50 Jahre deutsche UN-Mitgliedschaft:"Auch tiefe Gräben können überwunden werden"

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Termine gab es auch schon vor der eigenen "Geburtstagsparty": Bundeskanzler Scholz begrüßt zusammen mit Außenministerin Baerbock die Gäste vor einem Mittagessen mit den Regierungschefs kleinerer Inselstaaten. (Foto: Michael Kappeler/dpa)

Häppchen, Würste und Sauerkraut für hochrangige Regierungsvertreter aus allen Erdteilen: Deutschland feiert in New York 50 Jahre UN-Mitgliedschaft - und empfiehlt sich als Vorkämpfer des Völkerrechts.

Von Daniel Brössler, New York

Der Speisesaal im vierten Stock des UN-Gebäudes in Manhattan ist ein Ort von eher sprödem Charme, weshalb die Außenministerin um ihre Aufgabe nicht zu beneiden ist. Annalena Baerbock hat das erste Wort, sie muss die Feier jetzt in Gang setzen. "Das hier ist kein Empfang, das ist eine Geburtstagsparty" verkündet sie am Montagabend fröhlich. Gefeiert wird das 50-jährige Jubiläum der deutschen UN-Mitgliedschaft, geladen haben am Vorabend der Generalversammlung zusammen mit Baerbock Bundeskanzler Olaf Scholz, Entwicklungsministerin Svenja Schulze und Umweltministerin Steffi Lemke.

Bewirtet werden hochrangige Regierungsvertreter aus allen Erdteilen mit Häppchen, Würsten und Sauerkraut. Im Speisesaal defilieren Präsidenten, Regierungschefs und Minister an Olaf Scholz und seiner Frau Britta Ernst vorbei. Der nordmazedonische Ministerpräsident Dimitar Kovačevski begrüßt Scholz mit "high five".

An diesem Dienstag wird Scholz zum zweiten Mal vor der Generalversammlung sprechen. In seiner Festrede am Vorabend bittet der Kanzler die Gäste nun erst einmal gedanklich ins Jahr 1973. "Die Welt war geteilt. Zwei Systeme, zwei Blöcke, zwei deutsche Staaten. Und eine Mauer, die mitten durch Berlin verlief, etwa 400 Meter von meinem heutigen Büro entfernt", schildert Scholz das Jahr, in dem die beiden deutschen Staaten in die Vereinten Nationen aufgenommen wurden.

Scholz betont das deutsche "Nein zu Gewalt als Mittel der Politik"

Erst fast 30 Jahre nach dem von Deutschland entfachten Zweiten Weltkrieg hatten die Bundesrepublik und die DDR, zuvor von den UN als "Feindstaaten" eingestuft, ihren Platz in der Weltgemeinschaft einnehmen dürfen. Damals sei das Ende des Kalten Krieges und die deutsche Einheit als "Utopie in weiter Ferne" erschienen, erinnert Scholz. Eine Utopie, das ahnen die Gäste, empfiehlt Scholz auch für die Gegenwart.

Das Ende des Kalten Krieges sei eingetreten, "weil mutige Menschen in Ostdeutschland und überall in Osteuropa den Eisernen Vorhang niedergerissen haben", sagt der Kanzler. Führende Politiker und Bürger auf der ganzen Welt hätten den Mut gehabt, "daran zu glauben, dass selbst die tiefsten Gräben überwunden werden können". Scholz, der eher selten politische Vorbilder preist, kommt an dieser Stelle auf den ersten sozialdemokratischen Bundeskanzler und Friedensnobelpreisträger Willy Brandt zu sprechen. "Er verstand, was für eine Chance der Beitritt zu den UN für beide deutsche Staaten bedeutete. Eine Chance, Spannungen abzubauen", sagt er.

Eine der Bedingungen dafür sei gewesen, "jeglicher Form des Revisionismus eine Absage zu erteilen, insbesondere in Bezug auf die nach dem Zweiten Weltkrieg gezogenen Grenzen", betont Scholz. Die damaligen Prinzipien seien Teil der "politischen DNA" Deutschlands geworden. Daraus folge: "Ein Nein zu Gewalt als Mittel der Politik. Ein Nein zu Revisionismus. Und ein klares Ja zu den Versuchen, Gräben zu überwinden." Russland nennt Scholz nicht beim Namen, spricht aber unmissverständlich davon, der Imperialismus zeige "einmal mehr sein hässliches Gesicht".

Deutschland feiert sich in New York nicht nur, es empfiehlt sich auch als Vorkämpfer des Völkerrechts. Der 50. Jahrestag sei eine Erinnerung daran, dass die Vereinten Nationen auch "in Reaktion auf die furchtbaren Gräueltaten von Nazideutschland, dem Holocaust und dem Zweiten Weltkrieg" gegründet worden seien, sagt Außenministerin Baerbock. Daraus resultiere auch 50 Jahre danach "eine besondere Verantwortung", etwa für eine regelbasierte internationale Ordnung einzutreten.

Generalversammlung
:Gruppe um Russland will UN-Erklärungen blockieren

Eigentlich sollten bei der anstehenden Generaldebatte die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen bekräftigt werden. Doch in einem Brief erheben elf Länder nun Einspruch - und drohen, die geplante Erklärung zu torpedieren.

Die UN, fordert die deutsche Außenministerin, müssen modernisiert werden

Nach der Devise "Tu Gutes und rede darüber" verweisen Kanzler Scholz und die Ministerinnen in diesen Tagen bei allen sich bietenden Gelegenheiten allerdings auch auf die beträchtlichen deutschen Finanzbeiträge. "Deutschland steht zu seinen Zusagen. Wir sind der zweitgrößte Geber öffentlicher Entwicklungshilfe weltweit", betont Scholz beim Nachhaltigkeitsgipfel, der der Generalversammlung vorgeschaltet war.

Während des Vorsitzes der G 7, der Gruppe der großen westlichen Industriestaaten, habe Deutschland ein Bündnis für globale Ernährungssicherheit ins Leben gerufen. Insgesamt habe Deutschland fünf Milliarden Euro aufgewendet, "um die für die Welt dramatischste Folge des Krieges Russlands gegen die Ukraine zu bekämpfen: den Hunger".

Aus ihrem Engagement leitet die Bundesregierung wie schon ihre Vorgängerinnen recht selbstbewusst einen Führungsanspruch im UN-System ab. Alle acht Jahre ist Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten in den UN-Sicherheitsrat gewählt worden - und dabei soll es nach dem Willen von Scholz und Baerbock bleiben.

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Das "Eintreten für die Regeln der internationalen Ordnung, das Eintreten für den Frieden auf dieser Welt" leite auch die deutsche Kandidatur für den nichtständigen Sitz im Sicherheitsrat für die Jahre 2027 und 2028, sagt Baerbock. Die UN müssen modernisiert werden, fordert die Außenministerin. Die Vereinten Nationen spiegelten "die Welt des letzten Jahrhunderts und nicht die Welt dieses Jahrhunderts wider". Asien, Afrika und Lateinamerika seien im Sicherheitsrat und anderen UN-Gremien nicht ihrer Rolle entsprechend berücksichtigt.

Zumindest auf den ersten Blick passt dazu nicht die Forderung, Deutschland neben Großbritannien und Frankreich als weiteres ständiges Mitglied aus Europa in den Sicherheitsrat aufzunehmen. Diesen lange gehegten Wunsch hat die Bundesregierung zwar nicht aufgegeben. Besonders laut gesprochen wird darüber aber nicht mehr. Bei der 50-Jahre-Feier stellt sich Scholz lieber in die Tradition seines Vorgängers Brandt. "Auch tiefe Gräben können überwunden werden", sagt er, "wenn wir mit Mut, mit Kreativität und mit einem unerschütterlichen Bekenntnis zu den Prinzipien dieser unserer Vereinten Nationen zusammenarbeiten."

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