Wenn in Brüssel eine europäische Parteizentrale von einem Polizeiaufgebot durchsucht wird, liegt als erster Verdacht nahe: "Katargate", die Affäre um Bestechung von Europaabgeordneten, nimmt eine neue Wendung. Doch mit dem spektakulären Fall Eva Kaili hatte es nichts zu tun, als belgische und deutsche Ermittler am Dienstagmorgen gegen neun Uhr im Hauptquartier der Europäischen Volkspartei (EVP) in der Rue du Commerce Nummer 10 aufkreuzten.
Es gehe "um eine laufende Ermittlung in Thüringen", teilte die EVP am Dienstagnachmittag mit. Man arbeite vollumfänglich mit der Polizei zusammen, weitere Kommentare gebe es nicht. Ein Name wurde in der Erklärung nicht genannt, aber es liegt auf der Hand: Die Ermittlungen richten sich gegen Mario Voigt, den Thüringer Landes- und Fraktionsvorsitzenden. Voigt hat im Jahr 2019 die digitale Wahlkampagne des damaligen EVP-Spitzenkandidaten Manfred Weber (CSU) geleitet. Es geht um den Verdacht der "Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr", dem die Staatsanwaltschaft in Erfurt nachgeht.
Die Staatsanwaltschaft interessiert ein mögliches hohes Beraterhonorar
Nach Informationen des MDR suchte das Ermittlungsteam - es bestand aus Korruptionsexperten des Thüringer Landeskriminalamtes und belgischen Beamten - am Dienstag nach Informationen über die Art der Tätigkeit Voigts in der Parteizentrale während des Wahlkampfs im Allgemeinen. Vor allem aber ging es offenbar um einen Auftrag an eine in Jena und Schmalkalden tätige Internetagentur.
Die Staatsanwaltschaft hat den Verdacht, dass Voigt von jenem Unternehmen nach der Auftragsvergabe Geld überwiesen bekam, ein Beraterhonorar in sechsstelliger Höhe angeblich. "Wir suchen alles, was dazu dienen kann, die Tätigkeit des Beschuldigten bei der EVP rechtlich einzuordnen", zitierte der MDR einen Sprecher der Staatsanwaltschaft.
Die Europäische Volkspartei setzt sich aus christlich-demokratischen und bürgerlich-konservativen Mitgliedsparteien in Europa zusammen, unter ihnen auch CDU und CSU. Manfred Weber ist Fraktionschef der EVP im Europaparlament und mittlerweile auch Parteivorsitzender. Er trat damals als Spitzenkandidat an. Voigt wurde seinerzeit verpflichtet, um das eilends aufgestockte digitale Team in der Brüsseler Parteizentrale zu leiten. Voigt ist Professor für Digitale Transformation und Politik an der Quadriga Hochschule in Berlin und betreibt in Jena eine eigene Beratungsfirma.
EU-Kontrolleure hätten nichts beanstandet, sagt die EVP
Voigts Beratervertrag mit der EVP sei zwar nicht durch eine öffentlich Ausschreibung vergeben worden, heißt es in der Parteizentrale nun, sehr wohl aber der Auftrag an die Firma in Schmalkalden und Jena. Außerdem legt man in der EVP Wert auf die Feststellung, dass die gesamte Finanzierung des Europawahlkampfs den zuständigen EU-Kontrolleuren in einem Audit keinerlei Anlass zur Beanstandung gegeben habe. Der Tatverdacht gegen Voigt liege außerhalb der Partei.
Der Thüringer Landtag hat bereits im September vergangenen Jahres die Immunität von Mario Voigt aufgehoben. Im Oktober wurden Wohn- und Geschäftsräume von Voigt durchsucht. Der CDU-Politiker erklärte damals in einem schriftlichen Statement: "Für mich gilt, was ich von Tag eins an gesagt habe: Ich habe mir nichts zuschulden kommen lassen. Meine Bereitschaft zu Transparenz und Mitarbeit gilt weiterhin." Voigts Anwälte bezeichneten die gegen ihren Mandaten erhobenen Vorwürfe der Staatsanwaltschaft als haltlos. Zu der Razzia teilten sie dem MDR mit: "Ermittlungsmaßnahmen der Staatsanwaltschaft kommentiert die Verteidigung nicht."