Vor Gericht:Die Zeit läuft für den Klimaschutz

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Im vorigen Jahr erzwang ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts schärfere Gesetze im Kampf gegen die Erderhitzung. (Foto: Federico Gambarini/dpa)

Ein Jahr ist das wegweisende Klima-Urteil aus Karlsruhe her. Seitdem hat sich an Gerichten nicht viel getan. Doch das könnte sich bald ändern.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Ende April 2021 hat das Bundesverfassungsgericht einen Beschluss veröffentlicht, der mindestens auf die deutschen Bewohner dieses zunehmend aufgeheizten Planeten wie ein Leuchtfeuer der Hoffnung wirkte. Das Gericht verpflichtete den Gesetzgeber zu Nachbesserungen beim Klimaschutz, namentlich im Sinne der jungen Generation. Die Korrekturvorgaben aus Karlsruhe fielen zwar milde aus, dennoch schürte der Spruch die Erwartung, fortan könnten die Gerichte der Politik in Sachen Klimaschutz Beine machen. Und am besten auch gleich der Wirtschaft.

Heute, gut ein Jahr später, nimmt sich die Bilanz der Klimaklagen ernüchternd aus. Im Februar hat das Bundesverfassungsgericht Beschwerden gegen mehrere Bundesländer auf verschärfte Anstrengungen im Klimaschutz abgewiesen. Vor wenigen Tagen scheiterte in Karlsruhe ein weiterer Versuch, den Gesetzgeber zur Anhebung der Klimaziele zu verpflichten. Hinter beiden Verfahren stand die Deutsche Umwelthilfe (DUH), dessen Anwalt Remo Klinger sich kürzlich beim Deutschen Anwaltstag in Hamburg enttäuscht zeigte: "Meines Erachtens kommt aus Karlsruhe nichts mehr, jedenfalls in Bezug auf die Klimaschutzgesetze."

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Zwar mangelt es auch auf anderen Ebenen nicht an Aktivitäten. Die DUH hat Klagen gegen Mercedes, BMW sowie den Öl- und Gasproduzenten Wintershall DEA eingereicht, zudem versucht sie, in mehreren Bundesländern gerichtlich eine Fortschreibung der jeweiligen Klimaschutzpläne durchzusetzen. Greenpeace unterstützt die Klage eines Biobauern vor dem Landgericht Detmold gegen VW, Germanwatch die Klage eines von Überflutung bedrohten peruanischen Bergführers gegen RWE. Die Signale in den Verfahren gegen die Autohersteller sind freilich nicht ermutigend: In Sachen VW und Mercedes haben die Gerichte Entscheidungen für September angekündigt - aber bereits durchblicken lassen, dass aus dem von den Klägern angestrebten Verbrenner-Aus wohl nichts werden wird.

Wo kein Recht, da kein Klima-Urteil

Ist damit das Potenzial der Klimaklagen erschöpft? Gabriele Britz, damals federführend im Karlsruher Klimaschutzbeschluss, hat soeben in einem Aufsatz für eine Fachzeitschrift detailliert erläutert, was hinter der epochalen Entscheidung steht. Nämlich eine kühle verfassungsrechtliche Ableitung. Denn Temperaturziel und CO₂-Restbudget sind ja keine wolkigen Verheißungen, sondern über das Pariser Abkommen und das Klimaschutzgesetz letztlich in rechtlich greifbare Größen verwandelt worden. All dies hat die Verfassungsrichterin in nüchterner Juristinnenprosa ausgeführt, aber der Subtext lautet: Wir sind keine Klimaschutzaktivisten. Wo kein Recht, da kein Klima-Urteil.

Geht dem Klimaschutz vor Gericht also die Puste aus? Gut möglich, dass er im Moment nur Luft holt. Britz erinnert daran, dass der Klimaschutz laut Verfassungsgericht "zwar keinen absoluten Vorrang genießt, aber in der verfassungsrechtlichen Abwägung mit entgegenstehenden Grundrechten bei fortschreitendem Klimawandel und Verstreichen der für die erforderliche Transformation verbleibenden Zeit immer noch stärker werde". Das bedeutet: Die Uhr tickt und die Zeit läuft - und zwar für die Klimakläger. Je drängender die Notwendigkeit zum Umsteuern wird und je offensichtlicher das Versäumnis der Politik, desto entschiedener könnten sich Gerichte zu Wort melden.

Und zwar keineswegs nur mit großen Leuchtfeuerurteilen. An diesem Freitag entscheidet der Bundesgerichtshof über die Frage, ob ein Hauseigentümer die 16 Zentimeter starke Dämmschicht an der Giebelwand des Nachbarhauses dulden muss, obwohl damit die Abstände nicht eingehalten werden. Ein ganz normaler Nachbarstreit - bei dem allerdings der Klimaschutz das Zünglein an der Waage sein könnte, als "Ziel von Verfassungsrang", wie es die Vorsitzende Richterin in der Verhandlung ausdrückte. 16 Zentimeter für den Klimaschutz, multipliziert mit Zehntausenden Häuserwänden: ein kleiner Beitrag zur Weltrettung.

In einem Jahr könnten Gerichte womöglich forscher zupacken

Ähnlich könnte es künftig bei Bau- und Verkehrsprojekten zugehen. Vor wenigen Wochen hat das Bundesverwaltungsgericht im Prozess um die 17 Kilometer lange Nordverlängerung der A 14 erstmals den Paragrafen 13 des Klimaschutzgesetzes erwähnt. Danach müssen Träger öffentlicher Aufgaben den Klimaschutz "berücksichtigen". Im konkreten Fall war der Klimaschutz zwar zu schwach, um die Autobahn aufzuhalten, die Klage wurde abgewiesen. Nach Einschätzung des Rechtsanwalts Frank Fellenberg liegt dies aber auch daran, dass es derzeit noch keine Standards zum Gewicht des Klimaschutzes in solchen Planungen gebe. Das dürfte in einem Jahr anders sein, dann könnten Gerichte womöglich forscher zupacken. Unterdessen, so sagte Fellenberg beim Deutschen Anwaltstag, könnte der Klimaschutz ohnehin an Gewicht zulegen. Denn, siehe oben, die Uhr tickt, die Zeit läuft.

Klimaschutz vor Gericht durchzusetzen, ist also eine kleinteilige Angelegenheit. Auch im Baurecht gibt es Paragrafen, wonach Bauprojekte dem Klimaschutz "Rechnung tragen" müssen; immerhin ist Wohnen für mehr als ein Fünftel des privaten CO₂-Verbrauchs verantwortlich. Zugleich wird aber beim Thema Wohnen greifbar, warum das Klima nie uneingeschränkt Vorfahrt genießen wird. Vergangenes Jahr hatte der Verwaltungsgerichtshof Mannheim über die städtebauliche Entwicklung im Freiburger Westen zu entscheiden. Landwirte hatten geklagt, aber der VGH wies die Klage ab. Das Grundgesetz verpflichte Kommunen zum Klimaschutz, jedoch genieße er "keinen absoluten Vorrang". Denn dort sollen knapp 7000 Wohnungen entstehen. Nach Möglichkeit bezahlbar.

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