Bürgerbeteiligung:Auf ein Schnitzel mit dem Bürgerrat

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Schnitzelverbot durch die Hintertür? Die Aufregung um den Bürgerrat ist schon groß, bevor er überhaupt zum ersten Mal am Wochenende zusammenkommt. (Foto: Elmar Gubisch/Imago)

Eine Versammlung aus 160 zufällig ausgewählten Deutschen trifft sich erstmals, um über Ernährung zu diskutieren. Der Bundestag hat das Gremium eingesetzt, bindet sich aber nicht an seine Empfehlungen. Was bringt das?

Von Boris Herrmann, Berlin

Gemessen daran, dass der erste Bürgerrat des Deutschen Bundestages seine Arbeit noch gar nicht begonnen hat, ist die Aufregung bereits enorm. Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) sah sich nicht von ungefähr zu der öffentlichen Klarstellung gezwungen, es handle sich um "eine Bereicherung und kein Nebenparlament, wie Kritiker sagen".

Bereichernd wirkt sich das zweifellos auf den Wochenendbetrieb im Bundestag aus. 160 Teilnehmer aus der ganzen Republik, die in einem gestaffelten Losverfahren ausgewählt wurden, kommen von Freitagnachmittag bis Sonntagmittag erstmals in Berlin zusammen, um diesen Bürgerrat zu formieren. Sie sollen in den kommenden Monaten in drei Präsenzsitzungen und weiteren sechs Online-Terminen über das Thema Ernährung diskutieren. Am Ende, im Februar 2024, werden sie dann laut Plan ein "Bürgergutachten" erarbeitet haben, in dem "Handlungsempfehlungen" für die gewählten Parlamentarier stehen.

In anderen Demokratien, etwa im diesbezüglich sehr progressiven Irland, gibt es bereits gute Erfahrungen mit Bürgerräten - in einigen deutschen Bundesländern und Kommunen ebenso. Und es war der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble von der CDU, der vor einigen Jahren erste Modellprojekte auch auf Bundesebene angestoßen hatte, "wir müssen unsere parlamentarische Demokratie zukunftsfähig machen", sagte er dazu.

Kritiker sprechen von "politischer Show-Veranstaltung"

Die Kritiker des ersten offiziell vom Bundestag eingesetzten Bürgerrats kommen nun aber auch aus Schäubles Unionsfraktion und sprechen von einer "politischen Show-Veranstaltung". Der CDU-Abgeordnete Philipp Amthor sagte, legitime Bemühungen um mehr Bürgerbeteiligung dürften "nicht zu einer fortschreitenden Erosion des Konzepts der repräsentativen Demokratie führen".

Auch die AfD lehnt, wie so vieles andere, den Bürgerrat ab. Die Linkspartei wiederum hat im Frühjahr zwar gemeinsam mit der Regierungskoalition für dessen Einsetzung gestimmt, sie kritisiert aber schon mal vorab, dass die Ergebnisse nicht bindend für den Gesetzgeber sein werden. Der Parlamentarische Geschäftsführer der Linken, Jan Korte, tat in der taz kund, dass man 160 Leute "mit viel Tamtam für den Papierkorb arbeiten" lasse.

Als herzlicher Willkommensgruß für die Damen und Herren Bürgerräte, von denen viele am Wochenende erstmals ein Bundestagsgebäude betreten werden, lässt sich der bisherige Debattenverlauf jedenfalls nicht werten. Die Bundestagsverwaltung ist deshalb sehr darum bemüht, auf die Beruhigung der Gemüter hinzuwirken. Und zwar in gegensätzliche Richtungen.

Wer was auf dem Teller hat

An die Union, die ja offenbar verfassungsrechtliche Bedenken hat, ergeht der Hinweis, dass der Bürgerrat ein Instrument des Dialogs sei und keineswegs die schleichende Einführung der direkten Demokratie. Die Ergebnisse seien lediglich als Beratungs- und Entscheidungshilfe für das Parlament zu verstehen und schränkten somit auch nicht die Mandatsrechte der Abgeordneten ein.

Umgekehrt, das sei der Linken gesagt, soll das Bürgergutachten auch nicht so unverbindlich bleiben, dass es direkt in die Tonne gehen kann. Am Ende werden die erarbeiteten Empfehlungen zur Zukunft der Ernährungspolitik immerhin in einer Drucksache publiziert und damit im Plenum des Bundestags landen, von wo sie aller Wahrscheinlichkeit nach erst einmal in die Ausschüsse verwiesen werden. Das sei das "Maximum an parlamentarischer Aufmerksamkeit", heißt es aus der Bundestagsverwaltung.

Nicht zuletzt steht aber auch das Thema selbst unter kritischer Beobachtung. Sein voller Name "Ernährung im Wandel: zwischen Privatangelegenheit und staatlichen Aufgaben" ist zumindest insofern sehr treffend gewählt, als auch die einstmalige Privatsache, wer was auf dem Teller hat, inzwischen zum Gegenstand der kulturkämpferischen Auseinandersetzungen geworden ist. Auf Oppositionsseite wird lautstark vermutet, dass die Ergebnisse des Bürgerrats im Grunde schon seit der Auswahl des Themas feststehen. Dass also dem Bundestag durch die Hintertür ein allgemeines Schnitzelverbot untergeschoben werden soll.

Keine Überraschung ist es daher, dass auch die Debatte über die soziodemografische Zusammensetzung des Bürgerrats recht lebhaft geführt wird. Vorwürfe, wonach die Veganer darin überrepräsentiert seien, weist der Bundestag aber zurück. Von den knapp 20000 Deutschen, die zunächst ausgelost und eingeladen worden waren, zeigte sich etwa jeder Zehnte an der Mitarbeit im Bürgerrat interessiert, darunter im Bezug auf die Gesamtbevölkerung deutlich zu viele Akademiker und etwas zu viele Veganer.

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Ein Algorithmus hat an dieser Stelle ins Zufallsprinzip eingegriffen und die statistische Verzerrung korrigiert. Dabei ging es aber nicht etwa um eine Mindestquotierung für Fleischhasser, wie etwa der CDU-Politiker Amthor suggerierte, sondern vielmehr darum, die Zahl der ernährungsbewussten Menschen auf ein Normalmaß zu begrenzen. Die Veganer-Quote im Bürgerrat entspricht jetzt etwa der im ganzen Land, rund zwei Prozent.

Wie hat es Bärbel Bas ausgedrückt? Das Gremium sei "kein Allheilmittel, aber es ist vielleicht ein Weg, um auch wieder Brücken zu bauen". Wenn das bis Februar gelingen sollte, hätte sich die Aufregung allemal gelohnt.

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