Finanzurteil des Bundesverfassungsgerichts:"Tatsächlich hat dieser Staat kein Einnahmeproblem"

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"Wir werden mit weniger Geld wirksamere Politik machen müssen als im vergangenen Jahrzehnt", sagt Finanzminister Christian Lindner nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts. (Foto: Melissa Erichsen/dpa)

In Karlsruhe hat die Ampelkoalition eine deftige Abfuhr kassiert. Doch im Bundestag gibt sich Finanzminister Lindner demonstrativ optimistisch. Die Opposition greift die Regierung an.

Von Philipp Saul, Berlin

Als Christian Lindner an diesem Donnerstagnachmittag in einer Aktuellen Stunde im Deutschen Bundestag sprach, hatte er kräftezehrende Stunden hinter und noch viele weitere vor sich. Nach dem großen Knall aus Karlsruhe steht der Bundesfinanzminister im Zentrum der Diskussion, wie es jetzt weitergeht - finanziell und politisch.

Das Bundesverfassungsgericht hatte die Umschichtung von Corona-Krediten in den Klima- und Transformationsfonds (KTF) am Mittwoch für nichtig erklärt. Deshalb fehlt der Regierung plötzlich viel Geld, das für Projekte zur Energiewende eingeplant war: ganze 60 Milliarden Euro. Ein "Worst-Case-Szenario", wie es aus der Ampelregierung heißt.

In einem ersten Schritt hat Lindner die Kreditermächtigungen von 60 Milliarden gelöscht und den Wirtschaftsplan des Fonds gesperrt. Doch auf die Ampelkoalition kommen jetzt Verteilungskämpfe zu, die das ohnehin angeschlagene Bündnis erschüttern dürften. Welche Projekte haben Priorität, wo darf noch Geld ausgegeben werden? Der SPD-Abgeordnete Achim Post appellierte im Bundestag: "Klimaschutz und sozialer Zusammenhalt dürfen nicht die Verlierer sein."

SPD und Grüne stellen seit dem Urteil zudem lautstark die Schuldenbremse infrage und rufen nach neuen Einnahmequellen für den Staat. Lindner und seine FDP hingegen sehen das grundsätzlich anders. Die Schuldenbremse und der Verzicht auf Steuererhöhungen seien die "Leitplanken des Handelns der Bundesregierung", sagte der Finanzminister im Bundestag. Das "Liebäugeln mit Steuererhöhungen" sei die "immer gleiche Lösung auf der Suche nach einem Problem", so Lindner, der behauptete: "Tatsächlich hat der Staat kein Einnahmeproblem." Vielmehr seien die Staatsausgaben seit vielen Jahren immer weiter gestiegen. Lindner zeigte sich demonstrativ zuversichtlich: "Wir werden mit weniger Geld wirksamere Politik machen müssen als im vergangenen Jahrzehnt." Das sei möglich, wenn die Regierung ihre Prioritäten kläre.

Bis zum Jahresende sollen die notwendigen Entscheidungen getroffen werden, so hat es Kanzler Olaf Scholz in der SPD-Bundestagsfraktion angekündigt.

Die Union derweil freute sich nach dem Urteil über den umfassenden Erfolg ihrer Verfassungsklage und kritisierte die Ampel. "Die Zeitenwende ist spätestens seit gestern auch für Sie Realität", sagte CDU-Chef Friedrich Merz in der Aktuellen Stunde. Die Ampel müsse ihre Haushaltsprioritäten neu ordnen und zu verfassungskonformer Gesetzgebung zurückkehren. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt rief gar in Richtung von SPD, Grünen und FDP: "Ihre Koalitionsidee ist schlichtweg Geschichte."

Da ähnelten sich die Töne aus konservativer und linker Opposition: Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch sprach von einer "Roten Karte" aus Karlsruhe. Das Urteil sei "Ausdruck einer unseriösen Finanzpolitik". Die Bundesregierung müsse endlich seriös arbeiten, sonst sei das Urteil "der Anfang vom Ende dieser Bundesregierung" gewesen.

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