Dass die Grünen so selbstbewusst und einig daherkamen wie in diesen Tagen, ist viele Jahre her. Die Gespräche über eine Jamaika-Regierung sind zwar geplatzt - und damit die Hoffnung, in Zeiten des Rechtsrucks ein bürgerlich-liberal-grünes Regierungsbündnis zimmern zu können. Nix gibt's, auch keine Posten für Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir. Das grüne Verhandlungsteam aber hat sich etwas erworben, das sich als wertvoller erweisen könnte als die Beteiligung an einer Problemregierung: Respekt. Die Partei sollte diese strategisch günstige Lage nutzen, auch für eine Erneuerung beim eigenen Spitzenpersonal.
Nun kann man sich natürlich fragen, warum ausgerechnet die Grünen nach dem Aus für Jamaika neue Gesichter in der ersten Reihe liefern sollten. Göring-Eckardt und Özdemir haben sich mit den Sondierungen Ansehen erworben, bis weit hinein ins politische Feindesland, die CSU. Es hat auch nicht nur der Kanzlerin imponiert, wie sachbezogen und wenig polemisch grüne Überzeugungstäter da ihre Werte verteidigten. Schwarz und Grün hat das zusammenrücken lassen, bis die FDP beleidigt hinschmiss. Den Grünen bleibt nun nur der Trostpreis: Die wichtigsten Köpfe der Partei halten so zusammen wie lange nicht mehr. Und ja, Schwarz-Grün fühlt sich nach Jamaika realistischer an als vorher. Da ginge was.
Das Spitzenduo könnte der Partei nun den nächsten Dienst erweisen
Ein Grund, sich zurückzulehnen bis zu einer möglichen Neuwahl, aber ist das nicht. Wenn die Grünen sich am Samstag in Berlin zum Parteitag treffen, dann wird es da auch um all die hässlichen Kompromisse gehen, die grüne Jamaika-Sondierer auf den Tisch gelegt haben - ohne dafür am Ende irgendeine Gegenleistung bekommen zu haben. Ob Flüchtlingspolitik, sichere Herkunftsstaaten oder Klimapolitik, die viel zitierten grünen Schmerzgrenzen sind überschritten und nun bekannt. Sollten die Grünen wieder um eine Koalition feilschen, dürften die Daumenschrauben weiter angezogen werden - wenn nicht sowieso eine große Koalition kommt.
Es wird also nicht reichen, wenn die Realos Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt beim Parteitag erklären, man habe bei Jamaika alles Menschenmögliche getan. Wenn die Grünen den neuen Zusammenhalt nicht verspielen wollen und Jamaika mehr zurücklassen soll als Enttäuschung, dann braucht die Partei jetzt Führungspersönlichkeiten, die an der Basis auch diejenigen mitnehmen, die von Experimenten mit bürgerlichen Parteien nichts halten. Leute sollten das sein, die für Aufbruch stehen, auch für eine programmatische Verjüngung der Partei.
Göring-Eckardt und Özdemir verkörpern diesen Aufbruch nicht. Sie sind die treulichen Buchhalter grünen Gestaltungswillens, aber keine Visionäre. Für den Fall von Neuwahlen wäre es deshalb kein Schaden, wenn einer der grünen Spitzenkandidaten ausgetauscht würde, ob per Urwahl oder Parteitagsbeschluss. Schleswig-Holsteins Umweltminister Robert Habeck bekäme dann eine neue Chance, Spitzenkandidat zu werden. Er wäre ein frisches Gesicht für die Partei und für Koalitionsgebastel ebenso qualifiziert wie Özdemir.
Göring-Eckardt und Özdemir aber wollen nicht weichen, das diene der Stabilität in unruhiger Zeit. Wirklich? Habeck sollte jetzt den Hut in den Ring werfen - oder Platz für andere machen. Zügig klären müssen die Grünen aber auch, wer im Januar an die Parteispitze tritt. Der Europapolitiker Sven Giegold ist im Gespräch, die Parteilinke Ska Keller oder Verteidigungsexpertin Agnieszka Brugger. Zu jung? Zu unerfahren? Lieber den Parteitag verschieben, bis eine neue Regierung steht? Das wäre keine gute Idee. Die Obergrünen müssen sich jetzt aus der Erstarrung lösen und sich neuen Ideen und Gesichtern öffnen. Es ist Zeit für einen friedlichen Neubeginn.