Organisierte Kriminalität:Koks im Container

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Zöllner des Hamburger Hafens überprüfen den Maschinenraum eines Containerschiffs. Auch Deutschland ist im Visier der Drogenmafia. (Foto: Christian Charisius/DPA)

Schattenbanken, Unterwanderung, Containerknacker: In Europas Häfen boomt der illegale Drogenhandel. Deutschland und andere Länder wollen mehr dagegen tun, doch der Kampf gegen die Mafia ist schwer.

Von Markus Balser, Antwerpen

Das Havenhuis von Antwerpen soll eigentlich für die schönen Seiten der belgischen Stadt stehen. Die britisch-irakische Stararchitektin Zaha Hadid hat auf die 100 Jahre alte Feuerwache des Hafens eine futuristische Konstruktion aus Stahl und Glas gesetzt. Wie der Rumpf eines Segelschiffs scheint sie über dem Bau zu schweben. Konzerte und Bälle finden hier statt. Die nahen Kräne entladen so viel Fracht, wie es in Europa sonst nur der Hafen von Rotterdam schafft. "Wir zeigen, was Häfen für eine moderne Gesellschaft leisten können", sagt Hafenchef Jacques Vandermeiren.

Der Manager sieht sich bei seinem Auftritt am Montag zu Werbung in eigener Sache gezwungen. Denn in seiner Hafenzentrale im Havenhuis muss er Innenminister und Sicherheitsbehörden aus ganz Europa begrüßen, die vor allem über die Schattenseiten großer Häfen für die Gesellschaft reden wollen. Eindringlich warnen Europas Strafverfolger von Europol seit Monaten davor, dass die großen Häfen des Kontinents zu immer wichtigeren Drehscheiben eines tödlichen internationalen Geschäfts werden. Nun soll sich bei dem Treffen auch politisch etwas bewegen.

Große Häfen wie Antwerpen und Hamburg sind laut Europol kriminell "unterwandert"

Die Probleme sind längst riesig. Allein über Antwerpen und Rotterdam sollen mit ausgeklügelten Betrugssystemen in den vergangenen Jahren mindestens 200 Tonnen Kokain nach Europa geschleust worden sein. Die Täter gehen dabei laut Europol immer professioneller vor. Große Häfen wie Antwerpen, Rotterdam und Hamburg seien Hauptziele einer regelrechten kriminellen "Unterwanderung", heißt es in einer aktuellen Analyse von Europol. Die Banden würden Hafenbeamte oder Mitarbeiter von Firmen bestechen, Komplizen einschleusen und zunehmend auch die digitalen Sicherheitscodes von Containern knacken.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und Minister der wichtigen Hafenländer Belgien, Niederlande, Frankreich, Italien und Spanien wollen den Kampf nun mit neuer Härte aufnehmen. Als selbsternannte "Koalition gegen Organisierte Kriminalität" haben sie am Montag beschlossen, die Kontrollen von Seecontainern zu verschärfen, illegale Geldströme und Schattenbanken aufzudecken und Kommunikation streng zu überwachen. Faeser kündigte an, die "Einfallstore" für Drogenschmuggel schließen zu wollen und sprach sich erneut für eine gesetzliche Höchstgrenze für Bargeldgeschäfte von unter 10 000 Euro aus.

Es geht dabei längst nicht mehr nur darum, den Drogenhandel in die Schranken zu weisen. Es gehe auch um die Werte und das Funktionieren unserer Gesellschaften, die Grundrechte der Bürger und das Funktionieren des Rechtsstaats, heißt es in einer Abschlusserklärung der sechs beteiligten Länder.

Erst Anfang Mai explodierte in Antwerpen eine Bombe - eine Folge des Drogenkriegs

Vor allem in Belgien und den Niederlanden tobt ein Drogenkrieg, in dem die Mafia Milliarden macht, skrupellos entführt und tötet und sogar den Staat attackiert. Erst Anfang Mai war in Antwerpen infolge des Drogenkriegs eine Bombe explodiert. Die Niederlande liegen im Ranking von Morden durch Organisierte Kriminalität gleich auf Platz zwei hinter Italien. Von 200 Auftragsmorden in zehn Jahren ist in Dänemark die Rede. Selbst Ex-Politiker leben unter Polizeischutz.

Sicherheitsbehörden fürchten, dass auch Deutschland stärker ins Visier der Mafia geraten wird. Hinweise lieferte das von internationalen Ermittlern geknackte Telefonnetzwerk Encrochat, das in ganz Europa zur Koordinierung von Drogenlieferungen und Auftragsmorden genutzt wurde. Seit Beginn der Auswertung der Daten Mitte 2020 wurden allein in Deutschland 4000 Ermittlungsverfahren geführt, 500 Schusswaffen und fast zehn Tonnen Rauschgift sichergestellt. 600 Personen wurden laut Innenministerium verhaftet. Gesamthaftstrafe: 3000 Jahre.

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In Antwerpen wird aber auch deutlich, wie schwer der Kampf gegen die Drogenmafia nach wie vor bleibt. Mit seinen zahlreichen Seitenarmen der Schelde ist der belgische Hafen doppelt so groß wie der in Hamburg. Das erlaubt es, viele große Schiffe gleichzeitig zu entladen - und dabei ungestört auch illegale Fracht verschwinden zu lassen. Etwa indem Container geheim mit neuen Barcodes versehen und ausgetauscht werden. Oder indem illegale Beiladungen von Hafenmitarbeitern aus Containern geholt werden, bevor diese zu ihren eigentlichen Empfängern gebracht werden.

Und auch in Deutschland selbst droht ein harter Kampf. Innenministerin Faeser will Behörden wie das BKA in die Lage versetzen, selbst die verschlüsselte Kommunikation von Kriminellen zu knacken. Bislang sind Deutschlands Behörden dazu laut Faeser rechtlich nicht in der Lage. "Ich würde mir da mehr wünschen", sagte die Innenministerin am Montag. Doch vor allem in der FDP gibt es Widerstand gegen solche Pläne. Große Hoffnungen auf einen Erfolg hat Faeser deshalb nicht: "Ich muss Rücksicht auf die Koalitionspartner nehmen."

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