Claudia Roth über die Sondierungen:"Ich habe bewusst nicht den Dobrindt gegeben"

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Schwarz-grüne Kombination: Claudia Roth auf dem Weg zum vorletzten Sondierungsgespräch am 18. November. (Foto: Hannibal Hanschke/Reuters)

Nach dem Sondierungs-Aus schwärmt die Grüne Claudia Roth von der Geschlossenheit der grünen Verhandler und erklärt, warum die CSU kein guter Gesprächspartner war.

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Sie gehört zu den Kämpfernaturen der Grünen, und beim Parteitag an diesem Samstag dürfte Claudia Roth nicht nur mit Lob und Blumen eingedeckt werden. Die 62-Jährige hat bei den Jamaika-Sondierungen das schwierige Thema Migration verhandelt. Die Kompromisse, die sie mit Union und FDP zu schließen versuchte, gehörten zu den schmerzhaftesten Zugeständnissen der Grünen. Das Ende von Jamaika hat Roth kalt erwischt, von einer Niederlage der Grünen aber will sie nichts hören.

SZ: Fra u Roth, als die FDP die Jamaika-Sondierungen abgebrochen hatte, lagen sich Grüne und Schwarze plötzlich in den Armen. Wie erklären Sie dem Parteitag am Samstag, was passiert ist?

Claudia Roth: Ich fange mal bei uns selber an. Ich fühle eine ganz starke grüne Renaissance. Was wir da hingekriegt haben, diese Geschlossenheit und Entschlossenheit in unserem Verhandlungsteam, zwischen sehr unterschiedlichen Charakteren, das hat uns stark gemacht. Das muss stilbildend sein für unsere Partei. Wir sind flügelübergreifend geflogen, das war richtig gut.

Nach dem Flug kam allerdings die harte Landung.

Der ganze Prozess war nicht so romantisch. Alle Parteien sind gleich? Von wegen. Und wenn ich jetzt Herrn Lindner klagen höre, er sei nicht gut behandelt worden, frage ich: Wer hat denn die grüne Flüchtlingspolitik als Konjunkturprogramm für die AfD bezeichnet? Herr Lindner. Das tägliche Grünen-Mobbing, das war Herr Dobrindt. Diese Boygroup Lindner-Dobrindt-Spahn hat wohl gedacht, die Grünen koffern wir mal an, vielleicht um die Kanzlerin zu treffen. Und in den Armen gelegen haben Grüne und Schwarze sich nicht. Aber man hat gelernt, einander mehr zu respektieren in aller Unterschiedlichkeit. Man hat Neugier aufeinander entwickelt. Und wir haben Kompromisse angeboten, ohne eigene Werte und Prinzipien zu verraten.

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Halten Ihre Anhänger es nicht für Verrat, dass Sie am Schluss bereit waren, bei sicheren Herkunftsstaaten nachzugeben und beim Familiennachzug für Flüchtlinge Kompromisse zu schließen?

Wir haben jetzt so eine Art Legendenbildung. Das hätte die CSU gern so gehabt. Aber so war es nicht.

Wie war es dann?

Wir haben als Einzige dafür gekämpft, dass der Familiennachzug wieder uneingeschränkt möglich wird. Die restriktivsten Vorschläge kamen hier sowohl von der CSU als auch von der FDP. Die wollten Familiennachzug eigentlich gar nicht. Dann haben sie gesagt: Aussetzung für zwei Jahre. Und den sicheren Herkunftsländern haben wir auch nicht zugestimmt.

Aber Sie standen kurz davor, es zu tun.

Waren Sie dabei oder ich?

Sie.

Gut. Im Papier zur Migration gab es keinen abschließenden Konsens. Natürlich haben wir über Rückführungszentren für Flüchtlinge geredet. Aber wir haben nicht akzeptiert, dass solche Zentren in ganz Deutschland aussehen sollen wie in Bayern. Ankunft und Ausreise wollen wir strikt voneinander trennen. Wir haben auch über das gemeinsame europäische Asylsystem gesprochen und über die Einteilung in sichere Herkunftsländer. Aber es gab hier keine Einigung. Die gab es bei einem Einwanderungsgesetz, das Asylbewerbern einen Spurwechsel in den Arbeitsmarkt ermöglicht. Klar war dabei: Das Grundrecht auf Asyl ist für uns nicht verhandelbar. Eine Begrenzung darf es nicht geben. Anders als die Union und FDP haben wir darum abgelehnt, dass der Bundestag über eine Zahl der humanitären Aufnahmen entscheiden kann, sondern einen Planungsrahmen vorgeschlagen.

Ist Jamaika am Mangel an Vertrauen gescheitert?

Es war von Anfang an extrem schwierig, dass dauernd irgendwelche Zwischenstände und Interpretationen der Gespräche nach draußen getragen wurden. Da wurde sehr interessensgeleitet informiert. Das hat die Gespräche nicht leichter gemacht.

Über die Fehler der anderen haben wir gesprochen. Welche haben Sie gemacht?

Die entscheidende Sache haben wir richtig gemacht. Wir haben uns während der Verhandlungen nicht dauernd ein Hintertürchen offen gelassen. Wir haben alle ernsthaft versucht, es hinzubekommen. Da bin ich mir bei anderen nicht sicher.

Sie haben während der Sondierungen deutlich gemacht, wo Sie bereit sind nachzugeben. Stehen Sie im Fall neuer Sondierungen jetzt politisch nackt da?

Im Gegenteil. Wir haben uns schlicht und einfach auf diese Sondierungen eingelassen. Zur Politikfähigkeit gehört der Mut, Kompromisse anzubieten. Und was wir gemacht haben - da gehört viel Mut dazu. Sicher, ich hätte mich hinstellen und sagen können: Alles, was unser Programm ist, ist unverrückbar. Ich habe aber bewusst nicht den Dobrindt gemacht. Der hatte am Anfang erklärt, das Regelwerk zur Migration der Union sei nicht verhandelbar. Das wäre eigentlich das Ende von Verhandlungen gewesen, und das war auch der Kanzlerin klar. So kann man nicht sondieren.

Aber jeder weiß jetzt, was den Grünen nicht so wichtig ist. Die Vermögensteuer und das Ausstiegsdatum beim Verbrennungsmotor galten erst als unverzichtbar, wurden aber schnell abgeräumt. Können Sie das glaubhaft noch mal fordern?

Noch mal: Wir haben im Rahmen unserer Möglichkeiten kompromissbereit, aber prinzipienfest verhandelt. Anders wäre es, wenn wir gesagt hätten, das Grundrecht auf Asyl könne man vielleicht doch ein bisschen begrenzen, weil der Seehofer ein klitzekleines bisschen recht hätte - dann hätten wir in der Tat ein Problem. Genau das aber haben wir nicht. Das Gleiche gilt für den Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor. Hätten wir gesagt: Na ja, so ganz ernst war es uns nicht damit, dann hätten Sie recht. Dann könnten wir das nicht mehr fordern. Aber so war es nun mal nicht. Und das aus einem guten Grund: Wir als eine Partei mit knapp neun Prozent Wählerstimmen können nicht so tun, als würden wir hundert Prozent durchsetzen. Wer das behauptet oder suggeriert, ist nicht besonders standhaft, sondern unrealistisch.

Was bekommen Sie für Rückmeldungen aus der Partei?

Ich habe jedenfalls noch keinen Antrag aus der Partei erhalten, dass ich ausgeschlossen werde sollte wegen Verrats an den grünen Prinzipien. Aber Spaß beiseite: Es gibt die Neugier, wie weit das alles ging. Es gibt die Frage: Was habt ihr wie gemacht? Und das ist auch logisch; es wäre merkwürdig, wenn uns unsere Leute nicht kritisch hinterfragen würden. Aber es gibt keine Proteste, eher Anerkennung. Nach dem Motto: Man hat euch kämpfen sehen, hat euch ringen sehen. Das war gut.

Wäre es jetzt - mit viel öffentlicher Anerkennung im Rücken - kein guter Zeitpunkt, neue Gesichter an die Spitze zu holen?

Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt, um über eine Neuaufstellung zu reden. Wir haben eine Wahl und gerade sehr schwere Sondierungen hinter uns. Wir haben in der 14er-Runde der grünen Sondierer sehr gut zusammengearbeitet. Jetzt kommt am Wochenende erst einmal der Bundesparteitag, und dann schauen wir weiter.

Bei den Grünen hört man immer wieder den Wunsch nach neuen Gesichtern. Cem Özdemir hat angekündigt, nicht wieder als Parteichef anzutreten. Wäre der schleswig-holsteinische Umweltminister Robert Habeck der richtige Nachfolger?

Ich muss erst mal wissen, was ansteht. Stünden Neuwahlen im Raum, wäre es aus meiner Sicht nicht nachvollziehbar zu sagen: Jetzt machen wir ein neues Programm und fangen auch mit der Urabstimmung noch mal neu an. Eine Wiederholung der Wahl würde doch die Frage ins Zentrum stellen: Wer war eigentlich politikfähig? Und wer war auf der Verweigerer-Seite? Da können wir uns nach den Sondierungen sehen lassen.

Warum haben Sie Angst, sich festzulegen?

Nix Angst. Weitsicht. Die 14er-Runde hat etwas Besonderes gezeigt. Sie hat gezeigt, dass wir flügelübergreifend eng kooperieren können. Nehmen Sie das Flüchtlingsthema - da ging es überhaupt nicht um Realos gegen Linke oder Verantwortungsethiker gegen Gesinnungsethiker. Das ging Hand in Hand. Beim Verkehr - genau dasselbe; bei Europa - wieder genau dasselbe. Deshalb sind Personalspekulationen jetzt wenig hilfreich. Den Flügel im Herzen zu haben und trotzdem an einem Strang zu ziehen - das ist das Große.

© SZ vom 24.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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