Europäische Union:Bedingt einsatzbereit

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Gerettet in Granada: Ein Flüchtling spricht mit Mitarbeitern der Grenzschutz-Agentur Frontex. (Foto: Jesus Merida/AP)

Die EU-Grenzschutzagentur soll schnell in Griechenland helfen - doch der nach 2015 beschlossene Ausbau von Frontex wird noch dauern. Vor allem beim Personal sei man noch "vollkommen abhängig" von den Mitgliedsstaaten.

Von Thomas Kirchner und Tobias Zick, München

Die Erfahrungen des Jahres 2015 haben viel verändert in der europäischen Flüchtlingspolitik. Nicht gelungen ist es, die Frage zu beantworten, wohin die Flüchtlinge gebracht werden sollen, die Schutz suchen in Europa. Viel leichter fiel es den Regierungen indes, auf eine andere Erkenntnis aus der Krise zu reagieren: Die EU konnte ihre Außengrenzen nicht sichern, sie hatte keine Kontrolle über das Geschehen dort. Deshalb beschloss die EU kurz darauf in relativ kurzer Frist, die bis dahin eher unbedeutende Grenzschutzagentur Frontex enorm auszubauen. Sie erhält sehr viel mehr Personal, Ressourcen und zusätzliche Kompetenzen.

Die Idee dahinter: Kann ein Mitgliedstaat seine Grenzen bei starkem Migrationsdruck nicht alleine sichern, soll er möglichst schnell Hilfe erhalten. So wie derzeit Griechenland, das Sonntagnacht eine offizielle Anfrage stellte. Nun sollen, wie Frontex am Montag verkündete, eine "schnelle Eingreiftruppe" und zusätzliches Equipment nach Griechenland geschickt werden. Wo und wie die Truppe die dortigen Grenzbeamten unterstützen soll, wird in den kommenden Tagen besprochen.

Erst vom kommenden Jahr an kann die Grenztruppe auf eigene EU-Kräfte zurückgreifen

Bis zum Beginn der Flüchtlingskrise war Frontex eine kleine Agentur der EU, die die Handlungen der Mitgliedstaaten an den Außengrenzen koordinierte. Ende 2016 wurde sie mit erheblich erweiterten Kompetenzen zur Europäischen Agentur für Grenzschutz und Küstenwache ausgebaut; im September 2018 folgte auf Drängen der Mitgliedstaaten ein Vorschlag der EU-Kommission für einen weiteren Ausbau. So soll die ständig bereitstehende Truppe von 1500 auf 10 000 Grenzschützer aufgestockt werden.

Ursprünglich war dies schon für 2020 vorgesehen. Weil einige Detailfragen nicht geklärt werden konnten, strebten die Mitgliedstaaten zunächst das Jahr für die Umsetzung 2027 an, Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen peilt nun 2024 an. Auch das Budget soll stark steigen, allein in den kommenden zwei Jahren um mehr als 500 Prozent. Neben dem Grenzschutz soll Frontex zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität beitragen, die Mitgliedstaaten mit Flugzeugen bei Abschiebungen unterstützen und bei Bedarf auch in Drittstaaten (mit deren Zustimmung) tätig werden.

Frontex steckt also mitten im Aufbau, insofern kommt der jetzige Einsatz, wenn man so will, etwas zu früh. Erst vom kommenden Jahr an wird die schnelle Eingreiftruppe auf eigene EU-Kräfte zurückgreifen können. Bisher sei man bei solchen Einsätzen noch "vollständig abhängig" von Zulieferungen seitens der Mitgliedstaaten, bedauerte Frontex-Chef Fabrice Leggeri am Montag.

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In der Krise von 2015 hatten die Mitgliedstaaten nur zögerlich Beamte bereitgestellt - ein wesentlicher Grund dafür, einen eigenen europäischen Grenzschutz mit EU-Kräften samt eigenen Schiffen und Flugzeugen zu schaffen. Langfristig sollen 1500 Beamte zur Verfügung stehen, 2021 werden es 700 sein.

Die EU-Kräfte dürfen, anders als 2015, nun auch hoheitliche Aufgaben übernehmen, also das tun, was nationale Grenzbeamte machen: die Daten von Migranten in das Schengen-Informationssystem eingeben, um zu überprüfen, ob sie etwa zur Fahndung ausgeschrieben sind, und sie gegebenenfalls an der Einreise hindern. Einige dürfen Waffen tragen und sie, als "letztes Mittel", auch anwenden.

Der Ausbau von Frontex hat viel Kritik von Menschenrechtsorganisationen hervorgerufen. Sie warnen vor einer "Aufrüstung" an den EU-Grenzen und weisen auf rechtsstaatliche Probleme hin. Pro Asyl spricht von einem "grundsätzlichen Kontrollmangel". Immer wieder komme es zu Gewalt bei Einsätzen an Grenzen, doch bleibe offen, "wer die rechtliche Verantwortung trägt".

Frontex-Mitarbeiter waren Zeugen "exzessiver Gewaltanwendung" geworden

Anlass waren Vorwürfe, wonach Frontex-Mitarbeiter Zeugen von "exzessiver Gewaltanwendung" durch Grenzbeamte in Ungarn, Bulgarien und Griechenland wurden, ohne dass der Einsatz abgebrochen worden sei. Die EU-Kommission verweist hier auf die Mitgliedstaaten. Sie seien für die Einhaltung von EU-Recht und dem in internationalen Konventionen verankerten Schutz für Flüchtlinge verantwortlich, Frontex unterstütze sie nur.

Griechenlands Premier Kyriakos Mitsotakis bekräftigte am Dienstag seine Entschlossenheit, die Grenze geschlossen zu halten. "Griechenlands Grenzen sind auch Europas Grenzen", sagte er in der nordöstlichen Hafenstadt Alexandropolis, bevor er seine Gäste aus Brüssel empfing: von der Leyen, EU-Ratspräsident Charles Michel und den Präsidenten des Europaparlaments, David Sassoli. Auf einem Helikopterflug machten sich die Politiker ein Bild von der Lage an der EU-Außengrenze.

"Die griechischen Sorgen sind unsere Sorgen", sagte von der Leyen anschließend. Die Kommissionspräsidentin versprach 700 Millionen Euro Notfallhilfe für Griechenland, die Hälfte davon sofort. Daneben sollen sieben Schiffe, zwei Hubschrauber, ein Flugzeug sowie drei Fahrzeuge mit Wärmebildkameras entsandt werden. Frontex schicke 100 Beamte, zusätzlich zu den 530, die schon in Griechenland seien.

An der Grenze hatten griechische Sicherheitskräfte nach offiziellen Angaben in der Nacht zu Dienstag 45 Menschen festgenommen, die es geschafft hatten, die Grenze zu überqueren. Zugleich habe man die illegale Einreise von mehr als 5000 Menschen verhindert, hieß es.

Das Flüchtlingshilfswerk UNHCR kritisierte das harte Vorgehen der griechischen Sicherheitskräfte sowie die Ankündigung der griechischen Regierung vom Sonntag, einen Monat lang keine neuen Asylanträge mehr entgegenzunehmen. "Alle Staaten haben das Recht, ihre Grenzen zu kontrollieren", hieß es in einer Erklärung des UNHCR, "aber zugleich sollten sie vom Gebrauch übertriebener oder unangemessener Gewalt absehen und Systeme zur ordnungsgemäßen Bearbeitung von Asylanträgen aufrechterhalten."

© SZ vom 04.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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