Brasilien:Der Ex-Sicherheitschef, der von nichts wusste

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Anderson Torres war für die Sicherheit der Hauptstadt Brasília zuständig - und wurde doch angeblich von den Ausschreitungen überrascht. (Foto: Ton Molina/IMAGO/Fotoarena)

Anderson Torres war unter Bolsonaro Justizminister. In der Hauptstadt Brasília sollte er seit 1. Januar für Ruhe und Ordnung sorgen. Aber: weit gefehlt.

Von Benedikt Peters

Am Morgen des 30. Oktober war die Welt des Anderson Torres offenbar noch in bester Ordnung. Bei Twitter postete er ein Bild von sich im Trikot seines Lieblingsfußballvereins Flamengo aus Rio de Janeiro, der am Abend zuvor die Copa Libertadores gewonnen hatte, die südamerikanische Champions League. "So beginnt ein siegreiches Wochenende", schrieb Torres dazu - doch damit sollte es, abgesehen vom Fußball, nichts werden. Stattdessen nahm ab jenem 30. Oktober eine Reihe von Ereignissen ihren Lauf, die Torres zwei Mal um einen Job bringen sollten - und nun wohl auch um seine Freiheit.

Der 30. Oktober war der Tag, an dem die Brasilianerinnen und Brasilianer einen neuen Präsidenten wählten. Torres, Jahrgang 1976, hoffte auf einen Sieg des Rechtsaußen Jair Bolsonaro, er diente in dessen Kabinett als Justizminister. Doch Bolsonaro verlor knapp gegen den Linken Lula da Silva, was für Torres zunächst hieß, dass er sich einen neuen Job suchen musste. Am 1. Januar wurde er zum zweiten Mal in seiner Karriere zum Sicherheitschef des Hauptstadtdistrikts Brasília ernannt - und wurde dadurch wenige Tage später zur Hauptfigur in einem der größten Dramen des Landes seit Ende der Militärdiktatur.

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Am 8. Januar zog ein entfesselter Mob von Bolsonaro-Anhängern, die die Niederlage ihres Idols nicht anerkennen wollen, durch das Regierungsviertel. Die Horden verwüsteten den Kongress, den Präsidentenpalast und den Obersten Gerichtshof. Torres wird sich dafür verantworten müssen, auch wenn er selbst nicht einen einzigen Stein geworfen hat. In seinem Fall ist vielmehr das Problem, was er nicht getan hat. Als Sicherheitschef von Brasília war Torres auch für die Militärpolizei zuständig, sie hätte die Gebäude schützen müssen. Doch als die etwa 3000 Randalierer am Kongress ankamen, stand dort nur eine Rumpftruppe. Manche der Militärpolizisten winkten die Vandalen sogar durch, plauderten ein wenig mit ihnen, schossen Selfies.

Hat da ein bekennender Bolsonarista einfach die Hände in den Schoß gelegt, damit der Mob in Ruhe die heiligen Stätten der Demokratie verwüsten konnte? Der Verdacht drängt sich auf, wenngleich er nicht bewiesen ist. Der Geheimdienst ABIN hatte zuvor vor Angriffen auf Regierungsgebäude gewarnt, gewaltbereite Bolsonaro-Anhänger kampierten schon seit Wochen am Rande der Hauptstadt, und noch einen Tag vor den Ausschreitungen waren weitere Busse mit Demonstranten angekommen. Anstatt genug Polizisten abzustellen, fuhr Torres lieber in Urlaub - und das ausgerechnet nach Florida, dorthin also, wo auch der abgewählte Ex-Staatschef Bolsonaro derzeit weilt. Aus Sicht des Obersten Gerichtshofs wiegen die Vorwürfe so schwer, dass er nun Haftbefehle gegen den Chef der Polizei und gegen Torres erließ, außerdem wurde Torres' Wohnung durchsucht. Zuvor war er bereits seines Amtes enthoben worden.

Torres schreibt, er habe die Unruhen nicht kommen sehen

Die Frage, die die Ermittler nun klären müssen, ist diese: Ist der Ex-Justizminister Teil eines Komplotts gewesen - oder war er nur grenzenlos naiv? Torres selbst verbreitet eine Erklärung, der zufolge er das alles nicht kommen gesehen habe. Der Tag der Ausschreitungen sei "der bitterste in seiner Karriere" schreibt er, "die bedauerlichen Szenen haben mich überrascht". In Florida habe er Bolsonaro nicht getroffen. Das sei nur als Urlaub geplant gewesen, "von dem die Familie seit Monaten geträumt hat". Ein Amtsträger, der inmitten einer aufziehenden Katastrophe in die Ferien fährt - auch wenn diese Version stimmt, sie könnte für Torres' weitere Karriere zum Problem werden.

Aus dem Urlaub wird jetzt ohnehin nichts mehr. Torres hat angekündigt, er wolle sofort nach Brasilien zurückkehren, sich stellen und an seiner Verteidigung arbeiten. Am Ende werde die Wahrheit siegen, verspricht er. Das, immerhin, ist eine Hoffnung, auf die sich im tief gespaltenen Brasilien die meisten einigen können.

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