Ungarn:EU klagt gegen Ungarn

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Das Verhältnis bleibt schwierig: Die EU-Kommission versucht schon länger, Viktor Orbán zu einer Kursänderung zu bewegen. Der Mehrheit des Europaparlaments reicht das nicht. (Foto: Olivier Hoslet/AP)

Die Regierung Orbán muss sich unter anderem wegen eines Gesetzes zu Homosexualität vor dem EuGH verantworten.

Von Josef Kelnberger, Brüssel

Die EU-Kommission versucht mit zwei weiteren Klagen vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH), den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán zur Einkehr zu bewegen. Dabei geht es zum einen um ein Gesetz zur Einschränkung von Informationen über nicht-heterosexuelle Lebensformen, das angeblich Kinder schützen soll, zum anderen um das Vorgehen gegen einen regierungskritischen Radiosender. In beiden Fällen hatte die Brüsseler Behörde im vergangenen Jahr sogenannte Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet; sie sieht europäisches Recht verletzt. Die ungarische Regierung konnte die Bedenken nicht ausräumen, deshalb entschloss sich die Kommission nun zum nächsten Schritt, den solche Verfahren vorsehen: zur Klage vor dem EuGH.

Bislang hat die Kommission vor dem EuGH alle Klagen gegen Ungarn gewonnen, wenn es um rechtsstaatliche Prinzipien ging. Zugleich gilt: Alle Vertragsverletzungsverfahren und alle EuGH-Urteile haben Viktor Orbán bislang nicht beeindruckt. Erst in dieser Woche wieder bescheinigte die Kommission in ihrem "Rechtsstaatsbericht" dem ungarischen Staat erhebliche Defizite. Gerügt werden Korruption, mangelnde Unabhängigkeit der Justiz, Unterdrückung der Zivilgesellschaft, eingeschränkte Freiheit der Medien. Dennoch versucht die ungarische Regierung neuerdings den Eindruck zu erwecken, sie bewege sich auf die Kommission zu. Denn sie braucht dringend Geld aus Brüssel.

Bußgelder aus Verfahren vor dem EuGH schrecken Orbán weniger als die Tatsache, dass wegen der Korruption in Ungarn immer noch 5,8 Milliarden Euro aus dem Corona-Wiederaufbaufonds gesperrt sind. Zugleich hat die Kommission den "Rechtsstaatsmechanismus" gegen Ungarn eingeleitet. Das bedeutet, dass dem Land am Ende eines längeren Verfahrens reguläre Haushaltsmittel vorenthalten werden können, wenn die Kommission fürchtet, dass deren Verwendung nicht europäischem Recht entspricht. Deshalb hat Orbán in einem Brief nach Brüssel Reformen versprochen. So solle die Vergabe öffentlicher Aufträge transparenter werden, Korruption wolle man schärfer bekämpfen.

Es ist ein offenes Geheimnis, dass diese Versprechen der Kommission nicht reichen. Eine offizielle Reaktion von Präsidentin Ursula von der Leyen steht aber aus und wird mit Spannung erwartet, denn sie steht auch unter dem Druck des Europaparlaments, noch härter gegen Orbán vorzugehen. Die beiden am Freitag bekannt gegebenen Klagen vor dem EuGH wirken vor diesem Hintergrund eher wie ein Zwischenspiel.

Das im Juli 2021 in Kraft getretene, angebliche "Kinderschutzgesetz" hatte Orbán schon im vergangenen Jahr heftige Kritik eingetragen, von der Leyen sprach von einer "Schande". Es verbietet Publikationen, die Kindern zugänglich sind und nicht-heterosexuelle Beziehungen darstellen. Auch wird Werbung verboten, in der Homosexuelle oder Transsexuelle als Teil einer Normalität erscheinen. Die Kommission ist der Ansicht, dass das Gesetz Minderheiten auf Grundlage ihrer sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität diskriminiert und so gegen Grundwerte der EU verstößt.

Einen Verstoß gegen das europäische Telekommunikationsgesetz sieht die Kommission im Umgang mit dem Klubrádió. Der Sender musste im Februar 2021 den UKW-Sendebetrieb einstellen, weil die regierungsabhängige Medienbehörde die Sendelizenz nicht verlängert hatte. Seit dem Amtsantritt von Orbán war der Sender regelmäßig Repressionen ausgesetzt. Die Regeln zur Verlängerung der Sendefrequenz seien "unverhältnismäßig und diskriminierend" angewendet worden, sagt die Kommission.

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