Osnabrück:Sorge und Solidarität: Attacke von Halle bewegt den Norden

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Nach der Attacke von Halle greift auch in der jüdischen Gemeinschaft im Norden die Sorge um sich: Obwohl gravierende antisemitische Vorfälle und rechte Gewalt...

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Hannover/Bremen (dpa/lni) - Nach der Attacke von Halle greift auch in der jüdischen Gemeinschaft im Norden die Sorge um sich: Obwohl gravierende antisemitische Vorfälle und rechte Gewalt in Niedersachsen und Bremen bisher selten blieben, haben jüdische Verbände am Donnerstag mehr Sicherheit gefordert. Der Schutz durch die Polizei sei bislang gut gewesen, betonte der Vorsitzende der jüdischen Gemeinden von Niedersachsen, Michael Fürst. „Wir werden jetzt aber anhand dieses Einzelfalls über die Verstärkung von Sicherheitsmaßnahmen mit dem Land verhandeln.“ Auch das aber werde Einzeltaten nicht verhindern. „Das ist das Problem jeden Attentats.“

„So etwas wie in Halle kann jeden Tag überall passieren. Niedersachsen ist keine Insel“, sagte die Vorsitzende des liberalen Landesverbandes der Israelitischen Kultusgemeinden von Niedersachsen, Katarina Seidler. „Leider ist es üblich, dass Synagogen auch an Feiertagen nicht geschützt werden.“ Sie appelliere schon seit langem an die Politik, die Sicherheitsvorkehrungen für die jüdischen Gotteshäuser zu verschärfen. Das Innenministerium argumentiere aber, dass die Gefahr nicht konkret, sondern nur abstrakt sei. „Das kann ich nicht nachvollziehen, und meine Geduld ist langsam am Ende.“

In Niedersachsen sank die Zahl antisemitischer Straftaten im vergangenen Jahr von 128 auf 99. Dabei waren 92 Taten rechtsmotiviert. Meist ging es um Schmierereien und Beleidigungen. Die Zahl der Rechtsextremisten war nach Verfassungsschutzangaben zuletzt leicht rückläufig. Von den 1170 von der Behörde ausgemachten Rechten werden 880 als gewaltbereit eingestuft. „Es gibt keine Erkenntnisse zu einer gezielten Bewaffnung der rechtsextremistischen Szene in Niedersachsen“, sagte ein Sprecher. Allerdings spielten Landesgrenzen für die Machenschaften der Szene schon lange keine Rolle mehr. Anlassbezogen vernetzten Akteure sich über das Internet.

Die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Bremen, Elvira Noa, registrierte zumindest keine Zunahme antisemitischer Vorfälle. Natürlich gebe es Schmierereien an der Synagoge oder am Friedhof. „Aber es ist nicht mehr geworden“, sagte Noa. „Ich habe wirklich das Gefühl, Bremen ist eine Insel, wo man sich noch sicher fühlen kann.“ Aber Bremen sei nicht aus der Welt. „Was in der Nachbarschaft passiert, berührt uns genau so“, sagte sie mit Blick auf den Anschlag in Halle. „Das Angstgefühl wird größer.“

In Bremen wurden 2018 laut Verfassungsschutzbericht 15 antisemitische Straftaten registriert. 2017 waren es 17 und 2016 waren es sechs. Bei den meisten Fällen handelte es sich um Gebäude- und Sachbeschädigungen sowie Schmierereien an Hauswänden mit antisemitischen Inhalt, hieß es aus der Innenbehörde. Tätliche Übergriffe seien aus den letzten Jahren in Bremen nicht bekannt.

Unbeeinträchtigt von der Attacke in Halle liefen am Donnerstag in der Jüdischen Gemeinde Hannover die Vorbereitungen für das Laubhüttenfest am Sonntag. Gemeindemitglieder bauten vor der Synagoge eine Holzhütte auf. Am Metallzaun mit den Davidsternen vor der Synagoge stand am Morgen keine Polizei. „Uns geht es gut. Wir haben keine Angst“, sagte Arkadij Litvan vom Gemeindevorstand. Allerdings, so fügte er hinzu, sei man immer „wachsam“. Zu Festivitäten in der Gemeinde zeige die Polizei Präsenz.

Aus Sicht des Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Osnabrück ist vernehmlicherer Widerspruch gegen Antisemitismus notwendig. Die Gesellschaft müsse die Frage beantworten, wie mit der anwachsenden Judenfeindlichkeit umgegangen wird, sagte Michael Grünberg. Im Alltag werde „Du Jude“ als Schimpfwort in Stadien und Klassen benutzt. „Wie geht die Gesellschaft damit um, wie stellt man sich dagegen - da gibt es das schöne Wort Zivilcourage“, sagte Grünberg. „Ich glaube, dass das an der Zeit ist und dass sich jeder fragen muss, in was für einem Land möchte ich leben“. Es müsste aus der Gesellschaft heraus artikuliert werden, dass es nicht sein könne, dass 80 Jahre nach der Schoah noch Polizeischutz für jüdische Einrichtungen notwendig sei.

Bischöfe, Vertreter der muslimischen Gemeinschaft und Politiker sämtlicher Parteien in Niedersachsen verurteilten am Donnerstag auf das Schärfste die Attacke in Halle. Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) forderte weitreichende Maßnahmen gegen das Verbreiten von Hass im Internet. Wer unter einem Pseudonym Straftaten und Hetze verbreite, müsse für die Strafverfolgungsbehörden eindeutig identifizierbar sein, sagte Pistorius der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Landesweit riefen Kirchen für den Donnerstagabend zu Friedensgebeten und Mahnwachen als Zeichen des Protestes und der Solidarität auf, zu denen Tausende Teilnehmer erwartet.

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