Bundesverfassungsgericht:Darf der Bundestag in der EU-Außenpolitik ausgeschlossen bleiben?

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Die Fregatte "Augsburg" war im Zuge der Flüchtlingskrise an der "Operation Sophia" gegen Schlepper und ihre Schiffe im Mittelmeer beteiligt. (Foto: Mohssen Assanimoghaddam/DPA)

Ob Schleuser auf dem Mittelmeer oder europäische Verteidigung: Inwieweit die Bundesregierung das Parlament informieren muss, bevor sie Wichtiges in der EU-Außenpolitik mitentscheidet - darüber denken Karlsruher Richter nun gründlich nach.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Auch das Bundesverfassungsgericht lässt manche Verfahren länger liegen, als dies für einen effizienten Rechtsschutz gut ist. Doch manchmal führt die Säumnis zu interessanten Konstellationen im Karlsruher Sitzungssaal. Als die EU im Jahr 2015 eine härtere Gangart gegen das Schleuserunwesen im Mittelmeer beschloss, hieß der deutsche Außenminister noch Frank-Walter Steinmeier (SPD). Die Fraktion der Grünen, damals in der Opposition, klagte gegen die Bundesregierung, weil sie sich vom Auswärtigen Amt über die Einzelheiten der neuen europäischen Marschroute unzureichend informiert fühlte.

An diesem Dienstag, also sieben Jahre später, hat der Fall es endlich in die mündliche Verhandlung in Karlsruhe geschafft - aber nun regieren die Grünen mit und die Außenministerin heißt Annalena Baerbock. Grün streitet also mit Grün. Nur die zweite klagende Fraktion, die Linke, ist in der Opposition geblieben.

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Im April 2015 hatte der Europäische Rat unter dem Eindruck einer Flüchtlingskatastrophe - vor der libyschen Küste war ein Schiff gesunken, es gab Hunderte Tote - beschlossen, die Präsenz der Union auf See zu verstärken. Schlepper sollten dingfest gemacht, ihre Schiffe beschlagnahmt und zerstört werden. Später erhielt die Mission den Namen "Operation Sophia". Für die politische Diskussion war ein Krisenmanagementkonzept erarbeitet worden, das aber zunächst vertraulich blieb - jedenfalls für die Bundestagsabgeordneten. Aus Sicht von Linken und Grünen hätte ihnen das Papier frühzeitig vorgelegt werden müssen. Die Linksfraktion im Bundestag verlangte zudem die Vorlage eines Briefes des türkischen Ministerpräsidenten vom Herbst 2015, in dem es um die Anbahnung des sogenannten "Flüchtlingsdeals" der EU mit der Türkei ging.

Geklärt werden soll mithin die grundsätzliche Frage, wie Regierung und Parlament verzahnt werden, wenn es um europäische Außenpolitik geht. Das könnte ein zukunftsträchtiges Feld sein, wie ein Blick auf die größte europäische Krise dieser Tage zeigt: Der Angriff Russlands auf die Ukraine hat schon jetzt zu verstärkten Anstrengungen der EU beim Thema Sicherheit und Verteidigung geführt.

Das Außenministerium sagt: "Wir kommen unseren Unterrichtungspflichten nach."

Das Grundgesetz gibt darauf eine nur scheinbar eindeutige Antwort: In "Angelegenheiten der Europäischen Union" muss die Regierung Bundestag und Bundesrat umfassend und frühzeitig informieren. Aber ist die "Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik", im EU-Jargon mit "Gasp" abgekürzt, wirklich eine solche EU-Angelegenheit? Denn so europäisch Gasp klingen mag, in Wahrheit regieren hier die Staaten. Die europäische Außenpolitik sei letztlich nur eine Hülle, die vom Willen der Mitgliedstaaten ausgefüllt werde, sagte Heiko Sauer, juristischer Vertreter der Bundesregierung.

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Darf also, anders gefragt, die Regierung das Parlament in diesen Dingen einfach deshalb außen vor lassen, weil der Bundestag auf nationaler Ebene ebenfalls nicht für die Außenpolitik zuständig ist? Das besondere Informationsrecht war dem Bundestag im Jahr 1992 als Ausgleich für die Verluste eingeräumt worden, die er durch die europäische Integration erlitten hat - weil ein großer Teil der Normen und Vorschriften fortan "supranational" in Brüssel gemacht werden sollte, wo zudem die nationalen Regierungen entscheiden, nicht die Parlamente. In der Lesart der Bundesregierung heißt dies: Dort, wo das Parlament nichts an Europa abgegeben hat - nämlich bei der Außen- und Verteidigungspolitik -, sind solche Informationsrechte nicht erforderlich.

Susanne Baumann, Staatssekretärin im Außenministerium, versicherte zwar, die Regierung nehme die Information des Bundestags sehr ernst: "Wir kommen unseren Unterrichtungspflichten nach." In der entscheidenden Streitfrage aber blieb sie auf der Linie der Vorgängerregierung. Die EU-Außenpolitik sei nun mal nicht vergemeinschaftet. "Die EU wird zwar durchaus als außenpolitischer Akteur wahrgenommen, ist aber nicht mehr als die Summe ihrer Mitgliedstaaten." Also keine Einbußen für den Bundestag. Das Parlament werde aber in allgemeiner Weise informiert, sekundierte Heiko Sauer.

Der Einfluss des Bundestags ist gering

In einer Grundsatzentscheidung von 2012 hatte das Bundesverfassungsgericht dem Bundestag allerdings weitreichende Informationsrechte gewährt, damals ging es um den europäischen Rettungsschirm. Was dies für die europäische Außenpolitik bedeutet, ließ das Gericht ausdrücklich offen, aber Peter Michael Huber, damals wie heute im zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts als Berichterstatter zuständig, sieht hier durchaus Parallelen. "Damals trieb uns der Gedanke um, die Regierung sollte nicht auf europäischer Ebene über Bande spielen und das eigene Parlament vor vollendete Tatsachen stellen dürfen." Deshalb habe man sich für das Konzept der "informierten Mitwirkung" entschieden.

Auch andere Mitglieder des Senats signalisierten eine gewisse Offenheit für mehr parlamentarische Beteiligung. Die Richterin Christine Langenfeld warf die Frage auf, ob die komplexen europäischen Abstimmungsprozesse und die "Undurchschaubarkeit des Ganzen" nicht dazu führe, dass der Bundestag auf europäischer Ebene in außenpolitischen Angelegenheiten faktisch noch weniger Einfluss habe als national. Dass also letztlich europäische Vorgänge vom Parlament nur noch abgenickt würden. Und Vizepräsidentin Doris König verwies darauf, dass das EU-Parlament bei der gemeinsamen Außenpolitik praktisch nichts zu sagen habe. "Müsste da nicht umso mehr das nationale Parlament eingebunden werden?" Ein Urteil wird in einigen Monaten verkündet.

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