Bundestagsdebatte zu Prism und Tempora:Mit Postboten gegen Geheimdienste

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Innenminister Hans-Peter Friedrich (Archivbild von 2012) über die Spähprogramme der Amerikaner und Briten: "Was ist dran an diesen Presseberichten?" (Foto: dpa)

Schlimme Sache, das mit der Internet-Überwachung. Aber was tun? Die Linke schlägt im Bundestag vor, Whistleblower Edward Snowden nach Deutschland zu holen, die Grünen wollen die Briten bestrafen. Innenminister Friedrich aber traut den Berichten nicht, die Koalition setzt einstweilen auf Fragenkataloge. Dabei sind schon ein paar ernüchternde Antworten da.

Von Michael König, Berlin

So praxisnah sind sie im Bundestag selten. "Da die Debatte im Internet übertragen wird, begrüße ich auch die Zuhörer an den Überwachungsgeräten", sagt der FDP-Netzpolitiker Jimmy Schulz. Einige Bundestagsabgeordnete lachen. Andere nehmen ihr Smartphone in die Hand und beginnen zu tippen. Gratulieren Schulz vielleicht zu seinem gelungenen Einstieg, etwa per Whatsapp-Nachricht oder iMessage. Posten den Spruch auf Twitter oder geben ihn per Facebook weiter. Oder checken vielleicht auch nur ihren Terminkalender, der in der iCloud von Apple gespeichert ist.

Wenn man dem NSA-Whistleblower Edward Snowden glauben darf, landen auch diese Daten früher oder später im Speicher amerikanischer oder britischer Geheimdienste. Da schließt sich der Kreis. Genau darum geht es an diesem Mittwochnachmittag im Bundestag. "Internationale Internetüberwachung" ist der Titel der Debatte, die auf Verlangen aller Fraktionen auf die Tagesordnung kam. Die Politik hat gewaltigen Redebedarf. Aber worüber? Das ist umstritten. Und was tun? Da zeigt sich die ganze Ohnmacht des deutschen Parlaments.

Hans-Peter Friedrich ist als erster Redner dran. Der Bundesinnenminister führt eine Art Quellen-Überprüfung durch, eine Exegese der Enthüllungen, die das amerikanische Spähprogramm Prism und das weitaus umfangreichere britische Programm Tempora zutage befördert haben. Oder, im Sinne Friedrichs: angeblich zutage befördert haben.

"Wo ist denn das Gesetz, Herr Minister?"

"Was ist dran an diesen Presseberichten? Wir haben ja bislang nur Meldungen, und wir haben Stellungnahmen, wonach die Presseberichte nicht zutreffend sind", sagt der CSU-Mann, der eine optimistische Haltung offenbart: "Ich gehe davon aus, dass unsere amerikanischen Freunde ein ähnliches Rechtsverständnis haben wie wir", sagt Friedrich.

Was also tun? Friedrich sagt, er habe ein IT-Sicherheitsgesetz auf den Weg gebracht, das "spätestens im nächsten Jahr im Gesetzblatt stehen" müsse. Empörung bei der Opposition, die es naturgemäß leichter hat.

"Wo ist denn das Gesetz, Herr Minister? Die Legislaturperiode ist vorbei!", ruft SPD-Geschäftsführer Thomas Oppermann und beklagt den "umfassendsten Eingriff in die Grundrechte deutscher Staatsbürger, den wir bislang erlebt haben". Der Grüne Konstantin von Notz sagt mit Blick auf die Regierungsbank: "Sie verstecken sich hinter Briefen und Fragenkatalogen. Sie tun nicht nur nichts, sie haben auch keine Haltung zu dem Thema."

Welche Konsequenzen?

Mit Postboten sei gegen die Geheimdienste nichts zu machen. Was also tun? Von Notz wünscht sich "endlich eine andere Regierung". Oppermann sagt, "wir brauchen eine europäische Cyberrecht-Sicherheitsstrategie". Und die europäische Datenschutzrichtlinie müsse dringend überarbeitet werden. Letzteres passiert derzeit in Brüssel, intensiv begleitet von Lobbyisten großer Internetkonzerne. Datenschutz-Aktivisten fürchten deshalb ein völlig verwässertes Regelwerk.

Die SPD fordert außerdem, Kanzlerin Merkel solle die Spähprogramme beim Treffen des Europäischen Rats ansprechen, "so dass es Konsequenzen hat". Welche Konsequenzen? Die Grünen haben da zwei Vorschläge.

Sie wollen Artikel 10 des Grundgesetzes ("Das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis sind unverletzlich") auf die Internet-Kommunikation ausweiten, was den Briten und Amerikanern vermutlich egal wäre. Und sie regen ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Großbritannien an, um endlich "internationale Initiative" zu ergreifen, wie es der Parlamentarische Geschäftsführer Volker Beck am Vormittag vor Journalisten sagt.

Beck bezieht sich auf Artikel 16 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU. Darin steht: "Jede Person hat das Recht auf Schutz der sie betreffenden personenbezogenen Daten." Den Briten müsste nachgewiesen werden, dass sie dagegen verstoßen haben, was schwer werden dürfte. Und dann? "Dem Land wird bei einem Verstoß üblicherweise aufgetragen, sich wieder vertragskonform zu verhalten", sagt Beck.

Noch kreativer sind die Linken, die den deutschen Standpunkt gegenüber den Amerikanern betonen wollen, in dem sie den Whistleblower nach Deutschland holen. "Edward Snowden verdient unsere Solidarität und unser Asyl", sagt Ulla Jelpke im Bundestag. Ihr Parteikollege Stefan Liebich verweist auf das Aufenthaltsgesetz, Paragraf 22: "Einem Ausländer kann für die Aufnahme aus dem Ausland aus völkerrechtlichen oder dringenden humanitären Gründen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden".

"Tiefe Vertrauenskrise"

Nur: Snowden hat in Deutschland - nach allem, was bekannt ist - nicht um Asyl gebeten. Und er wäre auch mutig, das zu tun, denn die EU und die USA haben ein Auslieferungsabkommen geschlossen. Eine Ausnahme könnte die Bundesregierung nur machen, wenn Snowden in den USA die Todesstrafe droht.

Die Regierungskoalition verfolgt ohnehin eine andere Strategie. Beziehungsweise mehrere. CSU-Innenexperte Hans-Peter Uhl spricht vom Beginn einer "tiefen Vertrauenskrise in die Kommunikation im Internet" und appelliert: "Wir müssen jedem Internetnutzer sagen, seine Daten sind absolut nicht sicher." Datenschutz sei eine "Illusion, und wir dürfen keine Illusionen verkaufen."

Kurz darauf sagt Uhl jedoch: "Wir brauchen mehr Sicherheit im Netz. Wenn der Staat im Internet kommuniziert, muss das sicher sein. Unsere Unternehmen müssen dort sicher sein."

Die Illusion muss laut Uhl also begrenzt werden, und das ist nicht die einzige Merkwürdigkeit: Unions-Fraktionsgeschäftsführer Michael Grosse-Brömer und der FDP-Netzpolitiker Schulz rühmen einmütig die Aufklärung der Regierung, vollständige Aufklärung sei nötig. "Und die kommt auch von der Regierung, die Briefe geschrieben hat und auf Antworten wartet."

Das ist nicht ganz richtig, eine Antwort ist schon da. Die britische Botschaft schreibt an das Innenministerium, britische Regierungen würden grundsätzlich nicht öffentlich Stellung nehmen zu nachrichtendienstlichen Angelegenheiten. Um über die Nachrichtendienste zu sprechen, sollten die Deutschen doch bitte die Nachrichtendienste selbst kontaktieren. Ob per Briefpost oder per E-Mail, ist dabei vermutlich egal.

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