Die klarsten, bedeutendsten Sätze dieser Pressekonferenz kamen vom Auswärtigen Amt. "Die in der Presse getroffenen Aussagen machen wir uns in dieser Pauschalität als Auswärtiges Amt nicht zu eigen", sagte die Sprecherin des Hauses am Mittwoch vor der Hauptstadtpresse.
Zwar gebe es Meinungsverschiedenheiten mit der Türkei, doch das Land bleibe "ein wichtiger Partner", in der Nato wie auch beim Thema Syrien. Klarer konnte die Distanzierung von jener kritischen Bewertung der Türkei kaum ausfallen, die tags zuvor bekannt geworden war.
Zu finden ist sie im vertraulichen Teil einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion, über die am Dienstag das ARD-Hauptstadtstudio berichtet hatte. Die Türkei habe sich "zur zentralen Aktionsplattform für islamistische Gruppierungen" entwickelt, heißt es darin. Als Beispiele werden intensivere Beziehungen zur Hamas und der ägyptischen Muslimbruderschaft genannt.
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Das Bundesinnenministerium wirft dem türkischen Präsidenten vor, Terroristen zu unterstützen. Die Wortwahl löst Irritationen aus, das Ministerium spricht von einem "Büroversehen".
Dabei handelt es sich weder um Geheimwissen noch um überraschende, neue Erkenntnisse - und doch wird eine solche Einschätzung in dem Augenblick hoch brisant, in dem die Bundesregierung sie äußert, zumal in einer Zeit, in der das Verhältnis zur Türkei ohnehin stark belastet ist.
Daher die Einstufung dieses Teils der Antwort als vertraulich. Und daher die Aufregung, seit die Formulierungen am Dienstag öffentlich wurden. Am Mittwoch stellten sich dann die Sprecher der Bundesministerien sowie Regierungssprecher Steffen Seibert wie üblich den Fragen der Medien. Und erst einmal ging es mehr als eine Stunde lang nur um ein Thema: die kritische Einschätzung der Türkei.
Das Problem dabei: die Einstufung der entscheidenden Formulierungen als Verschlusssache. Da die Einschätzungen nun einmal vertraulich seien, könne man dazu auch keine Stellung nehmen, hieß es ein ums andere Mal vonseiten der Sprecher. Wie es dennoch gegangen wäre, zeigte die Sprecherin des Auswärtigen Amtes, die sich bei ihrer Distanzierung einfach auf die "in der Presse getroffenen Aussagen" berief.
Ursprung der heiklen Passage
Regierungssprecher Seibert hingegen vermied es, eine ähnlich klare Position einzunehmen. Stattdessen betonte er (wie im Übrigen auch das Auswärtige Amt), dass es sich beim Verhältnis zwischen Deutschland und der Türkei um "weit mehr als das klassische bilaterale Verhältnis" handele, das man mit vielen anderen Ländern habe.
Aber wie war es eigentlich zu der Antwort auf die Kleine Anfrage gekommen? Hier immerhin gab es etwas Aufklärung. Demnach bestimmte das Kanzleramt, bei dem die Anfrage zunächst einging, wie üblich ein Ministerium, das die Federführung übernehmen sollte - in diesem Fall das Innenministerium.
Wie üblich, hätten dann andere Ressorts Erkenntnisse zugeliefert, erklärte der Sprecher des Innenressorts. Die Passage, um die sich die gesamte Aufregung dreht, stammte demnach gar nicht aus dem Innenministerium. Mehrfach betonte dessen Sprecher, dass für "die in Rede stehenden Passagen" im Innenministerium gar "keine Expertise oder Kompetenz vorhanden" sei.
Sie wurden also zugeliefert. Von wem? Offenbar stammen die Erkenntnisse vom Bundesnachrichtendienst (BND). Jedenfalls heißt es in der Begründung der Bundesregierung, warum ein Teil der Antworten "aus Gründen des Staatswohls" vertraulich sei: Eine "Veröffentlichung von Einzelheiten" führte "zu einer Schwächung der dem BND zur Verfügung stehenden Möglichkeiten".
Der BND ist dem Kanzleramt unterstellt, die brisanten Passagen müssen also durch die Regierungszentrale gelaufen sein. Regierungssprecher Seibert bestätigte immerhin, dass "einer der Akteure", die mit der Kleinen Anfrage befasst waren, das Kanzleramt war. Auf die Frage, ob die Regierung zu den getroffenen Aussagen stehe, mochte er nicht eingehen.
Es ist nicht das erste Mal in jüngster Zeit, dass eine Analyse des BND diplomatische Spannungen nach sich zieht. Ende 2015 wurde eine kritische Analyse des Dienstes über Saudi-Arabien öffentlich. Damals hatte der BND selbst das Papier lanciert. Doch wie konnte es diesmal passieren, dass die heiklen Aussagen zur Türkei trotz der offenkundigen Bedenken des Auswärtigen Amts an die Linksfraktion gingen, von wo sie ihren Weg zur ARD fanden?
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Das deutsche Innenministerium hatte die Türkei in einem geheimen Papier als "Aktionsplattform für islamistische Gruppierungen" bezeichnet. Die Türkei reagiert erbost.
War es der Bundesregierung sogar recht, dass sie öffentlich wurden? Handelte es sich um eine gezielte Provokation?
Oder warum sollte die Regierung ausgerechnet der Linken-Abgeordneten Sevim Dağdelen, bei der sie sonst jedes Wort zweimal wägt, auf ihre Anfrage hin eine solch brisante Einschätzung zukommen lassen?
Derlei Überlegungen trat die Regierung am Mittwoch scharf entgegen. Stattdessen lieferte das Innenministerium eine andere Erklärung: "Entgegen dem üblichen, verabredeten Verfahren", so der Sprecher des Ressorts, sei das Auswärtige Amt nicht einbezogen worden und habe keine Kenntnis von der Schlussfassung der Antwort bekommen, "aufgrund eines Versehens des zuständigen Sachbearbeiters". Dieses "Büroversehen" hatte das Innenministerium bereits am Abend zuvor kleinlaut eingeräumt.
"Partner im Kampf gegen den IS"
Demnach wäre es üblich gewesen, am Ende, also vor der Zustellung an die Linksfraktion, den betroffenen Ressorts noch einmal die Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Das aber passierte nicht, stattdessen zeichnete der Parlamentarische Staatssekretär Ole Schröder (CDU) die Antwort. Nach Angaben seines Hauses musste er wegen des "Büroversehens" davon ausgehen, dass die beteiligten Ressorts einverstanden waren.
Das Auswärtige Amt allerdings war nach eigenen Angaben zu keinem Zeitpunkt in die Beantwortung der Anfrage eingebunden. Offen ließ man dort die Frage, was man denn getan hätte, wäre man eingebunden gewesen: ein Veto eingelegt?
Ebenfalls offen sind jetzt noch ganz andere Fragen: Wie geht es mit dem Flüchtlingsdeal weiter? Und kann man mit einem Land zusammenarbeiten, das man derart kritisch beurteilt? "Die Türkei ist aus unserer Sicht ein Partner im Kampf gegen den IS", sagte Regierungssprecher Seibert. Sie sei selbst immer wieder Ziel von Anschlägen gewesen. Was die Kooperation zwischen EU und Türkei in der Flüchtlingsfrage angehe, gebe es keinen Anlass, "dieses sinnvolle Abkommen infrage zu stellen".