Dänemark:Wie ein Attentat ein Land verändert

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Polizisten schützen die Trauerfeier für den jüdischen Wachmann Dan Uzan. (Foto: AFP)

Der Ton wird schärfer: Nach den Anschlägen in Kopenhagen fordert die Opposition härtere Kontrollen und Einwanderungsregeln. Unter den 300 000 Muslimen im Land wächst die Furcht.

Von Silke Bigalke, Kopenhagen

Die Moschee an der Rovsingsgade ist die größte Skandinaviens. Sie liegt im Kopenhagener Stadtteil Nørrebro, der hohe Einwandereranteil ist sichtbar, die Namen der Geschäfte sind hier türkisch und arabisch. In Nørrebro wohnte der Attentäter Omar Abdel Hamid El-Hussein. Hier erschoss ihn die Polizei am frühen Sonntagmorgen, nachdem er zwei Menschen getötet und fünf verletzt hatte. Die Tat des 22-Jährigen war offenbar vom radikalislamischen IS inspiriert worden.

"Er hat doch nicht einmal gewusst, in welcher Richtung Mekka überhaupt liegt", sagt Jehad Al-Farra, Sprecher des Dänischen Islamischen Rats, über den Täter. Über diesen weiß er nur, was in den Zeitungen steht: dass die Eltern wohl Palästinenser seien, eingewandert aus Jordanien. Er selbst hasste die Juden, konnte man da lesen, war ein guter Schüler, der irgendwann auf die schiefe Bahn geriet, Drogen nahm, gewalttätig wurde und ins Gefängnis kam. "So ein Junge ist ein gutes Werkzeug für Extremisten, einer, der keine Zukunft für sich sieht", sagt Al-Farra.

Gleich am Sonntag nach den Anschlägen haben sich die muslimischen Gruppen Kopenhagens in der Moschee getroffen und sich gemeinsam vor die Kameras gestellt, die Tat verurteilt. Doch das wird nicht viel helfen, befürchtet Al-Farra. "Die Rechten werden dies bis zum Maximum ausnutzen, jedes Detail, und es gegen die Muslime einsetzen", sagt er. "Wir haben bald Wahlen in Dänemark."

"Wir kämpfen gegen den IS, denn er verwandelt Muslime in Extremisten"

Al-Farra sitzt an diesem Abend allein in der großen Empfangshalle der Moschee, deren Bau in Kopenhagen umstritten war. Sie ist schön geworden, ganz modern, tropfenförmige Lampen hängen über türkisfarbenen Sofas. "Wir bemühen uns sehr, den jungen Menschen hier einen moderaten Islam beizubringen", sagt er. "Wir kämpfen gegen den IS, denn er verwandelt Muslime in Extremisten." Und die stürzten die gesamte muslimische Gemeinde in Probleme. Vor allem die Dänische Volkspartei stellte muslimische Einwanderer immer wieder als Gefahr für die Gesellschaft dar.

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Auch nach den Anschlägen dauerte es nicht lange, bis die ersten Parteimitglieder der Einwanderungspolitik der anderen Parteien Schuld an dem Unglück gaben. Auch wenn sich die Mehrheit noch zurückhält: Der Ton wird nun sicher schärfer. Die Opposition wird mehr Strenge gegenüber auffällig gewordenen Ausländern fordern, es wird um Passentzug und Ausweisung gehen. Die Regierung stellte am Donnerstag ihr lange geplantes Anti-Terror-Paket vor. Die Geheimdienste sollen gestärkt, Verdächtige besser überwacht werden. Außerdem möchte man nun mehr gegen Radikalisierung in Gefängnissen unternehmen.

"Es ist alles so unwirklich, ich stehe immer noch unter Schock"

110 mutmaßliche Gotteskrieger sind laut Nachrichtendienst PET bisher aus Dänemark nach Syrien und in den Irak aufgebrochen. Im Verhältnis zur großen muslimischen Gemeinde in Dänemark mit etwa 300 000 Mitgliedern sind die Extremisten eine sehr kleine Gruppe. Aber sie sind sichtbar. Als die Kopenhagener dort, wo der Täter El-Hussein starb, Blumen ablegten, kamen vermummte Männer und nahmen sie weg, Blumen widersprächen der islamischen Lehre. El-Hussein sei ihr Bruder gewesen, sagten die Männer.

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Die Blumen vor der Synagoge im Zentrum der Stadt, vor der El-Hussein in der Nacht zum Sonntag den jüdischen Wachmann Dan Uzan erschoss, bedecken längst den gesamten Bürgersteig. Uzan hatte sich freiwillig gemeldet, um die Bat-Mizwa-Feier von Mette Bentows zwölfjähriger Tochter zu schützen. "Es ist alles so unwirklich, ich stehe immer noch unter Schock", sagt die dreifache Mutter am Donnerstag. Die dänische Gesellschaft habe die Bedrohung gegen die Juden nie ernst genommen. Sogar jetzt noch sagten manche, dies sei kein Terrorismus, sondern lediglich die Tat eines einzelnen Verrückten. "Das lässt einen verzweifelt zurück", sagt Bentow. Sie habe heute mehr Angst als zuvor. Angst vor wem?

Dan, der ermordete Wachmann, habe Juden, Muslime und Christen als Freunde gehabt, sagt Bentow. "Er würde nicht wollen, dass wir jemandem die Schuld geben. Natürlich sind nicht alle Muslime Terroristen." Trotzdem befürchtet sie, dass Politiker die Tragödie nun für ihre Zwecke verwenden werden. "Das ist eine Schande. Sie sollten dies nutzen, um zu einen, nicht um zu spalten."

Al-Farra vom Rat der Muslime sagt, er verstehe, wenn sich Juden bedroht fühlen. Für den getöteten Dan Uzan empfinde er großen Respekt. "Ich habe kein Verständnis für Menschen, die den Konflikt aus dem Mittleren Osten hier nach Dänemark bringen." In einer modernen westlichen Gesellschaft müsse man andere Lösungen finden. In der Moschee in Nørrebro gibt es eine schwarz-weiß bemalte Wand, auf der sie positive und negative Aussagen über den Islam gesammelt haben, auch Zitate der Dänischen Volkspartei: Der Islam sei eine Gefahr für jede Gesellschaft, steht da.

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Al-Farra ist orthopädischer Chirurg, er arbeitet seit 23 Jahren in einem dänischen Krankenhaus. Im August 2013 ist er als Arzt nach Syrien gereist. Viele junge Leute fragten ihn, wie sie selbst in Syrien helfen könnten. "Wir antworten: Ihr könnt nichts tun. Ihr kennt das Land nicht, die Sprache nicht, ihr wisst nicht, wer für den IS arbeitet und wer für andere Gruppen." Er rät den Jugendlichen stattdessen, sich auf ihre Ausbildung zu konzentrieren, denn die Konkurrenz in Dänemark sei für sie besonders hart. "Deswegen müssen sie besonders gut sein", sagt er.

Und wenn ihn einer fragt: "Warum hassen die uns so?", dann erklärt ihm Al-Farra, dass auch die Dänen nicht alle gleich seien. Manche hassten die Muslime, manche liebten sie, die meisten aber beurteilten sie nach ihren Taten.

© SZ vom 20.02.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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