korrektur der Flüchtlingspolitik. Die Kanzlerin bleibt unbeirrt.

Von Robert Roßmann, Berlin

Markus Söder ist kein Mann, der Boxhandschuhe links liegen lässt. Der Mann kämpft gerne - vor allem dann, wenn er die Chance auf einen schnellen Punktgewinn sieht. Skrupel hat er dabei selten. Insofern war es nicht erstaunlich, dass Söder unter den ersten war, die wegen der Pariser Anschläge einen Kurswechsel in der Flüchtlingspolitik verlangten. Die Toten waren noch nicht einmal alle identifiziert, da war der bayerische Finanzminister schon mit seinen Forderungen auf dem Nachrichtenmarkt. "Paris ändert alles", sagte der CSU-Politiker, die Zeit der unkontrollierten Zuwanderung müsse jetzt "endlich vorbei sein". Söders Vorstoß allein müsste Merkel noch nicht den Angstschweiß auf die Stirn treiben. Er ist bisher nur einer von 16 Landesfinanzministern. Doch die Kanzlerin muss die Sorge haben, dass Söder ausspricht, was viele an der Unionsbasis gerade denken.

Dass Bayerns Finanzminister tatsächlich nicht allein steht, zeigte sich dann schnell. CSU-Chef Horst Seehofer beklagte zwar, dass Söder am Wochenende Merkel auch persönlich kritisiert hatte. Es sei "eine völlig unangemessene Reaktion" in diesen Stunden, in denen alle Demokraten zusammenstehen müssten, "die Kanzlerin in den Fokus der Kritik zu nehmen", sagte Seehofer. In der Sache unterschied sich der CSU-Chef aber kaum von Söder. Die Anschläge von Paris seien "der 11. September für Europa", sagte der Ministerpräsident. Er forderte die sofortige Verschärfung der Kontrollen an der bayerisch-österreichischen Grenze; die bisher auf einzelne Orte beschränkten Kontrollen müsse es künftig an sämtlichen Übergangsstellen geben. Auch der Bundesratspräsident, Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU), verlangte indirekt eine Kurskorrektur Merkels. "Eine unkontrollierte Einreise darf es nicht mehr geben" - gerade im Lichte der Ereignisse in Frankreich, sagte Tillich. Die beiden Ministerpräsidenten forderten damit praktisch dasselbe wie Söder - nur moderater im Ton.

Aber was bedeutet das jetzt alles für den Kurs der Kanzlerin?

Merkel war ja bereits in den vergangenen Wochen in ihrer Partei enorm unter Druck geraten. Spätestens am vergangenen Montag wurde offensichtlich, dass ihr die Kontrolle über die Flüchtlingspolitik zu entgleiten droht. Präsidium und Vorstand der CDU stellten sich ausdrücklich hinter den restriktiveren Kurs von Thomas de Maizière - und damit gegen Merkel. Ihr blieb nichts anderes übrig, als im Konflikt mit dem Innenminister beizudrehen.

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Die Kanzlerin gehört nicht zu den Politikern, die es in Talkshows drängt, Merkel ist derlei eher zuwider. Dass sie am Freitagabend zum ZDF ging, um ihren Kurs zu rechtfertigen, war deshalb eher ein Eingeständnis der Schwäche. Wer glaubt, sich erklären zu müssen, hat erkannt, dass er in die Defensive geraten ist. Merkel verteidigte dann aber trotz aller Widerstände überraschend deutlich ihren bisherigen Kurs. "Jeder, der zu uns kommt, hatte einen Grund zu fliehen", sagte Merkel in der Sendung. "Natürlich" werde sie an ihrer bisherigen Haltung festhalten. Außerdem gelte: "Die Bundeskanzlerin hat die Lage im Griff."

Zumindest für Merkels Anhänger war es ein beeindruckender Auftritt. Doch im nachhinein betrachtet hätte das Timing kaum unglücklicher sein können. Keine 90 Minuten nach dem Ende der Sendung begannen die Anschläge von Paris. Und niemand hatte mehr das Gefühl, dass irgendjemand alles im Griff habe.

Merkel war nach der Aufzeichnung der Sendung ins Kanzleramt gefahren, um sich mit Seehofer, Unionsfraktionschef Volker Kauder, Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU) und CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt auszutauschen. Es war das erste der vierzehntäglichen Mini-Gipfeltreffen der Union zur Flüchtlingspolitik, die Seehofer durchgesetzt hatte, um persönlich eingebunden zu sein. Bereits während der Sitzung liefen die ersten Meldungen aus Paris ein. Merkel informierte ihre Gesprächspartner kurz vor Ende des Treffens gegen 23 Uhr über den neuesten Stand. Da war die ganze Dramatik der Ereignisse aber noch nicht klar. In den Berichten war erst von 18 Toten die Rede. Wie schrecklich und zahlreich die Angriffe waren, wurde den Unionsgranden erst zu Hause bewusst.

Am Samstagmorgen meldete sich dann die Kanzlerin als Erste zu Wort. "Hinter uns liegt eine der schrecklichsten Nächte, die Europa seit langer Zeit erlebt hat", sagte Merkel. Die Menschen in Paris hätten "einen Albtraum von Gewalt, Terror und Angst durchleiden" müssen. "Wir, die deutschen Freunde, wir fühlen uns Ihnen so nah - wir weinen mit Ihnen", sagte die Kanzlerin. Der "Angriff auf die Freiheit" gelte nicht nur Paris, er treffe "uns alle". Und deswegen würden "wir auch alle gemeinsam die Antwort geben". Deutschland werde "alles tun, um bei der Jagd auf die Täter und Hintermänner zu helfen und gemeinsam den Kampf gegen diese Terroristen zu führen". Doch dann betonte Merkel auch: "Wir wissen, dass unser freies Leben stärker ist als jeder Terror - lassen Sie uns den Terroristen die Antwort geben, indem wir unsere Werte selbstbewusst leben."

Es war eine eindringliche Erklärung, aber auch eine Erklärung, die vielen in der CSU und manchem in der CDU nicht ausreichte.

Sie hatten sich wenigstens die Andeutung einer Kurskorrektur erhofft. Faktisch mag das absurd sein. Schließlich ist der überwältigende Teil der syrischen Asylbewerber genau vor dem Terror nach Deutschland geflohen, der jetzt Paris heimgesucht hat. Aber in der politischen Auseinandersetzung geht es nicht nur um Fakten. Es geht auch um Stimmungen und Ängste. Am Wochenende verglichen einige die Lage nach Paris mit der Situation nach Fukushima. Nach dem Gau in dem japanischen Atomkraftwerk stieg Merkel aus der Kernenergie aus, obwohl in Deutschland keine Meiler von Tsunamis bedroht sind. Die Stimmung in der Bevölkerung war aber so, dass die Kanzlerin keine andere Möglichkeit mehr sah, als trotzdem Konsequenzen zu ziehen. Derlei könnte jetzt auch passieren, hoffen zumindest viele in der CSU. Schon vor den Anschlägen von Paris lehnte eine Mehrheit der Deutschen Merkels Flüchtlingspolitik ab. Die Attentate dürften das Vertrauen in die Position der Kanzlerin zumindest nicht verstärkt haben.

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Söder nutzte die Anschläge deshalb zum Angriff. "Zur dringend notwendigen Klärung der Sicherheitslage in Deutschland müssen wir wissen, wer bereits im Land ist und wer zu uns kommt", sagte er der SZ. Deshalb müsse "die Sicherung der Grenzen deutlich verstärkt werden". Das gelte "besonders für die grüne Grenze, die derzeit de facto nicht kontrolliert wird". Es gebe "keinen Generalverdacht gegen Flüchtlinge", beteuerte Söder, "aber wir dürfen auch nicht zulassen, dass Terroristen die offene Balkanroute für ihre Zwecke nutzen".

Wie der Streit über die Flüchtlingspolitik ausgehen wird, ist noch unklar. Am Wochenende sprangen Merkel prominente CDU-Politiker bei, unter ihnen die stellvertretenden Parteichefs Julia Klöckner und Armin Laschet. Auch de Maizière instrumentalisierte die Anschläge von Paris nicht - im Gegenteil. Der Minister beeindruckte auch viele Sozialdemokraten und Grüne mit einem besonnenen Statement. Ähnlich wie nach den Pariser Anschlägen vom Januar verzichtete de Maizière auf jede Form des Alarmismus. Außerdem bat er eindringlich darum, "keinen Bogen" zwischen den Pariser Anschlägen und der Diskussion über den Umgang mit Flüchtlingen zu schlagen. Es war eine überraschend deutliche Parteinahme - gegen viele CSU-Politiker und für die Kanzlerin. Und es war eine Unterstützung, die die Kanzlerin inzwischen dringend braucht.

© SZ vom 16.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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