Coronavirus in Österreich:"Da gab es massiven Druck der Tourismusindustrie"

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Von Ischgl aus hat sich das Coronavirus weltweit noch einmal weiter verbreitet. (Foto: dpa)
  • Warnungen vor dem Coronavirus zum Trotz wurde im österreichischen Ischgl bis Mitte März weiter Ski gefahren und beim Après-Ski gefeiert.
  • Ein Verbraucherschutz-Anwalt will nun all jene zusammenbringen, die sich beim Skiurlaub in Tirol mit Sars-CoV-2 angesteckt haben.
  • Bereits 4500 Betroffene haben sich laut eigener Aussage bei ihm gemeldet.

Von Peter Münch, Wien

Peter Kolba hat viel zu tun in diesen Tagen des Stillstands: Tausende Mails hat er bekommen, unzählige Telefonate und Zoom-Gespräche zu bewältigen. Denn Österreichs bekanntester Verbraucherschutz-Anwalt hat sich in einen neuen Fall gestürzt: Ischgl und das Corona-Chaos.

Mit großen Fällen kennt sich Kolba aus. In den fast drei Jahrzehnten, in denen er beim VKI, dem österreichischen Verein für Konsumenteninformation arbeitete, hat sich der 61-Jährige nach der Finanzkrise mit Banken angelegt oder mit VW im Dieselskandal. Nach einem kurzen Intermezzo in der Politik gründete er 2018 den privaten Verein zum Schutz von Verbraucherinteressen. Weit über Österreichs Grenzen hinaus will er nun all jene zusammenbringen, die sich beim Skiurlaub in Tirol mit dem Coronavirus angesteckt haben. Weil Kolba dahinter ein Behördenversagen vermutet, will er mit vereinten Kräften für die Betroffenen Entschädigungen erstreiten.

Geschehen soll dies per Sammelklage. "Aber erst einmal ist das eine Sammelaktion", sagt Kolba. Bislang hätten sich schon 4500 Betroffene bei ihm gemeldet. Nur drei Prozent, so rechnet er vor, seien aus Österreich; der Großteil, nämlich drei Viertel, stamme aus Deutschland. Auch aus den Niederlanden seien Erkrankte dabei, aus Skandinavien und Großbritannien. "Die Highlights kommen aus Japan, aus den Vereinigten Arabischen Emiraten und viele aus Israel", sagt er.

Noch steht die Auswertung der Fragebögen, die es auf Deutsch und Englisch gibt, ganz am Anfang. Aber deutlich ist jetzt schon, dass sich von Ischgl und anderen Tiroler Skigebieten aus eine Infektionskette quer durch Europa und darüber hinaus zieht. Kolba glaubt, das wäre zu verhindern gewesen, zumal zum Beispiel die Behörden in Island nach der Rückkehr zahlreicher erkrankter Skiurlauber aus Tirol die Region schon Anfang März zum Risikogebiet erklärt hatten. Dort wurde jedoch noch bis Mitte März weiter Ski gefahren und beim Après-Ski gefeiert. "Das war eine kommerzielle Überlegung", glaubt Kolba. "Da gab es massiven Druck der Tourismusindustrie. Der Dachverband der Seilbahnen hat einen sehr großen Einfluss auf die Politik."

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Politik heißt in diesem Fall vor allem ÖVP. Die konservative Partei regiert in Tirol und unter dem österreichischen Kanzler Sebastian Kurz auch im Bund. Zur Aufklärung hat Kolba bereits am 24. März eine Strafanzeige in Innsbruck eingebracht. Allzu großes Vertrauen hat er jedoch wegen der "Verfilzung von Politik, Wirtschaft und Behörden" auch in die dortige Staatsanwaltschaft nicht. Deshalb dringt er darauf, die Ermittlungen nach Wien zu verlagern zur dortigen Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft. Eingeschaltet hat er dafür auch schon Justizministerin Alma Zadić, schließlich kennt er die Grünen-Politikerin gut. "Das hilft aber auch nicht", sagt Kolba, "die Grünen sind ausgesprochen vorsichtig, dass sie der ÖVP keine Probleme bereiten."

Gemeinsam mit Zadić war Kolba 2017 für die Liste Pilz in den Wiener Nationalrat eingezogen. Doch während sie anschließend bei den Grünen Karriere machte, zog er sich nach nur sieben Monaten als Abgeordneter aus der Politik zurück. "Da wird viel geredet und wenig weitergebracht", urteilt er. Als Verbraucherschützer ist er nun wieder in seinem angestammten Metier und ganz in seinem Element.

In der angestrebten Klage will Peter Kolba die Republik Österreich in die Verantwortung nehmen. Der Schadenersatz, so rechnet er vor, könne schnell in die Millionen gehen. Doch vielen der Betroffenen gehe es gar nicht vorrangig ums Geld, sagt er. Ihnen würde wohl schon das Eingeständnis von Fehlern reichen und eine Entschuldigung.

© SZ vom 14.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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