Bundestag:Eine außergewöhnliche Sitzung für viele große Themen

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Der Bundestag wird auch die verheerende Flut in Teilen Westdeutschlands auf der Tagesordnug haben. (Foto: F. Anthea Schaap /imago images)

Die Rettungsmission der Bundeswehr in Afghanistan, die Milliarden für den Wiederaufbau nach der Flut, die Verlängerung der Corona-Maßnahmen - am Mittwoch hat der Bundestag schwer zu tun.

Von Stefan Braun, Henrike Roßbach und Robert Roßmann, Berlin

An diesem Mittwoch tritt der Bundestag zu einer außergewöhnlichen Sitzung zusammen. Mitten in der Sommerpause und wenige Wochen vor der Bundestagswahl werden die wichtigsten Themen der vergangenen Monate an einem einzigen Tag behandelt. Ein Überblick.

Die meisten Bundestagsabgeordneten dürften dem Bundeswehreinsatz in Kabul wohl zustimmen: wartende Menschen am Flughafen der afghanischen Hauptstadt. (Foto: Wakil Kohsar/AFP)

Afghanistan

Beginnen wird der Sitzungstag mit der Afghanistan-Bilanz der Bundesregierung: dem Blick auf einen 20 Jahre währenden Einsatz, der derzeit mit einer dramatischen Evakuierungsaktion zu Ende geht. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wird zu den jüngsten Ereignissen eine Regierungserklärung abgeben; anschließend werden sich, das ist keine schwierige Prognose, sehr viele Abgeordnete bis in die Regierungsfraktionen hinein ziemlich kritisch äußern. Für die zuständigen Ministerinnen und Minister dürfte das ziemlich ungemütlich werden.

Neben der Debatte muss der Bundestag auch das Mandat für den Evakuierungseinsatz durch die Bundeswehr beschließen - im Nachhinein. Das ist ungewöhnlich, schließlich ist die Bundeswehr eine "Parlamentsarmee". Unmöglich aber ist so etwas nicht. Wenn Gefahr im Verzug ist, darf eine Regierung den Beschluss zum Einsatz der Soldaten auch vorneweg fassen, so geschehen am vergangenen Mittwoch im Kabinett. Laut Mandat geht es bei dem Einsatz darum, "Leib und Leben deutscher Staatsangehöriger und jenes Personals der internationalen Gemeinschaft zu schützen, für welche Deutschland eine besondere Verantwortung trägt". Das gelte auch für "besonders schutzbedürftige Repräsentantinnen und Repräsentanten der afghanischen Zivilgesellschaft".

Den meisten Fraktionen dürfte es schwerfallen, sich gegen den Einsatz auszusprechen - immerhin sollen mit der Aktion die Fehler der vergangenen Monate in größter Not ausgebügelt werden. Gleichwohl könnte interessant werden, wie viele Abweichler es gibt - und aus welchen Fraktionen. Die Linke hat es sich schon leicht gemacht und zur Enthaltung aufgerufen.

"Aufbauhilfe 2021": Zur Finanzierung des Wiederaufbaus nach dem verheerenden Hochwasser im Juli soll ein Fonds mit 30 Milliarden Euro ausgestattet werden. (Foto: Boris Roessler/dpa)

Fluthilfen

Die zweite Katastrophe auf der Tagesordnung des Bundestags ist die verheerende Flut in Teilen Westdeutschlands. Beschlossen werden soll die Errichtung des Sondervermögens "Aufbauhilfe 2021", plus einige weitere Gesetzesänderungen. Der Fonds soll vom Bund mit bis zu 30 Milliarden Euro ausgestattet werden. Die Länder beteiligen sich an der Finanzierung "über eine Anpassung der vertikalen Verteilung des Umsatzsteueraufkommens" - sie bekommen von diesem Jahr an bis zum Jahr 2050 einen geringeren Anteil am Umsatzsteueraufkommen als sonst, der Bund dagegen einen größeren. Darüber hinaus wird die Pflicht, zeitnah einen Insolvenzantrag zu stellen, für flutgeschädigte Unternehmen ausgesetzt. Und: Das Telekommunikationsgesetz soll so geändert werden, dass im Fall von Gefahren künftig alle Handynutzer gewarnt werden können, die sich in der entsprechenden Region befinden.

Epidemische Lage

Der dritte Tagungsordnungspunkt für die Sondersitzung ist die "Feststellung des Fortbestehens der epidemischen Lage von nationaler Tragweite". Es wäre die vierte Verlängerung, nachdem das Parlament wegen der Corona-Pandemie erstmals am 25. März 2020 eine epidemische Lage festgestellt hat. Gelten würde der Beschluss zunächst für weitere drei Monate.

Der Grund für die Verlängerung ist, dass Bund und Länder sonst den Paragrafen 28a des Infektionsschutzgesetzes nicht mehr anwenden könnten. Dort aber sind all die Beschränkungen des öffentlichen Lebens beschrieben, auf die der Staat bislang zur Pandemiebekämpfung setzt. "Es gibt einen Konnex zwischen der epidemischen Lage und dem Paragrafen 28a", sagt Michael Brenner, Verfassungsrechtler der Universität Jena. Die Alternative wäre aus seiner Sicht, den Paragrafen 28a neu zu fassen, sodass er eben nicht mehr an die Feststellung einer epidemischen Lage geknüpft wäre. Einen entsprechenden Antrag bringen die Grünen am Mittwoch in den Bundestag ein: Maßnahmen wie Abstandsgebote, Maskenpflicht oder Zugangsbeschränkungen sollen auch nach dem Ende der epidemischen Lage möglich sein, jedenfalls sechs Monate lang.

Die Voraussetzungen, eine epidemische Lage feststellen zu können, sind in Paragraf 5 des Gesetzes geregelt. Sie seien aber "einigermaßen vage", sagt Brenner, es seien eher weiche Kriterien, die man auslegen könne. Da die Infektionszahlen derzeit steigen, sieht er die Politik auf festem Grund. "Wenn man dagegen alle Handlungsmöglichkeiten abschaffen würde, stünden Gesetzgeber und Verwaltung mit leeren Händen da, wenn die Belegung der Intensivstationen wieder nach oben geht."

Die FDP lehnt eine Verlängerung der epidemischen Lage ab. "Der Fortschritt beim Impfen und die Veränderung der Pandemie machen es möglich, dass die Regierung ihre Sonderbefugnisse an den Deutschen Bundestag zurückgeben kann", sagt Fraktionschef Christian Lindner. "Der Gesundheitsnotstand der epidemischen Lage von nationaler Tragweite muss deshalb beendet werden." Die SPD-Fraktion ist dagegen laut ihrem Ersten Parlamentarischen Geschäftsführer Carsten Schneider bereit, sie zu verlängern. In der Unionsfraktion war zunächst durchaus Kritik an dem Vorgehen zu hören, weil das Gesundheitssystem derzeit eben nicht mehr so stark belastet ist wie vor der Impfkampagne. Die Spitze der Unionsfraktion verteidigte die Verlängerung nun aber. "Wir werden an diesem Mittwoch die Fortgeltung der epidemischen Lage beschließen, um den Ländern die Flexibilität zu erhalten, auf die neuerliche Zunahme von Infektionen mit dem Coronavirus angemessen reagieren zu können", sagte Fraktionsvize Thorsten Frei (CDU) der Süddeutschen Zeitung. Es gehe darum, "dass die Länder gut über den Herbst kommen und verhältnismäßige Maßnahmen verhängen können, falls die vierte Welle das erfordert". Gleichzeitig sei man aber "dank der Impfungen in einer grundsätzlich neuen Situation: Statt der Inzidenz bei den Neuinfektionen werden wir künftig hauptsächlich auch die Hospitalisierung wegen Corona-Erkrankungen mit berücksichtigen." Die Hospitalisierung habe "für die Frage der Belastung des Gesundheitswesens die deutlich höhere Aussagekraft". Der Wegfall der bisherigen Inzidenz als Maß aller Dinge soll dem Vernehmen nach ebenfalls am Mittwoch Thema im Bundestag sein. Die erste Lesung soll noch am Mittwoch erfolgen; final beschlossen werden könnte die Neuerung am 7. September.

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