Großbritannien:Camerons verblüffende Rückkehr

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Der frühere Premier David Cameron (links) verlässt am Montag zusammen mit Unterstaatssekretär Philip Barton den Regierungssitz in London - diesmal als Außenminister. (Foto: Tayfun Salci/Imago)

Der frühere Premierminister ließ über den Brexit abstimmen - und besiegelte damit auch das Ende seiner politischen Karriere. Oder nicht? Jetzt wird Cameron überraschend britischer Außenminister.

Von Alexander Mühlauer, London

Als David Cameron wie aus dem Nichts am Montagmorgen in London in der Downing Street auftauchte, begrüßte er die Journalisten mit einem knappen "Morning". Es dauerte ein wenig, bis einer Cameron fragte, ob er Außenminister werde, aber da war er schon fast hinter der schwarzen Tür mit der Nummer zehn verschwunden. Sein Auftritt war so überraschend, so sensationell, dass es einige Reporterinnen gar nicht glauben konnten: David Cameron, really?

In den vergangenen Jahren hat man manchen Premierminister in der Downing Street kommen und gehen sehen, aber damit hatte wohl niemand gerechnet: Der frühere Premier David Cameron ist wieder da - und wird Außenminister Großbritanniens. Ausgerechnet Cameron, der 2016 das Brexit-Referendum zu verantworten hatte. Er war es, der die Frage der EU-Mitgliedschaft ein für alle Mal geklärt haben wollte und deshalb die Bevölkerung über Verbleib oder Austritt abstimmen ließ. Cameron versuchte damit seine eigene Macht zu sichern; er war davon überzeugt, dass schon nichts passieren würde. Es kam anders: Eine knappe Mehrheit stimmte für den Brexit - und beendete damit seine Amtszeit.

Cameron soll Sunak bei der Aufholjagd helfen. Der Rückstand ist groß

Von 2010 bis 2016 war Cameron Premierminister. Nun wird er mit 57 Jahren Außenminister unter Rishi Sunak, einem Premier, der, anders als Cameron, für den Brexit gestimmt hat. Wie das zusammenpassen soll, wissen die beiden womöglich selbst noch nicht genau. Cameron jedenfalls ließ nach seiner Ernennung ein Statement verschicken, in dem er auf manche Meinungsverschiedenheit Bezug nahm: "Auch wenn ich mit einigen einzelnen Entscheidungen nicht einverstanden war, ist für mich klar, dass Rishi Sunak ein starker und fähiger Premierminister ist, der in einer schwierigen Zeit eine beispielhafte Führungsrolle übernimmt." Er, Cameron, wolle ihm helfen und "Teil des stärksten Teams sein, das dem Vereinigten Königreich dient und dem Land bei den Parlamentswahlen präsentiert werden kann".

Gewählt wird spätestens im Januar 2025, vermutlich früher. Wann es so weit ist, entscheidet der Premierminister. Und der liegt in den Umfragen weit hinter Labour. Seit Sunak vor gut einem Jahr in 10 Downing Street eingezogen ist, beträgt der Rückstand seiner Tories ziemlich konstant 20 Prozent. Nun soll ihm Cameron bei der Aufholjagd helfen. Doch die Frage, die Sunak sich erst einmal gefallen lassen muss, ist: Warum holt er, der sich als Premier des Wandels inszeniert, jemanden in sein Kabinett, der für einiges steht, aber nicht für Wandel?

Der Labour-Abgeordnete Pat McFadden sieht es so: "Vor ein paar Wochen sagte Sunak, Cameron sei Teil des gescheiterten Status quo, jetzt holt er ihn als Rettungsanker zurück. Damit ist die lächerliche Behauptung des Premierministers, dass er nach 13 Jahren des Versagens der Tories einen Wandel anbieten will, hinfällig." 13 Jahre, so lange regieren die Tories nun schon ohne Unterbrechung. Die längste Zeit davon führte Cameron die Geschäfte in Downing Street.

Er ist jetzt auf Lebenszeit im Adelsstand

Was die Außenpolitik betrifft, so bleibt, neben dem Brexit-Referendum, vor allem in Erinnerung, dass Cameron als Premierminister keine Scheu davor hatte, Geschäfte mit Peking zu machen. Ob er immer noch so chinafreundlich ist, wird sich zeigen. Fest steht zumindest, dass die Mehrheit der Tory-Abgeordneten kein Interesse daran hat, sich der Volksrepublik anzunähern. Viele sehen Camerons Berufung deshalb mit Argwohn.

In seiner ersten Stellungnahme als foreign secretary teilte der Neue mit, das Vereinigte Königreich werde seinen "Verbündeten zur Seite stehen" und "sicherstellen, dass unsere Stimme gehört wird", wenn es um Herausforderungen vom Nahen Osten bis zur Ukraine gehe. So klingt einer, dem es an Selbstbewusstsein nicht mangelt. Man kann davon ausgehen, dass Cameron seine neue Rolle für sich zu nutzen weiß. Auch wenn er, wie er sagt, in den vergangenen Jahren "nicht mehr an vorderster Front in der Politik tätig war", hoffe er doch, dass ihm seine Erfahrung dabei helfe: "Ich war elf Jahre lang Vorsitzender der Konservativen und sechs Jahre lang Premierminister."

Wird er noch einmal Chef der Tories?

Damit Cameron überhaupt Außenminister werden konnte, wurde er auf Lebenszeit in den Adelsstand erhoben, life peerage nennt man das in Großbritannien. Er ist nun Mitglied des House of Lords und erfüllt so die Voraussetzung, um Minister zu sein. Nach der ungeschriebenen Verfassung Großbritanniens geht das nur, wenn man entweder Mitglied des Unterhauses ist oder dem Oberhaus angehört. Vermutlich war für Cameron das Angebot einer life peerage durchaus überzeugend, um die neue Rolle anzunehmen.

Cameron entstammt ohnehin der britischen Oberklasse, ebenso wie seine Frau Samantha. Er besuchte das Eton College und studierte in Oxford. Danach folgte ein Leben für die Politik, das mit dem Brexit-Referendum ein abruptes Ende fand, jedenfalls vorläufig. Danach tauchte Cameron erst mal ab, schrieb seine Memoiren und arbeitete als Lobbyist für Lex Greensill, einen australischen Milliardär. Zuletzt war Cameron Vorsitzender einer Wohltätigkeitsorganisation, die sich der Alzheimer-Forschung verschrieben hat.

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Ins politische Tagesgeschäft hatte sich Cameron schon lange nicht mehr eingemischt. Erst vor einem Monat, als Premier Sunak den Ausbau der Hochgeschwindigkeitszugstrecke HS2 von London nach Manchester stoppte, meldete er sich zu Wort. Er bezeichnete die Entscheidung als grundfalsch. Der Premier gebe mit dem Baustopp einen parteiübergreifenden Konsens auf, der 15 Jahre lang gehalten habe, kritisierte Cameron. Vom früheren Labour-Premier Gordon Brown bis zur Tory-Premierministerin Liz Truss herrschte Einigkeit darüber, dass HS2 gebaut werden müsse. Camerons Kritik an Sunak war eindeutig: "In den kommenden Jahren werden viele zurückschauen und sich fragen, wie diese einmalige Gelegenheit verloren gehen konnte."

Ob Cameron am Kabinettstisch ebenso klare Worte wählt, wenn er mit etwas nicht einverstanden ist, wird sich zeigen. Schon jetzt laufen in London Wetten, dass er im Fall einer Wahlniederlage Sunaks das werden könnte, was er schon einmal war: Parteivorsitzender der Tories.

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