Debatte um andere Russlandpolitik:Brennende Sorge

Lesezeit: 4 min

Gedenken an Kriegsende vor 65 Jahren - Militärparade in Moskau

Eine Militärparade in Moskau zum Gedenken an das Ende des zweiten Weltkriegs (Archiv).

(Foto: dpa)

In einem offenen Brief rufen 64 Prominente zum Frieden in Europa auf. Sie warnen davor, angesichts der Ukraine-Krise Russland zu dämonisieren. Dieser Aufruf hat Gewicht, nicht nur, weil sich unter den Unterzeichnern ein Altkanzler und ein ehemaliger Bundespräsident befinden.

Von Heribert Prantl

Aufrufe gibt es wie Sand am Meer. Je länger die Namenslisten darunter sind, umso weniger finden sie üblicherweise Beachtung. Dieser Aufruf ist anders, er ist kein Sandkorn. Er hat Gewicht, weil viele Namen darunter gewichtig sind und weil ihre Sorge Gewicht hat. Es ist ein deutscher Aufruf gegen einen Krieg, auf den "Nordamerika, die Europäische Union und Russland "unausweichlich" zutrieben, "wenn sie der unheilvollen Spirale aus Drohung und Gegendrohung nicht endlich Einhalt gebieten".

Der Ukraine-Konflikt zeige, dass "die Sucht nach Macht und Vorherrschaft" nicht überwunden sei. Der Aufruf kritisiert Russland, er kritisiert auch die USA und die Europäische Union. Er sucht nicht aber nach Schuldanteilen am "verfahrenen Zustand", er sucht den Weg zur Befriedung - und er drängt die deutsche Regierung "weiterhin zum Dialog mit Moskau". Weil prominente Altpolitiker der Regierungsparteien unter den 64 Unterzeichnern sind, hat der Aufruf auch politisches Gewicht. Der Aufruf ist ein Dokument der brennenden Sorge. Die Sorge ist berechtigt.

Respektable Liste der Persönlichkeiten

Roman Herzog, der Alt-Bundespräsident von der CDU hat unterschrieben und Hans-Jochen Vogel, der alte Sozialdemokrat. Unterschrieben haben Luitpold Prinz von Bayern, der Urenkel des letzten bayerischen Königs und der Astronaut Sigmund Jähn, der Benediktiner- Pater Anselm Grün und der Altkanzler Gerhard Schröder. Unterschrieben haben Schauspieler wie Mario Adorf und Klaus Maria Brandauer, Schriftsteller wie Christoph Hein, Regisseure wie Wim Wenders, Verteidigungsexperten wie Horst Teltschik, einst Sicherheitsberater von Helmut Kohl und Walther Stützle, einst Verteidigungsstaatssekretär. Unterschrieben haben Otto Schily, der ehemalige Minister für Recht und Ordnung von der SPD, Erhard Eppler, der frühere SPD-Entwicklungshilfeminister, Antje Vollmer, die frühere Vizepräsidentin des Bundestags von den Grünen und Burkhard Hirsch, der frühere Vizepräsident des Bundestags von der FDP.

Die Liste der Persönlichkeiten ist respektabel. Sie verurteilen die russische Annexion der Krim als völkerrechtswidrig, fordern gleichwohl eine neue Entspannungspolitik und einen vorurteilsfreien Umgang mit Russland. "Wir dürfen Russland nicht aus Europa hinausdrängen", heißt es in dem Aufruf. "Das wäre unhistorisch, unvernünftig und gefährlich für den Frieden".

Der Altkanzler hat Recht

Der Aufruf ist Ausdruck einer berechtigten Befürchtung, die auch den Altkanzler Helmut Kohl in seinem jüngsten Europa-Buch plagt: "Im Ergebnis müssen der Westen genauso wie Russland und die Ukraine aufpassen, dass wir nicht alles verspielen, was wir schon einmal erreicht haben". Der Altkanzler hat Recht. Es ist viel schief gelaufen im europäisch-russischen und auch im deutsch-russischen Verhältnis, seitdem Putin am 25. September 2001 in überwiegend deutscher Sprache seine Rede im Bundestag gehalten hat. Und es wäre furchtbar, wenn es Europa nach der russischen Annexion der Krim so erginge wie Israel nach der Ermordung von Jitzchak Rabin.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema