Pandemiepolitik:Und nun?

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"Wir können die Pandemie für Deutschland zum ersten Mal beenden mit der Impfpflicht", sagt Gesundheitsminister Lauterbach im Bundestag. (Foto: Michael Kappeler/dpa)

Bei der ersten Debatte zu einer möglichen Impfpflicht spürt man im Bundestag vor allem eins: Ratlosigkeit. Ein Kompromiss muss her - scheint derzeit aber nicht in Sicht.

Von Angelika Slavik, Berlin

Die Debatte läuft schon mehr als eine Stunde, als Emilia Fester ans Rednerpult tritt. Sie sei, sagt die Grünen-Abgeordnete, zu Beginn der Pandemie 21 Jahre alt gewesen. "Wissen Sie, was Sie gemacht haben, als Sie 21 waren?", fragt sie ins Plenum. Dann zählt sie auf, was sie in den vergangenen zwei Jahren alles verpasst habe: "Ich war nicht in der Uni, ich war nicht im Ausland. Ich habe kein Museum und kein Festival besucht. Ich habe nicht einmal eine Person, die ich noch nicht kannte, geküsst." Diese Verluste könne man natürlich lächerlich finden, sagt die Abgeordnete, aber sie finde es vor allem lächerlich, die Impfung zu verweigern. Wenn all die "Freunde der Freiheit" sich hätten impfen lassen, "dann wäre ich jetzt wieder frei", ruft Fester. "Dann wären wir alle wieder frei!" Nicht die Impfpflicht sei eine Zumutung, sondern keine Impfpflicht. Noch Minuten nach ihrer Rede, als sie längst zu ihrem Platz zurückgekehrt ist, ist sie merklich aufgewühlt.

Festers Auftritt ist ein rare emotionale Ausnahme in einer ansonsten zähen Debatte. Der Bundestag berät am Donnerstag zum ersten Mal über die mögliche Einführung einer allgemeinen Impfpflicht zur Bekämpfung der Corona-Pandemie - aber in den vergangenen Monaten des öffentlichen Ringens wurden alle Argumente längst ausgetauscht. Insgesamt fünf verschiedene Gruppenanträge liegen vor, sie reichen von einer kompletten Ablehnung der allgemeinen Impfpflicht bis zu einer verpflichtenden Corona-Impfung für alle Erwachsenen in Deutschland. Hinter den Vorschlägen stehen jeweils Gruppen von Abgeordneten aus unterschiedlichen Parteien, einen Entwurf der Regierung gibt es nicht.

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Dieses Prozedere über Gruppenanträge begründeten die Ampelparteien damit, dass es bei dieser besonders heiklen Frage für die Abgeordneten möglich sein müsse, jenseits aller Fraktionsdisziplin nur nach ihrem eigenen Gewissen zu entscheiden. Aber die Sache zieht sich. Die Erarbeitung der Entwürfe dauerte Monate, nun gibt es hinter keinem der Anträge eine klare Mehrheit. Hinter den Kulissen ringen jene, die grundsätzlich für eine Impfpflicht sind, um einen Kompromiss - aber zumindest bei der Debatte im Plenum zeichnet sich der noch nicht ab.

Zur Impfpflicht ist längst alles gesagt und alles gehört

Impfpflicht für alle über 50 Jahre, Impfpflicht für alle Erwachsenen, Impfpflicht je nach Infektionslage im Herbst: Es ist längst alles gesagt und alles gehört. Die Opposition stichelt, die Gruppenanträge gebe es ohnehin nur, um die Zerrissenheit der Koalition in dieser Frage zu kaschieren. "Zum jetzigen Zeitpunkt ist die Impfpflicht tot", sagt Sepp Müller, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Union. "Es gibt keine eigene Mehrheit der Ampel für eine Impfpflicht ab 18." Die Union will ein Impfregister einführen, "damit wir wenigstens wissen, wer geimpft ist", wie Müller sagt. Die Impfpflicht soll nach den Vorstellungen von CDU/CSU sozusagen auf Vorrat beschlossen werden - und im Herbst nur in Kraft treten, wenn es die Infektionslage verlangt.

Heike Baehrens, gesundheitspolitische Sprecherin der SPD, sagt, die Impfpflicht sei notwendig, um endlich mal "vor die Welle" zu kommen. Man stelle sich vor, was alles möglich wäre, gäbe es heute schon eine Impfquote von 90 Prozent, argumentiert Baehrens. Sie will eine Impfpflicht für alle Volljährigen.

Wie also weitermachen? Robert Habeck, der Bundeswirtschaftsminister von den Grünen, meldet sich auch zu Wort. Das Prozedere mit den Gruppenanträgen "entbindet uns natürlich nicht von der Pflicht, eine Lösung zu finden", sagt er. "Die individuelle Gewissensentscheidung kann nicht dazu führen, dass wir der Verantwortung zum Wohl der Menschen in diesem Land nicht gerecht werden." Es gehe nicht um die aktuelle Situation, sondern darum, sich über alle möglichen Szenarien Gedanken zu machen - das Virus habe in den vergangenen Jahren seine Wandlungsfähigkeit bewiesen. Er sei für die Impfpflicht ab 18. "Die Freiheitsinterpretation der wenigen darf nicht zu permanenten Freiheitseinschränkungen der vielen führen. Das kann nicht der Deal sein."

Alice Weidel von der AfD findet hingegen die ganze Diskussion obsolet - in anderen Ländern gebe es auch keine Impfpflicht: Auch Österreich habe seine wieder ausgesetzt, weil sie in der aktuellen Lage als nicht verhältnismäßig eingestuft werde.

Andrew Ullmann von der FDP ist für eine verpflichtende Beratung für alle Ungeimpften

Andrew Ullmann von der FDP ist die prominenteste Stimme für eine verpflichtende Beratung für alle Ungeimpften. Dies sei "ein milderes Mittel im Vergleich zur Impfpflicht". Erst wenn das nicht zu einer höheren Impfquote führe, will er alle über 50 Jahre zur Impfung verpflichten. Seine Parteikollegin Katrin Helling-Plahr unterstützt dagegen die Impfpflicht für alle: "Freiheit ist nicht nur Freiheit von Spritzen", argumentiert sie. "Freiheit ist, auch in Schulen und Kitas zu lernen und zu spielen." Dem eigenen Beruf nachzugehen oder im Krankenhaus behandelt zu werden, ohne auf das Abflachen der aktuellen Corona-Welle warten zu müssen - auch all das bedeute Freiheit.

Dann, als letzter Redner, ergreift der Bundesgesundheitsminister das Wort. Man sei seit Beginn der Pandemie nun zum ersten Mal in einer Situation, in der es möglich sei, mit einer höheren Impfquote die Pandemie für Deutschland zu beenden, sagt Karl Lauterbach (SPD). Dies sei "eine einmalige Chance", die man unbedingt nutzen müsse. "Ohne eine Impfpflicht stehen wir im Herbst an der gleichen Stelle wie jetzt", sagt Lauterbach. Die Wahrscheinlichkeit, ohne höhere Impfquote keine Schwierigkeiten bei der Pandemiebekämpfung zu bekommen, "liegt bei fast null Prozent".

Dann der nächste Tagesordnungspunkt - über die Impfpflicht soll im April entschieden werden.

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