Bundeswehreinsatz in Afghanistan:Juristische Lyrik

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Der neue Verteidigungsminister hat das "K-Wort" ausgesprochen - doch das ist nur ein erster Schritt. Denn in der Frage, ob die Bundeswehr in Afghanistan Krieg führt, ist das Völkerrecht schon viel weiter als die Politik.

A. Kreye

Es ist also doch ein Krieg, in dem die Soldaten der Bundeswehr in Afghanistan kämpfen. Das las man zumindest aus den Äußerungen des frischgekürten Verteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg, die er den Kollegen der Bild- Zeitung zu Protokoll gab: "Ich selbst verstehe jeden Soldaten, der sagt: In Afghanistan ist Krieg, egal ob ich nun von ausländischen Streitkräften oder von Taliban-Terroristen angegriffen, verwundet oder getötet werde."

Bundeswehrsoldaten am Hindukusch (Foto: Foto: ddp)

Ganz wollte der Minister sich offensichtlich nicht festlegen: "Wenigstens in der Empfindung nicht nur unserer Soldaten führen die Taliban einen Krieg gegen die Soldaten der internationalen Gemeinschaft."

Empfindung ist kein Rechtsbegriff. Und doch ging Erleichterung durchs Land, dass der neue Verteidigungsminister nun endlich das "K-Wort" aussprach, anstatt sich wie sein Vorgänger Franz Josef Jung hinter Phrasen wie den "robusten Stabilisierungsmaßnahmen" zu verkriechen.

Nun kennt von uns Jüngeren im Land kaum einer den Krieg. Doch in der Erinnerung der Alten und im kollektiven Gedächtnis ist der Krieg genauso geblieben wie die Furcht vor ihm. Es ist also im besagten Empfinden durchaus von Bedeutung, ob wir von einer Maßnahme, einer militärischen Aufgabe oder von einem Krieg sprechen. Das Herumlavieren um die kollektiven Empfindlichkeiten birgt jedoch eine ganz konkrete Gefahr. Verwickeln sich Bundesrepublik und Bundeswehr in völkerrechtliche Ungereimtheiten, könnte das Land im weltpolitischen Abseits landen und seine Soldaten im Knast.

Die Welt ist nicht erst seit den Anschlägen des 11. September 2001 viel zu kompliziert, um den Lauf der Geschichte in Krieg und Frieden aufzuteilen. Völkerrechtlich hat der Begriff "Krieg" seit 60 Jahren keine Bedeutung mehr. Schon in der Charta der Vereinten Nationen taucht das Wort "Krieg" nur in der Präambel auf und zwar lediglich als Mahnung der Geschichte: "Wir, die Völker der Vereinten Nationen, entschlossen, die kommenden Generationen vor der Geißel des Krieges zu bewahren, die zweimal zu unseren Lebzeiten unsägliches Leid über die Menschheit gebracht hat."

Rechtliche Konsequenzen

Das aber sei nicht mehr als "juristische Lyrik", sagt der emeritierte Professor für Völkerrecht an der Johann Wolfgang Goethe Universität in Frankfurt, Michael Bothe. "Auch die Genfer Konventionen vermeiden den Begriff seit 1949 bei der Bestimmung ihres Anwendungsgebietes." Die einzig völkerrechtlich relevanten Begriffe seien der internationale bewaffnete Konflikt und der nicht-internationale bewaffnete Konflikt. Auf organisierte Gewalt, die unterhalb der Schwelle des bewaffneten Konflikts liegt, ist das Recht der Genfer Konventionen nicht anwendbar.

Diese semantische Neusortierung der Konfliktformen hat rechtliche Konsequenzen. Nur in einem bewaffneten Konflikt ist es erlaubt, militärisch relevante Ziele zu zerstören und feindliche Kämpfer gezielt zu töten. Beides kann strafrechtlich weder von der eigenen noch von der gegnerischen Justiz verfolgt werden.

Operation "Enduring Freedom" im Spätherbst 2001 war ein solcher internationaler bewaffneter Konflikt. Da standen die deutschen Soldaten den amerikanischen Streitkräften in einem Fall kollektiver Selbstverteidigung bei. Es war ein Konflikt zwischen den USA, ihren Verbündeten und dem Staat Afghanistan, der von den Taliban regiert wurde. Mit der Wahl einer von der Staatengemeinschaft anerkannten neuen Regierung im Jahr 2004 hat sich der Charakter des Konfliktes jedoch geändert.

Die aktuellen Operationen der Isaf sind nur noch ein nicht-internationaler bewaffneter Konflikt, denn die Taliban sind nun keine Regierungs-, sondern nur noch Bürgerkriegspartei. Sollte nun einer der Beteiligten in die Hände der Gegner fallen, dann genießen sie eben nicht den Status des Kriegsgefangenen mit all seinen Rechten.

Nicht jeder Anschlag ist ein bewaffneter Konflikt

Wo man Jungs "robuste Stabilisierungsmaßnahmen" hinsortieren soll, bleibt dabei ein Rätsel. Nachdem er mit dem Begriff vor allem die überwiegend pazifistisch gesinnten deutschen Bürger beruhigen wollte, wäre man wohl bei der niedrigen Gewaltstufe angelangt. Dann gilt nicht das Recht der Genfer Konventionen, sondern es handelte sich einfach um Rechtsdurchsetzung, um Polizeimaßnahmen.

Es ist ja nicht jeder terroristische Anschlag gleich ein "bewaffneter Konflikt". Auch das ein wichtiger Einwand, denn wäre der "Krieg gegen den Terror" ein bewaffneter Konflikt gewesen, dann wäre auch der Angriff der al-Qaida auf das Pentagon am 11. September 2001 eine völkerrechtlich legitime Operation gewesen (nicht allerdings die Verwendung eines zivilen Passagierflugzeugs als Waffe).

Behandelt ein Verteidigungsminister den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan allerdings als Maßnahme fortgesetzter niedrigstufiger Gewalt, dann liefert er seine Soldaten zumindest theoretisch strafrechtlichen Konsequenzen aus, die sie auch in der deutschen Heimat verfolgen könnten. Tötet ein deutscher Soldat in diesem Falle beispielsweise einen Talibankämpfer, der unbewaffnet einen Tanklastzug auf einem Kurs steuert, der zu einer deutschen Militäreinrichtung führt, wäre das kaum zu rechtfertigen.

Ein erster Schritt

Denn in einer solchen Situation greifen nicht die Genfer Konventionen, sondern die menschenrechtlichen Maßstäbe für den Einsatz von Gewalt durch die Polizei. Und um das zu überprüfen, dürfte theoretisch jeder deutsche Staatsanwalt die Bundeswehrsoldaten und ihre Offiziere vor Gericht zerren.

Wer als Verteidigungsminister also glaubt, er täte seinen Bürgern einen Gefallen, wenn er unbeliebte Auslandseinsätze in solch juristischer Lyrik verpackt, der vernachlässigt seine eigentliche Verantwortung - die Verantwortung für seine Soldaten. Er fällt aber nicht nur der eigenen Truppe in den Rücken, er betrügt auch seine Bürger. Denn die müssen wissen, ob sie sich beim nächsten Wahlgang für eine Regierung entscheiden, die auch im Ausland in ihrem Sinne handelt.

Guttenberg hat einen ersten Schritt getan. Doch nach Jungs Winkelzügen muss er nicht nur semantisch, sondern auch völkerrechtlich Klarheit schaffen.

© SZ vom 04.11.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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