Diplomatie mit der Türkei:Die Türkei ist als Partner unverzichtbar

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Merkel trifft Erdoğan: Im November sprach die Bundeskanzlerin mit dem türkischen Präsidenten. (Foto: dpa)

Böhmermann, Armenien, dann der Putsch - seit Monaten eskaliert das deutsch-türkische Verhältnis. Das ist gefährlich, denn jede Schlammschlacht bringt den radikalen Kräften Zulauf.

Kommentar von Luisa Seeling

In der Türkei hält sich die Aufregung um die Einstufung des Landes als Islamisten-Plattform durch die Bundesregierung in Grenzen. Aber angegriffen fühlt man sich doch: Der Vorwurf sei Beleg für eine "verdrehte Mentalität". Ein anderes Thema schlägt da mehr Wellen: Aus einer eher technischen Entscheidung des türkischen Verfassungsgerichts wurde in einigen europäischen Boulevardblättern die Schlagzeile "Türkei erlaubt Sex mit Kindern", was in dieser Verkürzung Unsinn ist. Der Ärger auf türkischer Seite war groß, Botschafter wurden einbestellt, der türkische Boulevard konterte, in den sozialen Netzwerken wabert die Empörung.

Vorwurf, Gegenvorwurf, diplomatische Krise - seit Monaten geht das schon so, vor allem zwischen Deutschland und der Türkei. Die Causa Böhmermann und die Armenier-Resolution waren Tiefpunkte, seit dem Putschversuch ist der Ton noch mal schriller geworden. Die Türken werfen dem Westen vor, sich nicht eindeutig hinter die türkische Regierung gestellt zu haben. Kein hochrangiger europäischer Politiker habe sich seither bei ihnen blicken lassen. Und es stimmt ja: Der erste Besucher war Thorbjørn Jagland, der politisch leichtgewichtige Generalsekretär des Europarats.

Auch vermissen die Türken das Verständnis für ihre schwierige Situation. Feindliche Kräfte hätten versucht, die gewählte Regierung zu stürzen, das Volk habe sich dem Putsch heldenhaft entgegengestellt, und nun müsse es "Säuberungen" geben, um den von der Gülen-Bewegung infiltrierten Staatsapparat zu befreien. So geht die türkische Erzählung.

Ankara wird gebraucht, also muss man mit der Regierung reden

In Deutschland will man dieser Darstellung so recht nicht folgen, wobei der türkische Vorwurf, der Putsch sei hierzulande gar begrüßt worden, ebenfalls überdreht ist. Kein deutscher Politiker, der den Putsch nicht klar verurteilt hätte. Wahr ist aber, dass die Solidarität verhalten ausfiel, aus gutem Grund: Der Abbau demokratischer Freiheiten, die Unterdrückung Andersdenkender - all das hat sich nach dem Putsch in verstörender Weise verschärft.

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"Da ist nichts zu bereuen", sagt der Innenminister über das Dokument der Bundesregierung. Die Passage über Verbindungen des Landes zu Islamisten entspreche teilweise der Realität.

Die Situation ist ja auch viel zu kompliziert, als dass sie für simple Parolen taugte: Für Erdoğan ist hierzulande die Rolle des irrlichternden Autokraten vorgesehen, in der Putschnacht aber war er Opfer. Die Festnahme- und Entlassungswelle ist erschreckend, doch dem Gülen-Netzwerk kann auch keine bedingungslose Sympathie entgegengebracht werden. Zu undurchsichtig sind die Machtstrukturen. Ein Schulterschluss zwischen AKP und Opposition? Klingt gut, schließt aber die prokurdische HDP aus, weshalb von einer Aussöhnung des Landes mit sich selbst nicht die Rede sein kann.

Türken und Deutsche werden mit diesen Unterschieden umgehen müssen, ohne jede Kommunikation zur Schlammschlacht werden zu lassen. In der Türkei schürt die Regierung die Wut auf das böse Ausland, um die Massen zu mobilisieren; langfristig macht das die Zusammenarbeit mit diesem Ausland aber schwieriger.

Aber auch die Deutschen müssen aus der Eskalationsspirale aussteigen. Es geht ja nicht nur um den Flüchtlingspakt. Es gibt kein außenpolitisches Szenario, in dem die Türkei nicht gebraucht würde, und deshalb muss weiter geredet werden, auch bei Besuchen. Natürlich ist ein Kanzlerbesuch in Ankara ein Drahtseilakt, Angela Merkel hat für ihre Visiten vor dem Flüchtlingsabkommen viel Prügel bezogen. Aber es gibt Möglichkeiten, sein Unbehagen auszudrücken: Menschenrechtsverletzungen lassen sich offen ansprechen, Oppositionskräfte treffen. Wichtig ist also, verbal einen Gang runterzuschalten und wieder etwas pfleglicher mit den deutsch-türkischen Beziehungen umzugehen. Sonst überlässt man sie nur jenen, die besonders radikale Reden schwingen.

© SZ vom 19.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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