SPD:Der Kanzler gibt ein Versprechen

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Bundeskanzler Olaf Scholz bei seiner Ankunft zur Klausurtagung der SPD-Bundestagsfraktion im Reichstagsgebäude. (Foto: Sebastian Gollnow/DPA)

In der SPD-Fraktion kommt es zu einer langen Aussprache mit Olaf Scholz: mit fast 40 Wortmeldungen, viel Kritik und Zweifeln. Hat der Kanzler ein Gespür für die Realität im Land - und kann er noch eine Wende schaffen?

Von Georg Ismar, Berlin

Olaf Scholz hat hinter verschlossenen Türen ein Versprechen für seine weitere Kanzlerschaft abgegeben: "Der Fraktions-Olaf wird der Draußen-Olaf." Heißt: weniger Ablesen von Schachtelsätzen, mehr klare Sprache, Empathie und direkte Kommunikation mit den Bürgern. Schon lange beknien ihn SPD-Abgeordnete, draußen mal so zu reden, wie drinnen, frei, mit klarem Plan. Dieser "Fraktions-Olaf" hat fürs Erste auch den Unmut in den eigenen Reihen besänftigen können.

Wie ernst die Lage in der Kanzlerpartei ist, wo erste Stimmen schon die Alternative Boris Pistorius nicht mehr für ausgeschlossen halten, zeigt sich am Donnerstagnachmittag, gegen 16.30 Uhr. Der Kanzler tritt aus dem Aufzug auf der Fraktionsebene, geht zur Klausur der 207 SPD-Abgeordneten - und alle Mitarbeiter müssen den Saal verlassen.

SPD-Chefin Saskia Esken nimmt die Aussprache als "sehr beseelend" wahr

Fraktionschef Rolf Mützenich hat für 90 Minuten eine offene Aussprache mit Scholz angesetzt, nichts soll nach draußen dringen. Am Ende wird die Aussprache drei Stunden dauern, bevor es in das "Deep" geht, einer Eventlocation im Keller unter der ehemaligen Bötzow-Brauerei.

Im Keller sind auch die SPD-Umfragewerte, 13 Prozent im neuen ZDF-Politbarometer, der Kanzler unbeliebt wie nie, zusammen kommen SPD, Grüne und FDP auf 31 Prozent, so viel, wie die Umfrage allein für die Union ausweist, die AfD liegt bei 22 Prozent. Und das, obwohl etwa der SPD-Abgeordnete Axel Schäfer meint, die Ampel sei die "fleißigste Regierung in den schwersten aller Zeiten". Aber die Kommunikation und die handwerklichen Fehler seien das Problem.

SPD-Chefin Saskia Esken sagt beim Hinausgehen, die Aussprache sei "sehr solidarisch, sehr angemessen, sehr beseelend" gewesen. Doch das Schweigegelübde hält nicht sehr lange, einiges dringt doch nach außen.

Es gab zuvor knapp 40 Wortmeldungen, eine sehr kritische Diskussion, quer durch alle Strömungen in der Fraktion. Scharf wurden handwerkliche Dinge kritisiert, das Kanzleramt binde die Fraktionen nicht ein, entscheide im kleinen Kreis, das müsse dann wieder korrigiert werden - so auch die über Nacht beschlossenen Agrarkürzungen. Einer im Raum ist vor allem in vielen Gesprächen am Rande der Klausur Zielscheibe der Kritik, neben dem Kanzler: Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt. Er ist für die Koordinierung der Regierungsarbeit von SPD, Grünen und FDP zuständig.

Pünktlich zur Aussprache ist bekannt geworden, dass die Bundesregierung trotz aller Finanznöte und Sparappelle an die Bauern noch kurzfristig 200 Millionen Euro für den Bundeshaushalt 2024 beantragt hat, um drei neue VIP-Hubschrauber für die Bundesregierung anzuschaffen. Das mag nachvollziehbar sein, denn die bisher eingesetzten vom Typ AS352 Cougar sind schon rund 25 Jahre im Einsatz und sollen bis 2026 eigentlich ersetzt werden. Aber selbst die Haushälter der Koalition wussten nichts davon.

Man könne da nicht ohne Erklärung heimlich 200 Millionen reinschieben und zugleich den Menschen, gerade den Bauern, erklären, ihr müsst jetzt sparen. Da fehle völlig das Fingerspitzengefühl, es sei weltfremd, wird Richtung Kanzleramt kritisiert. Man brauche da mehr Bezug zur Realität, wird zwar nicht in der Sitzung, aber am Rande auf den Fluren betont. Generell fehle im Kanzleramt eine Wahrnehmung, ein Gefühl für die Stimmung im Lande.

Wenn es um die Bauern-Demos geht, werden manche emotional

Warum lasse man denn nicht als Zeichen des guten Willens den Erweiterungsbau des Kanzleramts ruhen, der werde weit über eine Milliarde Euro kosten; in Zeiten von mehr Home-Office und dem Versprechen von weniger Bürokratie sei so viel neuer Büroraum nicht notwendig.

Emotional werden drinnen bei der Aussprache zum Teil die Berichte von Demonstrationen der Bauern. Es ist längst klar geworden, dass es da um weit mehr als den Agrardiesel geht - es geht auch um ein Gefühl der Gängelung, eines Nicht-gehört-Werdens, eines fehlenden Gespürs für die Verteilung von Belastungen, die Sorgen im Volk. Jenseits der aktuellen Proteste schließe das insbesondere auch das Thema Migration mit ein. Mit Sorge wird berichtet, wie nah gerade im Osten viele der parteilosen Bürgermeister den AfD-Positionen inzwischen stehen, Formen des Trumpismus würden auch in Deutschland nun in Form von Kulturkämpfen Einzug halten. Und warum gelinge es nicht, Hubert Aiwanger, Friedrich Merz oder Markus Söder mehr entgegenzuhalten? Immer sei man zu defensiv.

Mützenich hat klargemacht, dass das letzte Wort im Hinblick auf den Agrardiesel noch nicht gesprochen sei. Montag reden er und die Fraktionschefs von Grünen und FDP mit den Agrarverbänden, während die Landwirte wieder mit ihren Traktoren nach Berlin rollen wollen. Mützenich ist es, der in der Aussprache versucht, am Ende die Reihen um Scholz zu schließen. Der habe ihm im Bundestagswahlkampf 2021 versprochen, er werde die Arbeiterklasse nicht im Stich lassen - deshalb vertraue er ihm.

"Dramatisch wird's im Herbst"

Noch hält der Burgfrieden, aber von Abgeordneten werden drei Wegmarken benannt, an denen Scholz und die SPD sich bewähren müssen: Die Europawahl im Juni, bei der die Partei erneut ihr historisch schlechtes Ergebnis von 15,8 Prozent von 2019 unterbieten könnte. Damals trat Partei- und Fraktionschefin Andrea Nahles zurück. Außerdem muss über den Bundeshaushalt 2025 im Sommer entschieden werden, hier drohen wegen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts noch einmal größere Einsparungen.

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Und dann folgen im September die Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg, in allem drei Bundesländern liegt die AfD weit vorn. "Dramatisch wird's im Herbst", glaubt ein Mitglied der SPD-Fraktion. Die vom Kanzleramt gestreute Erzählung, wenn "der Olaf gegen den Merz geht, dann wählen die schon den Olaf", sei da etwas wenig mit Blick auf die nächste Bundestagswahl.

Nach dem Gewitter in der Fraktion hoffen viele, dass Scholz tatsächlich eine Wende gelingt. Doch es gibt auch Skeptiker, wegen der Fliehkräfte in der Koalition, aber auch mit Blick auf den Kanzler selbst: "Der ändert sich nicht mehr", ist zu hören. "Und so wird sich gar nichts ändern."

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