Russlands Krieg:EU nimmt Drittstaaten ins Visier

Lesezeit: 3 min

Die EU plant erstmals in ihrer Geschichte Sanktionen gegen Firmen aus China und Indien. (Foto: Florian Gaertner/imago/photothek)

Zum zweiten Jahrestag des Kriegsbeginns in der Ukraine plant die Europäische Kommission erstmals Sanktionen gegen Firmen in Ländern wie China und Indien. Sie sollen Russland kriegswichtige Güter verschafft haben.

Von Jan Diesteldorf, Brüssel

Mit der ersten Runde neuer Russland-Sanktionen in diesem Jahr versucht sich die Europäische Kommission gar nicht erst an einem großen Wurf. Das 13. Sanktionspaket, wie es im eingeübten Jargon wieder heißen wird, scheint nur ein Päckchen zu werden. Statt langer Auseinandersetzungen mit den zunehmend uneinigen Mitgliedstaaten, anstatt es also mit umstrittenen neuen Sanktionen gegen Sektoren wie die Aluminiumherstellung zu versuchen, listet die Kommission nur einige wenige neue Personen und Firmen auf. Hauptsache, das Paket wird vor dem 24. Februar verabschiedet, dem zweiten Jahrestag des russischen Überfalls auf die Ukraine.

Bei genauem Hinsehen geht die EU allerdings weiter als je zuvor. Sie plant erstmals in ihrer Geschichte Sanktionen gegen Firmen aus China und Indien, einigen der wichtigsten EU-Handelspartner. In einem Entwurf des 13. Sanktionspakets sind drei chinesische Firmen sowie ein indisches Unternehmen aufgeführt, die am Handel kriegswichtiger Güter mit Russland beteiligt gewesen sein sollen. Insgesamt sollen 21 Firmen zusätzlich mit Sanktionen belegt werden, darunter auch solche aus Serbien, der Türkei und Kasachstan. Der Entwurf liegt der Süddeutschen Zeitung vor. Sollten die Mitgliedstaaten dem Plan zustimmen, wäre es EU-Firmen künftig untersagt, mit den gelisteten Unternehmen Geschäfte zu machen. Aus rechtlichen Gründen nennt die SZ die Firmen vorerst nicht namentlich.

Es geht um Güter, die sowohl für zivile als auch militärische Zwecke einsetzbar sind

Der Entwurf zeigt, wie die Kommission anstatt neuer Sanktionen nun vor allem die Umgehung der bestehenden Handelsverbote in den Blick nimmt. Schon länger ist bekannt, dass sich Russland über Drittstaaten Bauteile verschafft, die nicht mehr direkt aus der EU eingeführt werden dürfen. Von Sanktionen gegen Firmen in diesen Staaten hatte die EU bislang abgesehen und weitgehend erfolglos auf einen diplomatischen Dialog gesetzt. Immerhin: Man habe "Grund zu der Annahme, dass es einige positive Schritte seitens Drittländern gibt", um den Export sanktionierter Güter nach Russland zu unterbinden, sagte ein Sprecher der Kommission.

Im vergangenen Jahr hatte die Behörde bereits chinesische Firmen listen wollen und damit China und einige Mitgliedstaaten gegen sich aufgebracht, weil das nach Angaben von Brüsseler Diplomaten ohne Absprache geschehen war. Diesmal sei es anders, sagt ein Regierungsvertreter: "China hatte ja an sich kein Problem damit, dass chinesische Firmen sanktioniert werden", und habe sich nur an dem Vorgehen gestört. Diesmal ist Peking offenbar nicht überrascht. Beim EU-China-Gipfel im Dezember hatte Ratspräsident Charles Michel bereits eine Liste von 13 Unternehmen angesprochen, "die im Verdacht stehen, eine Rolle bei der Umgehung unserer Sanktionen zu spielen". SZ-Anfragen an die Botschaften Chinas und Indiens in Brüssel blieben am Dienstag unbeantwortet.

EU-Ratspräsident Charles Michel hatte im Dezember eine Liste mit 13 Unternehmen erwähnt. (Foto: Geert Vanden Wijngaert/AP)

In dem neuen Sanktionspaket konzentriert sich die EU auf den Handel mit sogenannten Dual-Use-Gütern, die sowohl für zivile als auch militärische Zwecke einsetzbar sind. In dem Entwurf ist die Rede von elektronischen Bauteilen, die eine "Schlüsselrolle" für die russische Kriegswirtschaft spielten. Es sei "angemessen, bestimmte weitere Unternehmen in Drittländern, die den militärisch-industriellen Komplex Russlands in seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine indirekt durch den Handel mit solchen Bauteilen unterstützen", in die Sanktionsliste aufzunehmen.

Ein Drittel der Importe zur Waffenherstellung soll von westlichen Firmen stammen

Dass Russland weiterhin Komponenten aus dem Westen in seinen Waffen und in seiner Munition verbaut, ist gut belegt. In einer im Januar erschienenen Studie der Wirtschaftsuniversität Kiyv School of Economics heißt es, ein Drittel der Importe, die zur Herstellung neuer Waffen dienten, stamme von westlichen Firmen. "Viele der Hersteller aus den Koalitionsländern, deren Produkte immer wieder in russischen Waffen auf dem Schlachtfeld zu finden sind, treiben über Zwischenhändler aus Drittländern weiterhin Handel mit Russland", schreiben die Autoren.

Ihre Erkenntnisse stützen sie unter anderem auf Untersuchungen russischer Waffen- und Munitionsteile, die von den Schlachtfeldern stammen. Mehr als die Hälfte aller kriegswichtigen Güter gelange über China nach Russland, heißt es in der Studie. Bekannt ist außerdem, dass die Ausfuhren aus EU-Staaten in Länder wie Dubai, Georgien oder Kirgistan im Lauf des Ukraine-Krieges massiv angestiegen sind, was nach Ansicht von Experten auch mit der Umgehung von Sanktionen zu tun haben muss.

Alle Nachrichten im Überblick
:SZ am Morgen & Abend Newsletter

Alles, was Sie heute wissen müssen: Die wichtigsten Nachrichten des Tages, zusammengefasst und eingeordnet von der SZ-Redaktion. Hier kostenlos anmelden.

Das dürfe nicht so bleiben, argumentierte in dieser Woche der frühere Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen in einem Gastbeitrag für die britische Zeitung Financial Times. Der Westen müsse sein Sanktionsregime dringend verschärfen, argumentierte Rasmussen, und die Sanktionsumgehung durch Drittländer unterbinden. "Sanktionen werden nie eine hundertprozentig wirksame Waffe sein", schrieb er, "aber in einem Abnutzungskrieg müssen wir alles in unserem Arsenal einsetzen, um einen Sieg der Ukraine zu ermöglichen."

An diesem Mittwoch sollen die EU-Botschafter über die Liste im 13. Sanktionspaket abstimmen. Nach Angaben mehrerer EU-Regierungsvertreter steht einer schnellen Verabschiedung des Pakets noch vor dem zweiten Jahrestag des russischen Überfalls einstweilen nichts im Wege.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Krieg in der Ukraine
:Ukrainische Truppen verlieren Hauptversorgungsroute nach Awdijiwka

Nach Geländegewinnen russischer Truppen ist der Nachschub in die seit Monaten schwer umkämpfte Stadt erschwert. Der ukrainische Präsident Selenskij kommt zur Münchner Sicherheitskonferenz, zuvor ist ein Treffen mit Kanzler Scholz in Berlin geplant.

Alle Entwicklungen im Liveblog

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: