Terrorismus:Tunesier gegen Tunesier

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Eine Frau entzündet eine Kerze in der Synagoge "La Ghriba". Das Bild wurde am 8. Mai aufgenommen, vor dem Anschlag. In der Synagoge findet das Fest Lag Baomer statt, zu dem jedes Jahr Tausende Pilger aus Israel, Frankreich und anderen Ländern anreisen. (Foto: IMAGO/Hasan Mrad/IMAGO/ZUMA Wire)

Auf der Ferieninsel Djerba herrscht einige Tage nach dem Anschlag auf die Synagoge La Ghriba schon wieder Normalität. Die Tat und die Reaktionen darauf werfen ein Licht auf den Umgang mit der jüdischen Minderheit in Tunesien.

Von Mirco Keilberth, Djerba

Schon wenige Tage nach dem Angriff auf die Synagoge La Ghriba auf Djerba sind die Umstände der Tat weitgehend geklärt. Doch die Reaktionen zeigen, wie kompliziert das Verhältnis der Tunesier zu ihren jüdischen Landsleuten ist. Der Attentäter, ein vom Dienst suspendierter Beamter der Nationalgarde, hatte am vergangenen Dienstagabend während der jährlich stattfindenden jüdischen Wallfahrt um sich geschossen. Drei Sicherheitskräfte und zwei Pilger starben, zwölf Besucher wurden verletzt. Auf einer Pressekonferenz in Tunis lobte Innenminister Kamel Fekih am Donnerstag die schnelle Reaktion der Sicherheitskräfte. Bereits 120 Sekunden nachdem der mutmaßliche Täter namens Wissem K. begonnen hatte, auf dem Parkplatz unweit der Synagoge wahllos in die Menge zu feuern, hätten ihn Kugeln der Beamten tödlich getroffen, so Fekih.

Auf sozialen Medien geteilte Videoaufnahmen zeigen mit Patronen gefüllte Magazine und ein Schnellfeuergewehr neben dem am Boden liegenden Täter. Tunesien ist wohl nur knapp einer noch viel größeren Katastrophe entgangen ist. K.s Kollegen berichteten Journalisten von dessen islamistischer Gesinnung. Die maritime Nationalgarde, bei der er bis zu seiner Suspendierung im Einsatz war, hatte deshalb bereits eine Untersuchung eingeleitet, bevor es zu der Tat kam.

Die Synagoge auf Djerba ist ein bedeutender Wallfahrtsort. Während der Feierlichkeiten sind die Sicherheitsvorkehrungen sehr hoch. (Foto: Hasan Mrad/dpa)

Diese war offenbar gut geplant. Nach dem Mord an einem Kollegen in dem 16 Kilometer von der Synagoge entfernten Ort Aghir stahl der Tunesier den Ermittlungsbehörden zufolge dessen Waffe und Polizeiuniform. Unweit des Wallfahrtsgeländes wartete K. auf einen Schichtwechsel der zur Sicherung der Wallfahrt eingesetzten Beamten. Doch der Versuch, zu der Abschlusszeremonie der Wallfahrt mit mehreren Hundert Pilgern im Innenhof der Synagoge zu gelangen, scheiterte an der Aufmerksamkeit der Spezialkräfte. Am letzten Kontrollpunkt schickten die Beamten den Täter wegen des Fehlens eines gültigen Sicherheitsausweises weg. "Als dann plötzlich die ersten Schüsse fielen, floh ich wie die meisten anderen im Innenhof der Synagoge vor Panik in die Räume", sagt ein Augenzeuge der SZ am Telefon. "Dort wären wir wehrlos gewesen."

Der Innenminister will alles unternehmen, "um Ausländer in Tunesien zu schützen"

Innenminister Fekih sprach am Freitag in Tunis von einem feigen und kriminellen Angriff. "Wir werden alles unternehmen, um die Stabilität zu erhalten und Ausländer in Tunesien zu schützen." Politische Beobachter hatten angesichts der angespannten Lage im Land bereits mit Gewalt gerechnet. Mitte April war der Chef der ehemals größten Oppositionspartei Ennahda verhaftet worden. Die Staatsanwaltschaft wirft Rached Ghannouchi vor, bei einem Treffen mit anderen Gegnern des autokratisch regierenden Präsidenten Kais Saied mit Anschlägen gedroht zu haben, sollte die Opposition weiterhin vom politischen Leben ausgeschlossen werden.

Nach Angaben der jüdischen Gemeinde waren in diesem Jahr 6000 jüdische Pilger zu der mehrtägigen Wallfahrt auf die Ferieninsel gekommen. In den Hotels von Djerba sind auch bereits die ersten europäischen Touristen eingetroffen. Würde die Touristensaison nach dem Anschlag nun ausfallen, wie nach den Anschlägen im Jahr 2015, würde dies Tunesien wohl an den Rand des Staatsbankrotts bringen. Damals hatte ein Attentäter 38 mehrheitlich aus Großbritannien kommende Touristen in einem Hotel in der Nähe von Sousse erschossen. Auch La Ghriba war bereits im Jahr 2002 Ziel eines Anschlages. Eine Bombe tötete 19 Touristen, mehrheitlich Deutsche.

Touristen in Djerba, zwei Tage nach dem Anschlag, bei dem fünf Menschen ums Leben kamen. (Foto: Fethi Belaid/AFP)

Farhat Tanfous, der zweite Vorsitzende des Hotelbesitzerverbandes von Djerba, zeigte sich denn auch erleichtert, dass es bisher keine anschlagbedingten Stornierungen gebe. "Die Touristen waren schon am Tag nach dem Anschlag wieder auf der Insel unterwegs", so Tanfous.

Auf Djerba ist man auf die alljährliche Wallfahrt und den selbstgewählten Titel "Insel der Toleranz und des Friedens" stolz. Doch die politisch aufgeheizte Stimmung in der Hauptstadt hat nun eine Diskussion über den Umgang mit den jüdischen Tunesiern entfacht. Bei einem Treffen von Präsident Saied und Premierministerin Najla Bouden mit dem Nationalen Sicherheitsrat wurden die Worte "Terroranschlag" und "jüdische Gemeinde" gemieden. Es sei ein krimineller Angriff auf Touristen, so Saied. Die Beerdigung der beiden getöteten Beamten wurde angesichts Tausender Teilnehmer und martialisch auftretender Nationalgardisten zur einer Machtdemonstration für Saieds Kampagne gegen die Ennahda-Partei. Der Präsident wirft den moderaten Islamisten vor, für die Unterwanderung der Sicherheitskräfte durch Radikale verantwortlich zu sein.

Israel wird in Tunesien als "zionistische Entität" bezeichnet

Der auf Djerba geborene jüdisch-tunesische Unternehmer und ehemalige Tourismusminister René Trabelsi versichert, das Zusammenleben der jüdischen und arabischen Tunesier sei nicht in Gefahr, "denn der Anschlag galt Besuchern, nicht der jüdischen Gemeinde". In TV-Diskussionen über den Anschlag beteuern die Gäste, dass es in Tunesien keinen Antisemitismus gebe. Zugleich aber werden die jüdischen Pilger von vielen in einem Atemzug mit Israels Angriffen auf den Gazastreifen genannt. "Betrauern wir hier etwa Zionisten?", fragt eine Journalistin auf ihrer Facebookseite. Sie bezieht sich auf einen der beiden getöteten jüdischen Tunesier. Der 30-jährige Aviel Haddad lebte auf Djerba und in Israel, wo er am Donnerstag beerdigt wurde. Da Haddad auch einen israelischen Pass besaß, forderten einige Kommentatoren auf dem Kanal "Carthage Plus", seine Familie auszuweisen. Ganz offen wird der Anschlag wegen der Bombardierung des Gazastreifens durch Israel relativiert. In Tunesien wird Israel meist als "zionistische Entität" bezeichnet. Jeder offizielle Kontakt mit dem Land ist geächtet, außer während der La-Ghriba-Wallfahrt darf man nicht mit einem israelischen Pass einreisen. Wer einen Stempel israelischer Einreisebehörden im Pass hat, droht abgewiesen zu werden.

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Tunesiens Präsident Kais Saied besuchte am Freitag das Haus seiner Großeltern in Tunis. Saied erinnerte daran, dass sein Großvater während der Besatzungszeit Nazideutschlands jüdische Nachbarn versteckte. Antisemitismus könne es in Tunesien gar nicht geben, so Saied. Doch ohne es direkt zu sagen, brachte auch der Präsident den Anschlag in einen Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen im Nahen Osten. "Heute werden dort unsere Brüder ermordet. Wir werden Palästina zurückgewinnen."

Es gibt aber auch andere Stimmen in der Zivilgesellschaft. Die Studentin Emna Hamami etwa kritisierte die Verknüpfung des Anschlages mit Verbrechen gegen die Palästinenser: "Auf Djerba hat ein Tunesier fünf andere Tunesier umgebracht. Das ist alles. Jedes Opfer verdient unser gleichwertiges Mitgefühl."

Während Populisten die Debatte auf sozialen Medien weiter anheizen, interessieren sich vor allem jüdische Exiltunesier aus Frankreich für das Land ihrer Eltern oder Großeltern. Die kleine jüdische Gemeinde in der südlich von Djerba gelegenen Stadt Zarzis wächst seit Jahren. 1960 hatten noch mehr als 100 000 jüdische Tunesier in dem Elf-Millionen-Einwohner-Land gelebt. Nach dem Sechstagekrieg zwischen Israel und mehreren arabischen Staaten wanderten bis auf 1500 alle jüdischen Tunesier nach Israel aus. Nun stellt sich die Frage: Gehören die ausgewanderten tunesischen Juden noch dazu? Oder sind sie nur Touristen mit tunesischem Pass?

Unbekannte beantworteten die in den Medien diskutierten Fragen am Wochenende in der Stadt Sousse mit Vandalismus. Dort wurden während der Nacht auf dem jüdischen Friedhof mehrere Gräber zerstört und geplündert.

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