Hongkong:China handelt mit dem Recht des Stärkeren

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Proteste mit Mund-Nasen-Schutz in Hongkong. (Foto: REUTERS)

Der Umgang mit Hongkong muss der Europäischen Union eine Warnung sein. Kämpft sie nicht für die Einhaltung von Regeln, wird sie Chinas Macht selbst zu spüren bekommen.

Kommentar von Stefan Kornelius

Völkerrechtlich betrachtet ist Hongkong Teil der Volksrepublik China, aber dank der chinesisch-britischen "Gemeinsamen Erklärung" von 1984 und einer Fülle von Rechtsakten eine Sonderverwaltungszone mit großer Autonomie. Im Kern der Autonomie steht das Basic Law, das Freiheiten garantiert, die kein Staatsbürger Festlandchinas kennt. Freie Meinungsäußerung, Versammlungsrecht, Persönlichkeitsrechte, Gleichheit vor dem Gesetz - das Grundgesetz atmet den hybriden Charakter, der Hongkong nach der Kolonialzeit als teildemokratische Enklave im kommunistischen Hoheitsraum zugestanden wurde. Ein Staat, zwei Systeme eben.

Eine Falltür war allerdings eingebaut. Die letztgültige Auslegung des Basic Law obliegt dem Ständigen Ausschuss des Nationalen Volkskongresses - einer Versammlung von chinesischen Parlamentariern also. Sie stellt fest, ob Bestimmungen innerhalb des Basic Laws autonom ausgelegt werden können - oder ob die zentrale Volksregierung betroffen ist. Mit diesem juristischen Generalschlüssel kann Peking jederzeit die Tür nach Hongkong öffnen, auch wenn Rechtspraxis, völkerrechtliche Verträge und politische Gewohnheit nach fast 25 Jahren Autonomie dies verbieten.

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Die chinesische Sonderverwaltungszone sei eine innere Angelegenheit Chinas. US-Außenminister Pompeo spricht von einem "Totengeläut für die Autonomie".

Von Lea Deuber

Es ist dieses Türchen, das die Zentralmacht nun nutzt. Dabei spreizt sie den Spalt mit einem Hebel auf, den sie nur zu gern ansetzt: mit dem Recht des Stärkeren. Wie schon nach dem Urteil des Internationalen Schiedsgerichts über das Südchinesische Meer, wie schon in der Auslegung der Welthandelsregeln, wie schon in der Leugnung einer Mitverantwortung für die Rüstungskontrolle - die chinesische Staatsführung verweigert sich den Abmachungen, weil sie es kann. Sie rechnet Kosten gegen Nutzen einer Provokation und setzt ihre Zumutung unter propagandistischem Trommelfeuer um. Widerstand ist nicht zu erwarten, der Preis wäre enorm. Aus Angst vor wirtschaftlichen Nachteilen führt die Schadensabwägung im Westen zu einem klaren Ergebnis: leisetreten, grummeln, schlucken.

Pekings Angriff auf die Freiheit Hongkongs muss Europa eine ernste Warnung sein

Diese permanente Rechtsdehnung, der Regelbruch, die Unberechenbarkeit machen China zu einem gefährlichen Partner. Das Problem kennt jeder mittelständische Maschinenbauer; er akzeptiert die Zumutungen, solange die Bilanz stimmt. Bundesregierung und Europäische Union können sich damit nicht begnügen, sie stellen keine Schrauben her, sie steuern ein erheblich komplexeres System. Zur Entwertung des Hongkonger Grundgesetzes und dem Völkerrechtsbruch haben sie bisher geschwiegen.

Diese Zögerlichkeit wird von Peking als Schwäche und Prinzipienlosigkeit ausgelegt und lädt zu neuen Regelbrüchen ein. Richtig wäre der Gegenangriff mit den Mitteln des Völkerrechts, der multilateralen Ordnung, der Verträge: Europa braucht dringender denn je einen Regelkatalog für den Umgang mit China, es muss seine Vorstellungen von Recht und internationaler Ordnung vom UN-Sicherheitsrat über die internationalen Gerichte bis in die letzten Handelsrunden offensiv und aggressiv verbreiten. Der bevorstehende EU-China-Gipfel in Leipzig darf nicht wegen Hongkong abgesagt, sondern muss in ein Klageforum umfunktioniert werden. Die USA fallen unter Donald Trump als Hüter von Recht und Regeln aus. Wenn Europa nicht aufsteht, wird es das Recht des Stärkeren schmerzhaft kennenlernen.

© SZ vom 25.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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