Extremismus:Wann überwacht der Verfassungsschutz politische Parteien?

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Die wichtigsten Fragen und Antworten zur Debatte darüber, ob der Inlandsgeheimdienst die AfD beobachten darf.

Von Benedikt Peters, Minh Thu Tran und Markus C. Schulte von Drach

Am Wochenende ist die Debatte hochgekocht: Die einen fordern, die AfD solle vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Die anderen fürchten, das würde ihr nur in die Hände spielen. Aber wäre eine Beobachtung durch den deutschen Inlandsgeheimdienst überhaupt gerechtfertigt? Die wichtigsten Informationen zu diesem und ähnlichen Fällen.

Wann darf der Verfassungsschutz eine Partei beobachten?

Welche Gruppierungen der Verfassungsschutz beobachten kann, ist in den Paragrafen §3 und §4 des Verfassungsschutzgesetzes festgelegt. Demnach können die Bundes- und Landesbehörden etwa gegen Organisationen, Vereine und Personenzusammenschlüsse aktiv werden, die sich gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung der Bundesrepublik oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker richten. Der Verfassungsschutz darf aber nur beobachten, wenn konkrete Handlungen zu befürchten sind. Wenn jemand rassistische Schriften liest, reicht das noch nicht.

Um eine ganze Gruppe - also auch eine politische Partei - zu beobachten, genügt es zudem nicht, wenn einzelnen Mitgliedern antidemokratische Bestrebungen nachgesagt werden. Die Aussagen müssen für die Organisation als Ganzes stehen und dürfen nicht nur Splittermeinungen darstellen. Wie der Verfassungsschutz allerdings die Schwelle definiert, ab der eine Splitter- zu einer Gruppenposition wird, ist unklar. Es können auch einzelne Teile der Gruppen beobachtet werden. Dies war zeitweise etwa bei der Linkspartei der Fall.

Wer entscheidet über eine Beobachtung?

Zunächst die Verfassungsschutzämter von Bund und Ländern selbst. Erst im Nachhinein sollen sie kontrolliert werden - von den Innenministerien in Bund und Ländern, von Datenschutzbeauftragten und auch von den Parlamenten. Der Bundestag hat die Möglichkeit, Anfragen an den Verfassungsschutz zu stellen.

Zudem sitzen Abgeordnete im Parlamentarischen Kontrollgremium (PKGr), das alle Geheimdienste des Bundes überprüfen soll - also neben dem Bundesamt für Verfassungsschutz auch den Bundesnachrichtendienst und den Militärischen Abschirmdienst. Es ist allerdings umstritten, ob diese Kontrolle funktioniert: Im PKGr sitzen neun Bundestagsabgeordnete, allein der Verfassungsschutz hat etwa 2900 Mitarbeiter.

Was sind die Argumente für eine Überwachung der AfD?

Einzelne Politiker fordern, die gesamte Partei beobachten zu lassen. Am deutlichsten tat dies FDP-Chef Christian Lindner. Der Bild-Zeitung sagte er, das sei für ihn "eine Selbstverständlichkeit". Manche Politiker aus Union und SPD zeigen sich dafür zumindest offen. So hatte der baden-württembergische Innenminister Thomas Strobl (CDU) am Wochenende den Verfassungsschutz dazu aufgefordert, ein "scharfes Auge" auf die Partei zu haben. SPD-Innenexperte Burkhard Lischka fordert eine Teil-Überwachung.

Alternative für Deutschland
:Verfassungsschutz beobachtet AfD-Mitglieder

Bisher handelt es sich einem Medienbericht zufolge um Einzelpersonen, die in der rechtsextremistischen Szene aufgefallen sind. Bald könnte aber die ganze Partei unter offizieller Beobachtung stehen.

Eines der Argumente lautet, die Partei oder einzelne Gruppierungen in ihr hegten extremistische Bestrebungen - etwa die "Patriotische Plattform", ein AfD-Netzwerk, in dem sich rechte Parteimitglieder organisieren. Immer wieder gibt es außerdem Antisemitismus-Vorwürfe gegen einzelne AfD-Politiker, zuletzt gegen Wolfgang Gedeon. Dieser ist inzwischen aus der baden-württembergischen Landtagsfraktion ausgetreten, nicht aber aus der Partei. Der Leiter des bayerischen Verfassungsschutzes, Burkhard Körner, sagte der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, einzelne Politiker der AfD würden schon jetzt von seinem Amt beobachtet.

Was sagen die Gegner?

Kritiker befürchten jedoch, dass von einer flächendeckenden Beobachtung am Ende nur einer profitieren würde - die AfD selbst. CSU-Politiker Stephan Mayer etwa mahnte, der AfD "nicht unnötig zu einem Märtyrerimage" zu verhelfen. Nur bei einzelnen Funktionären könnten Aktivitäten des Verfassungsschutzes angebracht sein. Bundesinnenminister de Maizière ließ mitteilen, im Ganzen sei die AfD keine extremistische Partei.

Welche Parteien wurden oder werden vom Verfassungsschutz beobachtet?

Die bekanntesten Fälle dürften die Linkspartei und die NPD sein. Die Linke wurde nach ihrer Gründung 2007 bis 2012 als ganze Partei vom Verfassungsschutz beobachtet, einzelne Abgeordnete sogar bis 2014 (darunter Gregor Gysi und Bodo Ramelow). Manche Organisationen innerhalb der Partei, etwa die "Kommunistische Plattform" oder die "Arbeitsgemeinschaft Cuba Sí" werden weiterhin als linksextremistisch im Verfassungsschutzbericht aufgeführt. Nach Angaben des Verfassungsschutzes werden aber nur öffentliche Quellen für diese Überwachung herangezogen, also nicht etwa Telefonate abgehört oder Personen observiert.

Anders ist das bei der NPD, sie wird als Ganzes als verfassungsfeindlich eingestuft und nachrichtendienstlich überwacht, etwa mit V-Leuten. Derzeit läuft ein Verbotsverfahren gegen die Partei, ein erstes war 2003 gescheitert. Bisher wurden bereits zwei Parteien verboten, die der Verfassungsschutz zuvor beobachtet hatte: 1952 die rechtsextreme Sozialistische Reichspartei Deutschlands (SRP), vier Jahre später die linksextreme Kommunistische Partei Deutschlands. Im Visier des Verfassungsschutz sind außerdem die weniger bedeutenden Parteien "pro NRW", "die Rechte", die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) und die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD). Die rechten Republikaner wurden bis 2006 beobachtet, inzwischen gilt das nur noch für einzelne Mitglieder.

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