Deutschland und Polen:Ganz, ganz vorsichtig

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Diplomatische Zwickmühle: Der deutsche Botschafter in Polen, Thomas Bagger, hier bei einer Gedenkansprache, äußert sich nicht zu den Protesten. (Foto: Roman Zawistowski/picture alliance/dpa/PAP)

Die Bundesregierung dürfte die Oppositionsproteste in Warschau durchaus mit Sympathie verfolgen. Doch sagen würde sie das nie, aus Angst, damit nur den Rechten in Polen zu helfen.

Von Daniel Brössler, Berlin

Der deutsche Botschafter in Polen, Thomas Bagger, fand am Montag auf Twitter warme Worte für die Menschen, die sich am Tag zuvor in Bewegung gesetzt hatten. Ein "sonniger Sonntag, ein Tag der Gemeinschaft und des Vertrauens" sei das gewesen. Der deutsche Diplomat meinte allerdings nicht jene Hunderttausende aus dem ganzen Land, die in der Hauptstadt Warschau für den Erhalt der Demokratie demonstriert hatten, sondern die 28. Wallfahrt der deutschen Minderheit zum St. Annaberg in Oberschlesien. Den Pilgern galt sein "Dank". Zur Massendemonstration in Warschau fiel die deutsche Reaktion deutlich vorsichtiger aus. Man habe die Proteste in Polen am Wochenende "zur Kenntnis genommen und beobachtet", sagte eine Sprecherin von Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) in Berlin.

Die Kampagnen gegen Deutschland sind immer schriller geworden

Die eher distanzierten Worte zeugen von einer klassischen diplomatischen Zwickmühle. Vor dem Hintergrund zuletzt immer neuer Tiefpunkte im Verhältnis zur national-konservativen Regierung in Polen werden die Vorgänge in Warschau von Berlin aus mit allergrößtem Interesse und durchaus auch mit Hoffnung verfolgt. Genau das aber will niemand allzu offen zeigen in der Sorge, mehr zu schaden, als zu nutzen. Mit einem neuen Gesetz wollen die Regierenden in Warschau dem liberal-konservativen Oppositionsführer Donald Tusk zwar beikommen, indem sie ihn bezichtigen, im Dienste Russlands zu stehen. Ebenso vehement aber verunglimpfen sie den früheren EU-Ratspräsidenten schon seit Langem als angeblichen Interessenvertreter Deutschlands. Deutsche Sympathiebekundungen für die Demonstranten von Warschau kämen der PiS von Parteichef Jarosław Kaczyński insofern vermutlich gerade recht.

Die gegen Deutschland gerichteten Kampagnen sind über die Jahre immer schriller geworden, gipfelnd im vergangenen Herbst in einer astronomischen Rechnung. Deutschland soll für Weltkriegsschäden Reparationen in Höhe von 1,3 Billionen Euro zahlen - eine Forderung, für die die Bundesregierung keinerlei Rechtsgrundlage sieht, an der die polnische Regierung aber festhält. Die deutsche "Abwehrhaltung" beim Thema Reparationen habe für ihn etwas Schizophrenes, argumentierte jüngst der zuständige polnische Vize-Außenminister Arkadiusz Mularczyk. "Die Deutschen sehen sich selbst gerne als besonders moralisch, als Vorbild für Demokratie und Rechtsstaat in Europa. Dann aber flüchten sie vor der Verantwortung für die Verbrechen ihrer Vorfahren", sagte er der Welt. Die Äußerung zeigt, worum es der Führung in Warschau nicht zuletzt geht: sich jegliche Kritik am Abbau des Rechtsstaates in Polen zu verbitten.

Schon deshalb überlässt die Bundesregierung Kritik am Vorgehen der polnischen Regierung gerne der EU-Kommission. Das gilt auch für die "Lex Tusk", mit der die National-Konservativen offenkundig versuchen, sich eines gefährlichen Konkurrenten bei der Wahl im Herbst zu entledigen. So verwies Vize-Regierungssprecher Wolfgang Büchner am Montag auf Äußerungen der EU-Kommission "im Rahmen ihrer Funktion als Hüterin der Verträge". Aus Sicht von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sei es "auch richtig so, wie die EU sich äußert". Für die Bundesregierung gelte: "Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sind unabdingbare Voraussetzungen, auf denen die EU insgesamt fußt". Sie bildeten das Fundament der Europäischen Union.

Im Rechtsstaatsstreit soll Berlin klar Position beziehen

Piotr Buras, Deutschland-Experte und Leiter des Warschauer Büros der Denkfabrik European Council on Foreign Relations (ECFR), hätte sich in der Vergangenheit deutlichere Stellungnahmen der Bundesregierung gewünscht, hält ihre jetzige vergleichsweise vorsichtige Linie aber für "nachvollziehbar". Die PiS werde nicht von ihren anti-deutschen Tönen lassen, prognostiziert er. "Sie haben nichts anderes anzubieten. Nur so können sie ihre extremen Anhänger mobilisieren", sagt Buras. Für nicht ratsam hielte er daher etwa ein geballtes Auftreten deutscher Politiker an der Seite der polnischen Opposition im Wahlkampf. Deren Anhänger würden dadurch zwar nicht abgeschreckt, weil sie gegen die gegen Deutschland gerichteten Parolen ganz überwiegend immun seien. Der PiS könne das aber dabei helfen, die eigene Anhängerschaft zu mobilisieren. Für sinnvoller hält Buras gemeinsame europäische Solidaritätsbekundungen für die Opposition.

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"Es geht darum, wie sich die Bürgerinnen und Bürger in Polen selbst entscheiden", sagt der SPD-Bundestagsabgeordnete Axel Schäfer. Sie seien es, die die Demokratie bewahren müssten. Richtig sei daher, dass die deutsche Seite sich mit "Belehrungen" zurückhalte. Allerdings müsse Polen stets an den europäischen Regeln gemessen werden, denen es selbst zugestimmt habe, sagt das Mitglied der deutsch-polnischen Parlamentariergruppe. Dies hält auch Buras für entscheidend. Nach der Niederlage der polnischen Regierung vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) im Streit über die polnische Justizreform erwartet Buras nun von der Bundesregierung eine klare Positionierung. Das Luxemburger Gericht verkündete am Montag endgültig, die Justizreform aus dem Jahr 2019 verstoße gegen EU-Recht. "Es ist sehr wichtig, hier Stellung zu beziehen", fordert Buras, "das Urteil muss umgesetzt werden."

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