Europa:Osteuropäer sorgen sich um EU-Hilfe für die Ukraine

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Hat ein Hilfspaket vorgeschlagen, das Waffenkäufe für die Ukraine vorsieht, aber in der EU als chancenlos gilt: EU-Außenbeauftragter Josep Borrell. (Foto: Virginia Mayo/AP)

Etliche Pläne, das überfallene Land mit Geld und Waffen zu unterstützen, kommen derzeit in Brüssel nicht voran. Die Gewalt im Nahen Osten lenkt viele Regierungen zusätzlich ab.

Von Hubert Wetzel, Brüssel

Als Gabrielius Landsbergis am Montagmorgen nach den Granaten gefragt wird, stößt er einen tiefen Seufzer aus. Der litauische Außenminister versucht gar nicht erst, seine Frustration zu verbergen: Eine Million Artilleriegeschosse wollte die EU der Ukraine binnen eines Jahres liefern, so versprachen es die Europäer im März. Doch jetzt, vier Monate vor Ablauf der Frist, ist die Bilanz dürftig.

Diplomaten zufolge wurden über das EU-Programm bisher allenfalls 320 000 Geschosse in die Ukraine geschickt. Der größte Teil davon waren zudem keine schweren 155-Millimeter-Granaten, die das Land dringend braucht, sondern kleinere Mörsergeschosse. "Das ist eine sehr unschöne Sache", sagt Landsbergis am Montag in Brüssel, bevor er sich mit seinen europäischen Kolleginnen und Kollegen trifft. Ein anderer Diplomat drückt sich weniger zurückhaltend aus: "Das schadet der Glaubwürdigkeit der EU enorm", sagt er. "Wenn wir etwas versprechen, dann sollten wir es auch tun."

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"Wir wundern uns", sagt ein Regierungsvertreter

Der Unmut, der in diesen Sätzen steckt, reicht weit über Artilleriemunition hinaus. Vor allem die osteuropäischen EU-Länder treibt derzeit die Sorge um, dass die Solidarität Europas mit der Ukraine nach knapp zwei Jahren Krieg und angesichts der explodierenden Gewalt zwischen Israel und den Palästinensern grundsätzlich zu wackeln beginnt. "Wir wundern uns", sagt ein Regierungsvertreter, "dass wir manchmal wieder die banalsten Dinge erklären müssen, um die es in diesem Krieg geht - dass nämlich der Schutz der territorialen Integrität ein wesentlicher Pfeiler der europäischen Friedensordnung ist."

Einer der wenigen Außenminister, die Montagmorgen bei ihrer Ankunft in Brüssel nicht vor allem über Gaza sprechen: Gabrielius Landsbergis aus Litauen. (Foto: Virginia Mayo/AP)

Dass die EU-Regierungen im Moment abgelenkt sind und eher auf den Nahen Osten schauen als auf die Ukraine, ist bei dem Außenministertreffen am Montag offensichtlich. Landsbergis ist einer der wenigen Minister, die bei ihrer Ankunft nicht vor allem über Gaza sprechen. Seine deutsche Kollegin Annalena Baerbock versichert zwar, dass der russische Kriegsherr Wladimir Putin "sich zu früh freut", wenn er auf ein Nachlassen der europäischen Hilfe für Kiew spekuliere. Aber auch sie redet vor allem über die dramatische Lage der palästinensischen Zivilisten.

Tatsächlich tut sich die EU nicht erst seit dem Überfall der Hamas-Terroristen auf Israel Anfang Oktober zusehends schwer damit, ihrem Versprechen, der Ukraine "so lange wie nötig" beizustehen, Taten folgen zu lassen. Das lässt sich vor allem am Geld beobachten. Mehrere Hilfsvorhaben, die sich auf mehr als 75 Milliarden Euro addieren, stecken im Brüsseler Räderwerk fest, einige schon seit Monaten. Der größte Batzen sind 50 Milliarden Euro, die die EU-Kommission in den kommenden vier Jahren ausgeben will, um den Staatshaushalt der Ukraine zu stützen, damit das Land nicht bankrottgeht. Brüsseler Diplomaten rechnen zwar damit, dass das Geld am Ende von den Mitgliedsländern gebilligt werden wird. Aber noch steht eine Einigung aus.

Ein Diplomat bescheinigt der EU ein "Gefühl der Müdigkeit"

Ein anderes, separates Hilfspaket im Umfang von 20 Milliarden Euro, das der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell vorgeschlagen hatte, um in den nächsten vier Jahren europäische Waffenkäufe für Kiew zu finanzieren, gilt in Brüssel dagegen als chancenlos. Große Mitgliedsstaaten wie Deutschland, die der Ukraine bilateral Waffenhilfe in Milliardenhöhe leisten, wollen nicht auch noch in einen EU-Topf einzahlen müssen. Die freundliche Formulierung lautet, es gebe bei Borrells Vorschlag "Raum für Verbesserungen". Im Klartext: Der Plan ist so gut wie tot.

Selbst eine vergleichsweise kleine Summe wie die 500 Millionen Euro, die Brüssel von den 27 EU-Regierungen seit Wochen freigegeben bekommen möchte, um jene europäischen Länder zu entschädigen, die Waffen und Munition an die Ukraine geliefert haben, liegt momentan auf Eis. Ungarn blockiert das Geld - warum, das weiß in Brüssel niemand so richtig. Zunächst war Budapest erbost, weil eine ungarische Bank auf einer ukrainischen Liste von westlichen Unternehmen gelandet war, die noch Geschäfte mit Russland machen. Kiew hat die Bank inzwischen gestrichen, aber Budapest bleibt trotzdem hart. "Das ist sehr ärgerlich", sagt ein Diplomat. "Ich habe aufgehört, mich darüber zu wundern, was Ungarn veranstaltet."

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Angesichts des "Gefühls der Müdigkeit", das ein Diplomat der EU bescheinigt, ist es wohl wenig verwunderlich, dass auch andere wichtige Vorhaben, die der Ukraine helfen sollen, in Europa nicht vorankommen. Das gilt für das zwölfte Paket mit Russland-Sanktionen ebenso wie für einen rechtlich wasserdichten Plan dafür, wie sich das in der EU eingefrorene Vermögen der Moskauer Zentralbank für den Wiederaufbau der Ukraine nutzen ließe. In beiden Fällen laborieren die EU-Behörden und die Mitgliedsländer seit Monaten herum, ohne eine gemeinsame Linie zu finden.

Dieser Stillstand in der EU, so warnt der litauische Außenminister Landsbergis am Montag, helfe nur dem Aggressor Russland: "Putin bereitet sich darauf vor, den Staub von seinen Siegesplänen zu pusten, die er voriges Jahr ins Regal stellen musste."

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