Im Leichenhaus der Wüstenstadt Tuscon im US-Bundesstaat Arizona ist kein Platz mehr ist. Die Kühlung bietet Raum für 200 Körper, doch im Moment müssen mehr als 300 Tote gelagert werden. "Die meisten sind Flüchtlinge aus Mexiko", sagte Gerichtsmediziner Bruce Parks der New York Times.
Sie kommen noch immer, obwohl in Arizona am 29. Juli das strengste Einwanderungsgesetz der USA in Kraft tritt. Doch weil bereits jetzt die Grenzkontrollen schärfer werden, müssen sie entlegenere Wege wählen. Todesrouten, die tagelang an keiner Wasserquelle vorbeiführen.
57 Leichen sind allein im Juli gefunden worden - wesentlich mehr als im Vergleichszeitraum 2009. Und das, obwohl die Gesamtzahl illegaler Einwanderer abzunehmen scheint. Festnahmen gab es in diesem Jahr nur halb so viele wie im Rekordjahr 2000.
Die neuen, scharfen Regelungen des umstrittenen Einwanderungsgesetzes SB 1070 hätten vermutlich wieder zu mehr Festnahmen geführt - doch ein Bundesgericht hat in letzter Sekunde die umstrittensten Passagen gestoppt. So müssen Polizisten vorerst nicht bei jeder Gelegenheit den Immigrationsstatus verdächtiger Personen kontrollieren. Auch der Paragraph, der zum Mitführen von Dokumenten verpflichtet, tritt noch nicht in Kraft.
Trotzdem hat Arizonas Gouverneurin Jan Brewer recht, wenn sie sagt: "Dieser Kampf ist noch nicht vorbei." Brewer kündigt an, Berufung gegen die einstweilige Verfügung des Gerichts einzulegen und den Rechtstreit über SB 1070 wenn nötig bis zum Obersten Gerichtshof der USA fortzuführen.
Brewer ist erst seit eineinhalb Jahren im Amt und kämpft um ihre Wiederwahl. Das Einwanderungsgesetz hat ihr zu nationaler Bekanntheit verholfen. Erst seit ihrer Unterzeichnung des umstrittenen Gesetzes bewerten die Bürger Arizonas ihre Amtsführung positiv. Davor gab es selbst in ihrer eigenen Partei der Republikaner Gegner ihrer Kandidatur und in Umfragen bekam der demokratische Gouverneurskandidat mehr Zustimmung. Inzwischen jedoch glauben zwei Drittel der Befragten, dass Brewer ihre Arbeit gut macht.
Nicht jeder ist von dieser Karriere so begeistert. Die Republikanerin gilt als Opportunistin, die sich mit den Errungenschaften anderer brüstet. Russell Pearce, Senator in Arizonas oberer Parlamentskammer, sagte der Washington Post: "Ich habe SB 1070 mit verabschiedet, die Gouverneurin hatte damit gar nichts zu tun."
Hinter der Entscheidung, das Gesetz vor den Supreme Court zu bringen, steht jedoch auch er: "Ich habe das Gesetz geschrieben, um es vor das Oberste Gericht zu bringen. Ich will diese Schlammschlacht." Pearce hofft auf eine Mehrheitsentscheidung des konservativen Gerichtes zugunsten seines Gesetzes, um das Problem der illegalen Einwanderung ein für alle Mal zu lösen.
Unter den sieben Klägern gegen Arizonas Einwanderungsgesetz ist auch das Justizministerium in Washington, und damit die Regierung von US-Präsident Barack Obama. Dieser hatte schon vor Brewers Unterzeichnung des Gesetzes im April 2010 seine Einwände deutlich gemacht.
Immigration sei keine Angelegenheit der einzelnen Staaten, sondern solle auf Bundesebene geregelt sein, argumentiert das Justizministerium. Eine Sprecherin sagte: "Wir verstehen den Frust der Bürger von Arizona über das kaputte Immigrationssystem, doch ein Stückwerk aus lokalen und regionalen Regelungen wäre kontraproduktiv."
Dass eine nationale Neuordnung des Einwanderungsrechts dringend notwendig ist, darüber sind sich Demokraten und Republikaner seit Jahren einig. Auf einen gemeinsamen Nenner kommen sie trotzdem nicht. Zuletzt hatte sich Präsident George W. Bush an einer Reform versucht, doch 2007 entnervt aufgegeben.
Nun wächst der Druck auf Obama, sich des Themas anzunehmen. Mit Konjunkturpaket, Finanz- und Gesundheitsreform hat der Präsident jedoch bereits einen Großteil seines politischen Kapitals verbraucht. Es ist fraglich, ob die Kraft noch für ein weiteres Mammutprojekt reicht. Wahrscheinlicher ist, dass die US-Regierung die Richtungsentscheidung bei der Einwanderung dem Supreme Court überlässt.
Mit der neuen Richterin Sonia Sotomayor wird dort auch eine Latina mitentscheiden. Seit dem 8. August 2009 ist sie Mitglied des Obersten Gerichtes. Sie wird gemeinsam mit Ruth Bader Ginsburg, Steven Breyer und John Paul Stevens zur liberalen Minderheit gezählt. Stevens soll demnächst durch die Harvard-Juristin Elena Kagan ersetzt werden, was die Mehrheitsverhältnisse jedoch nicht verändern wird.
Der Oberste Richter John Roberts stellt mit den Juristen Samuel Alito, Antonin Scalia und Clarence Thomas den konservativen Block. Die Stimme des moderaten Richters Anthony Kennedy ist daher bei fast allen Abstimmungen die entscheidende. In 92 Prozent aller Urteile gab seine Meinung den Ausschlag. Vermutlich wird es auch beim Thema Einwanderung so sein.