Natürlich reizt es zu Schadenfreude, wenn man für ein Traditionsmedium mit demokratischer Gesinnung arbeitet und beobachtet, wie die Anzeigenkunden in Scharen aus dem sozialen Netzwerk Facebook fliehen. Fast 700 Firmen, Konzerne und Weltmarken aus Amerika und Europa wollen nicht länger den Hass und die Erosion der Demokratie finanzieren, die der Digitalgigant seit Jahren befördert. Das war von Facebook nie böse Absicht, sondern eben das Geschäftsmodell. Wobei man sich oft fragt, wo das eine beginnt und das andere aufhört.
Man darf sich allerdings nicht zu früh freuen. Auch nicht darüber, dass Facebook-Gründer Mark Zuckerberg jetzt Besserung gelobt. Zu groß, zu mächtig, zu wirkungsvoll ist das soziale Netzwerk, als dass ein Boykott und ein paar Maßnahmen des Schadensmanagements die zerstörerische Kraft von Facebook schmälern würden.
Die Besserungsgelöbnisse sind nichts Neues. Immer wieder leiern Mark Zuckerberg und seine Vizechefin Sheryl Sandberg ihre PR-Phrasen von der Vernetzung aller Menschen herunter, als sei Facebook mit seinen Marken Whatsapp und Instagram kein börsennotiertes Unternehmen, sondern eine Kumbaya-Gruppe. Sie taten es vor dem amerikanischen Parlament, bei der Münchner Digitalkonferenz DLD, bei ihren Firmentreffen. Sie entschuldigten sich für Facebooks unselige Rolle bei den Wahlen in den USA und Brasilien, beim Brexit, beim Völkermord in Myanmar und den Lynchmobs in Indien und Mexiko. Geändert hat sich wenig.
Auslöser der aktuellen "Stop Hate for Profit"-Kampagne, die führende Bürgerrechtsorganisationen gegen Facebook organisierten, waren die Proteste gegen Rassismus und Polizeigewalt in den USA. Facebook ließ in diesem Rahmen nicht nur Aufrufe zur Gewalt gegen friedliche Demonstranten zu, sondern hatte die dem Präsidenten Trump ergebenen Fakenews-Schleudern Breitbart News und Daily Caller zu "vertrauenswürdigen Nachrichtenquellen" erklärt, letztere sogar als Partner in ihr Programm für Faktenprüfung aufgenommen.
Vergangenen Freitag meldete sich Mark Zuckerberg mit einem Post auf seinem eigenen Facebook-Konto, in dem er für das US-Wahljahr 2020 in vier ausführlichen Punkten mal wieder Besserung gelobte. Politisch schwierige Inhalte sollen gekennzeichnet, Hass gestoppt, Fakten gecheckt, "nachrichtenwerter Inhalt" gefördert werden. Jajaja, möchte man sagen und ihm mit dem Augenroll-Emoji antworten. Das eigentliche Publikum für den Post sind nicht die demokratische Öffentlichkeit und ihre Feinde, sondern die Aktionäre und der Markt.
Das Kerngeschäft der Digitalkonzerne ist nun mal die Automatisierung des Alltags und der Kultur. Im Fall von Facebook und Twitter war das der öffentliche Diskurs. Unerwünschte Nebenwirkungen waren dabei die Erosion der Demokratie und die Spaltung der Gesellschaften. Inzwischen hat Facebook nicht viel mehr zu verkaufen als Hass, Angst und Häme. Jede Einschränkung dieser Dynamik bedeutet auch immer Verlust.
Sicher ist es ein gutes Zeichen, dass nach den Nutzern auch die großen Anzeigenkunden abspringen. Finanzieller Druck ist die Sprache, die Zuckerberg offensichtlich versteht. Doch gerade wenn man den Nutzerschwund betrachtet, sind das winzige Korrekturen. In den digitalen Eliten ist "Facebooken" schon seit Jahren so etwas wie digitales Kettenrauchen. Macht man nicht mehr. Bildungs- und Wohlstandsbürger folgten bald nach. Doch das sind Minderheiten. Und die meisten gingen sowieso zu den Facebook-Marken Whatsapp und Instagram. In großen Teilen der Gesellschaft und der Welt bleibt Facebook das Tor zur digitalen Welt. Es wäre fatal, die Monopolstellung und Macht zu unterschätzen.
Für autoritäre Staaten wie China, Russland und die Türkei ist es leicht, Problemen in digitalen Sphären Herr zu werden. Sie machen die einfach dicht. Demokratische Räume wie die EU tun sich da schwerer, eben weil die digitale Sphäre immer noch eine amerikanische Domäne ist und Monopole nur schwer zu brechen sind.
Die Hoffnung liegt deswegen im von den Digitalkonzernen aus gutem Grund so gehassten und oft belächelten amerikanischen Staat, der mit seiner Gesetzgebung die Monopolbildung und Destruktivität der Konzerne erst möglich gemacht hat. Ende Juli könnte ein Anfang gemacht werden, diese Macht zu begrenzen.
Dann nämlich müssen Mark Zuckerberg, Google-Chef Sundar Pichai, Apple-Boss Tim Cook und Amazon-Gründer Jeff Bezos vor einem parlamentarischen Ausschuss für Kartellrecht zu ihren Geschäftspraktiken aussagen. Sie werden vor den US-Abgeordneten unter Eid stehen. Und vor der Weltöffentlichkeit unter scharfer Beobachtung. Sollten ihre Monopole aufweichen, wird sich für Politik und Wirtschaft in Europa sehr bald die Frage stellen: Was jetzt? Denn wenn digitale Freiräume entstehen, muss man die auch füllen.