Südamerika:Aufräumen in Brasília

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Überall im Regierungsviertel in Brasiliens Hauptstadt, wie hier vor dem Obersten Gerichtshof, wird seit Tagen repariert und renoviert. Die Angreifer haben enorme Schäden verursacht - an Gebäuden und der Demokratie des Landes. (Foto: Douglas Magno/AFP)

Zwei Wochen nach dem Sturm eines rechten Mobs auf Brasiliens Regierungsviertel zeigt sich das Ausmaß der Zerstörung. Präsident Lula da Silva entlässt den Chef der Armee, das Vertrauen ist weg.

Von Christoph Gurk, Buenos Aires

Eigentlich hatte Brasiliens neuer Präsident Luiz Inácio Lula da Silva große Pläne für seine ersten Wochen im Amt: Armut bekämpfen, Bildung fördern, den Regenwald stärker schützen. Nun aber sind der 77-Jährige und seine Regierung vor allem mit einem beschäftigt: dem Aufräumen.

Rund zwei Wochen sind vergangen, seit am 8. Januar ein Mob von Anhängern des rechten Ex-Präsidenten Jair Bolsonaro in der Hauptstadt Brasília das Regierungsviertel stürmte. Die Angreifer drangen in das Kongressgebäude ein, in den Obersten Gerichtshof und auch den Präsidentenpalast. Sie zerschlugen Scheiben und Möbel, rissen Kabel aus den Decken und urinierten gegen Wandgemälde.

Mittlerweile sind die meisten Scherben aufgekehrt und die rechten Parolen von den Wänden gewaschen. Wie groß die Zerstörung und der Schaden wirklich ist, wird allerdings erst langsam klar. Denn die Randalierer haben nicht nur Büros und Sitzungssäle verwüstet, sondern auch Gemälde zerschnitten und Statuen zertrümmert. Experten versuchen, die Kunstwerke und Antiquitäten wieder zu restaurieren, manche Stücke sind aber wohl für immer verloren.

Auch über Instagram wird nach Tätern gesucht

Gleichzeitig ist die juristische und politische Aufarbeitung im vollen Gange. Unmittelbar nach dem Sturm auf das Regierungsviertel hatten die brasilianischen Behörden Verdächtige festgenommen, und bereits vergangene Woche gab es erste Anklagen, etwa wegen der Bildung einer bewaffneten kriminellen Vereinigung, Beschädigung von öffentlichem Eigentum und einem versuchten Staatsstreich.

Einige Täter sind aber immer noch nicht gefasst. Im Netz gibt es darum private Seiten, die Fotos oder Videos zeigen von rechten Randalierern. Sie stammen teilweise von Überwachungskameras, oft auch aus sozialen Netzwerken oder Chatgruppen. Allein dem Profil "Contragolpe Brasil" folgen beim Fotoportal Instagram mehr als eine Million Nutzer, und manche Beiträge haben Hunderte Kommentare. "Haben Sie Informationen zu diesem Mann?", fragen die Macher zum Beispiel in einem Post, der Bilder von einem 30- bis 40-jährigen Mann zeigt, der eine antike Pendeluhr im Präsidentenpalast zu Boden reißt. Sein Gesicht ist unvermummt, auf dem T-Shirt das Konterfei von Jair Bolsonaro.

Schon Tage vor dem Umsturzversuch war der rechte Politiker Ende Dezember in die USA gereist. Am 1. Januar übernahm dann Lula da Silva das Präsidentenamt. Er hat seitdem seinem Vorgänger immer wieder die direkte Schuld an den Angriffen gegeben: "Ich weiß nicht, ob der ehemalige Präsident alles angeordnet hat", sagte Lula da Silva vergangene Woche, "aber ich weiß, dass er dafür verantwortlich ist, weil er vier Jahre lang Hass geschürt hat."

Mittlerweile ist zumindest Bolsonaros ehemaliger Justizminister in Haft, Anderson Torres. Er war seit Januar eigentlich zuständig für die Sicherheit in Brasília. Gleich nach Amtsantritt entließ er aber aus bisher unbekannten Gründen mehrere Polizeikommandanten, bevor er am 7. Januar ebenfalls nach Florida reiste. Torres wird verdächtigt, mit radikalen Bolsonaro-Anhängern kooperiert zu haben und mit bewusst laxen Vorsichtsmaßnahmen den Angriff ermöglicht zu haben. Bei einer Hausdurchsuchung fand die Bundespolizei in Torres' Büro auch den Entwurf eines Präsidialdekrets, mit dem Bolsonaro noch als Präsident den Wahlgerichtshof hätte entmachten können , um so das Wahlergebnis nachträglich zu ändern. Torres weist bisher jede Schuld von sich und sagt, das Dekret sei aus dem Zusammenhang gerissen.

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Die Lage in Südamerikas größter Demokratie ist nun weitgehend wieder unter Kontrolle, die Situation aber bleibt weiter angespannt.

Denn die Tatsache, dass mehrere Tausend radikale Rechte fast ungehindert in das Regierungsviertel eindringen konnten, hat die neue Regierung in Brasilien vor die Frage gestellt, wem sie noch vertrauen kann. Es gibt mittlerweile Hinweise darauf, dass sowohl Teile des Militärs als auch bestimmte Polizeieinheiten den Mob wissentlich nicht aufhielten und im Nachhinein Täter sogar vor Verhaftung schützten. Ende der vergangenen Woche wurde fast die komplette Führungsebene der besonders Bolsonaro-treuen Autobahnpolizei ausgewechselt, dazu wurden auch noch mehrere Dutzend Soldaten entlassen, die im Präsidentenpalast Dienst taten.

Jeder dritte Brasilianer hält das Wahlergebnis für unrechtmäßig

"Es gab viele Leute in den Streitkräften, die mitschuldig sind", sagte der neue Staatschef Lula da Silva. Er sei überzeugt, dass den Tätern von innen der Zugang zum Präsidentenpalast erleichtert wurde: "Ich habe keine Hinweise dafür, dass die Tür aufgebrochen wurde." Am Samstag entließ Lula da Silva sogar noch den Chef des Heeres. Der Staatschef selbst äußerte sich nicht, doch Verteidigungsminister José Múcio sprach vor Journalisten von einem "Bruch auf der Vertrauensebene" zur Führung der Armee nach den Attacken vom 8. Januar. Deshalb sei ein Wechsel nötig gewesen.

Und auch wenn Umfragen zeigen, dass ein Großteil der Bevölkerung den gewalttätigen Sturm auf das Regierungsviertel ablehnt, so ist den Erhebungen zufolge mehr als ein Drittel der Brasilianer ebenfalls davon überzeugt, dass Lula da Silva die Wahlen im Oktober nicht rechtmäßig gewonnen hat. Über Chatgruppen rufen Anhänger von Jair Bolsonaro weiter zu Demonstrationen auf, gleichzeitig wächst die Angst vor Anschlägen. Unbekannte haben zuletzt immer wieder Strommasten angegriffen. Die zuständigen Behörden sprechen von Vandalismus und Sabotage.

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