Paris und die politischen Folgen:Für die Freiheit

Lesezeit: 4 Min.

"Wir sind Paris" - Trauer am Brandenburger Tor in Berlin, wo sich am Pariser Platz auch die französische Botschaft befindet (Foto: dpa)

Wer nach Paris einen Ursachenzusammenhang zur Flüchtlingskrise konstruiert, der zündelt und verkennt das Problem. Die größte Beleidigung für die Attentäter ist die Freiheit - solange es Freiheit gibt, wird sie wohl zum Ziel des Terrors werden.

Von Kurt Kister

Samstagvormittag beim Änderungsschneider. Die Frau neben mir, mittelalt, sagt mit einem leichten, eher osteuropäischen Akzent: "Das ist furchtbar. So viele Tote." Dann macht sie eine Pause und meint: "Und wir ham die jetzt alle bei uns." Ich will zwar nur eine Hose abholen und kenne die Dame nicht. Frage aber doch: "Wen haben wir jetzt bei uns?" Sie sagt: "Na, die ganzen Moslems. Die Flüchtlinge. Von denen sind bestimmt viele ..."

Den Änderungsschneider kenne ich ein bisschen, er stammt aus der Türkei. Ich deute auf ihn und sage: "Er ist auch kein Christ. Und er lebt so wie Sie in Deutschland. Und ich glaube nicht, dass er, weil er Moslem ist, jemanden erschießt oder Sie jemanden erschießen, weil Sie nicht hier geboren wurden."

Das ist das zusätzlich Elende an so einem furchtbaren Geschehen wie den Attentaten von Paris. Sie befördern Vorurteile, bei denen, die davon leben, sich ihre Vorurteile bestätigen zu lassen. Matthias Matussek zum Beispiel, bisher Kolumnist bei Springers Welt, schreibt herum, dass sich nach Paris jetzt vielleicht die Debatte über eine viertel Million junger islamischer Männer in Deutschland in eine "ganz neue frische Richtung" bewegen werde. Und weil er ein Schalksnarr ist, setzt er einen Smiley dahinter.

Dass viele Flüchtlinge vor dem IS fliehen, ist den Pegidisten ziemlich egal

Sicher, am Montag werden die Dresdner Pegidisten ganz bestimmt in diese Richtung schreien, die nur keine neue, frische ist, sondern ein alte, modrige. Die Pegidisten nämlich können ihre schon alte Urangst-Parole (die Islamisierung des Abendlandes) mit der anderen, etwas neueren Urangst-Parole (unter den Flüchtlingen sind viele Verbrecher, lauter Schmarotzer, jedenfalls Deutschland-Verderber) zusammenkleben. Ihre Argumentationskette geht so: Wenn Leute, die sich auf den Islam berufen, Verbrechen begehen, dann sind nicht diese Leute die wirklichen Verbrecher, sondern möglicherweise alle, die auch dieser Religion angehören. Mindestens aber ist die Religion selbst eigentlich ein Verbrechen.

Bilder aus der französischen Hauptstadt
:Wie Paris trauert

Am Tag danach ist Paris eine Stadt vor schwarzem Hintergrund. Das Land ist schwer getroffen - und rückt zusammen.

Dass sehr viele, die aus Syrien oder dem Irak fliehen, Muslime, Jesiden und Christen, vor eben jenen Verbrechern des IS fliehen, ist den Man-wird-doch-noch-mal-sagen-dürfen-Patrioten ziemlich egal. Es ist ihnen wohl auch zu kompliziert, dass der Krieg in Syrien so viele Aspekte hat, von denen einer der ist, dass die sunnitischen Anti-Assad-Terroristen des IS eine fundamentalistische, pervertierte Form des Islam pflegen, die den allermeisten anderen Muslime als eine Beleidigung des Korans gilt.

Selbstverständlich ist eine Debatte darüber, ob die sehr liberale Einreisepraxis nach Deutschland auch ein Sicherheitsrisiko ist, völlig legitim. Und ja, unter den vielen Hunderttausenden, die Schutz suchen, sind auch etliche, die mit krimineller Absicht (wenn auch kaum als Terroristen) nach Deutschland kommen. Das war so vor diesem Sommer und es war sogar schon so zu Zeiten, als das Schengen-Abkommen noch nicht galt. Die sicherste Methode, das Einreisen von Kriminellen zu verhindern, ist, eine Mauer zu bauen. Schon die verstorbene DDR hat behauptet, sie wolle mit ihrer Mauer nicht die eigenen Leute einsperren, sondern die Bösen aus der Bundesrepublik und sonstwoher aussperren.

Szenen am Tag danach
:Ein Angriff auf alles, was schön ist

Die Attentäter zerschossen den Feierabend der Franzosen, der Terror traf sie im Fußballstadion, in Restaurants, in der Konzerthalle. Am Tag danach trauen sich manche kaum, einen Kaffee trinken zu gehen.

Von Alex Rühle

Wer die Flüchtlingskrise als Ursache der Attentate nennt, der zündelt

Es ist nötig, dass der Staat baldmöglichst weiß, wie viele Flüchtlinge hier sind, wer sie sind, woher sie kommen. Das ist nicht nur nötig, weil es die Sicherheit erhöht, sondern auch, weil sonst, je nach Fall, Integration oder Abschiebung kaum möglich sind. Wer also eine konsequentere Durchsetzung des geltenden Rechts, sogar eine Begrenzung der Flüchtlingszahlen fordert, muss nicht nur kein Rechter sein, sondern er hat auch noch recht.

Wer aber die Attentate von Paris mit den Flüchtlingen in Deutschland und Europa in einen einigermaßen direkten, gar ursächlichen Zusammenhang stellt, der hat nicht nur nicht recht, sondern er zündelt. Viele der Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak sind Opfer der Brüder und Schwester im Geiste jener Verbrecher, die in Paris wahllos gemordet haben, um Schrecken zu verbreiten. Aber: Ein junger Mann islamischen Glaubens zu sein, heißt zunächst nichts anderes, als wenn jemand ein junger Mann evangelischen Glaubens ist. Zum Beispiel sind die meisten Amokschützen in den USA junge, irgendwie evangelische Männer, was zur Beschreibung ihrer individuellen Entwicklung gehört, diese aber nicht erklärt. Die soziodemografischen Merkmale machen Menschen jedenfalls nicht zu solchen Tätern. Auch in Dresden sind keineswegs alle mittelalten, rechthaberischen Männer Pegidisten.

Sind wir in Deutschland ebenfalls von Terroristen bedroht? Ja, das sind wir, weil wir zu jenem Westen gehören, dessen Freiheiten den Barbaren des IS als todeswürdige Verbrechen gelten. Kann man dagegen etwas machen? Sicher, im Rahmen. Mehr Polizei, mehr Überwachung (und das in einem Land, in dem BND und NSA vielen als ähnlich pfui gelten wie TTIP und Glyphosat), mehr Aufklärung, mehr Geld für Kameras, Spezialeinheiten, Agenten. Kann man so etwas wie "Paris" damit verhindern? Nein, drei oder acht zu allem Entschlossene, die nicht plaudern und wenig elektronisch kommunizieren, können eine moderne Gesellschaft von 80 Millionen in ihren Grundfesten erschüttern.

Frankreich
:Wieso wieder wir?

Frankreich stellt sich nach dem schlimmsten Terroranschlag seiner Geschichte drängende Fragen - die Antworten fallen unangenehm aus. Politisch dürfte die Rechte von der Krise profitieren.

Von Stefan Ulrich

Die größte Beleidigung für ideologisierte Verbrecher ist die Freiheit

Muss man jetzt nicht erst einmal die Grenzen zumachen? Nein, denn das ist eine nur symbolische Aktion. Attentate gibt es bei offenen Grenzen (Paris 2015), und es gibt sie in Ländern mit relativ genauen Kontrollen, wie den USA (New York 2001). Es gibt sie in autoritär regierten Ländern wie Ägypten, und es gibt sie in Demokratien wie Spanien oder Großbritannien.

Ist die Terrorgefahr durch die Flüchtlinge größer geworden? Nein, denn jene Entschlossenen, die töten wollen, kommen so oder so ins Land. Die werden sich nicht auf ein wackelndes Schlauchboot begeben und dann quer durch den Balkan laufen.

Die größte Beleidigung für ideologisierte Verbrecher ist die Freiheit - die Freiheit, an Gott zu glauben oder die Freiheit, Religion für ritualisierten Humbug zu halten. Es ist die Freiheit, alles Mögliche auf Youtube anzusehen, und die Freiheit, als Mann auch einen Mann heiraten zu können. Zu dieser Freiheit gehören übrigens in Frankreich auch Marine Le Pen und in Deutschland Pegida. Das ist die Freiheit des Widerspruchs, aber auch die Freiheit der Dummheit, die nur da aufhören muss, wo sie andere beleidigt. Und solange diese Freiheit existiert, wird es wohl Leute geben, die sie mit der Kalaschnikow zerschießen wollen.

© SZ.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Reaktionen in Bildern
:Die Welt trauert

Kerzen in Kanada, Lichter aus in Boston, das One World Trade Center in Blau-Weiß-Rot: Auf der ganzen Welt reagieren Menschen auf die Terroranschläge in Paris.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: