Brasilien:Bolsonaro zündelt wieder

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Brasiliens Demokratie hat dem Sturm standgehalten: Die Staatsflagge am Gebäude des Obersten Gerichtshofs in Brasília. (Foto: Carl de Souza/AFP)

Nach den Ausschreitungen im Regierungsviertel der brasilianischen Hauptstadt verbreitet der Rechtspopulist weiter den Mythos vom Wahlbetrug - und das Land treibt eine Frage um: Könnte der Ex-Präsident am Ende im Gefängnis landen?

Von Benedikt Peters

Der Rauch über Brasília war noch nicht verflogen, da zündelte Jair Bolsonaro schon wieder. Auf Facebook teilte der rechte Ex-Präsident Brasiliens Mitte der Woche ein Video, das, wieder einmal, von angeblichen Manipulationen bei der Präsidentschaftswahl raunt, obwohl es dafür nicht ein Indiz gibt. Der Linke Luiz Inácio Lula da Silva, gegen den Bolsonaro im Herbst verloren hatte, sei "nicht vom Volk gewählt worden", behauptet ein Sprecher, er sei einfach von der Justiz ins Amt gehievt worden. Ein paar Stunden später löschte Bolsonaro das Video wieder.

Es ist die Strategie, die der brasilianische Rechtsaußen seit Jahren anwendet: Anschuldigungen verbreiten, Tabus brechen, hin und wieder ein wenig zurückrudern. Wozu das geführt hat, war am vergangenen Sonntag zu beobachten, dem Tag, der als "Angriff auf die Demokratie" in die Geschichte Brasiliens eingehen wird. Ein Mob von 3000 "Bolsonaristas", die die Niederlage ihres Idols bei den Wahlen nicht akzeptieren wollen, verwüstete die wichtigsten Institutionen des Staates in der Hauptstadt Brasília: Den Kongress, den Obersten Gerichtshof, den Präsidentenpalast. Sie zerschlugen Möbel und Computerbildschirme, zerbrachen Scheiben und Skulpturen, manche stahlen die Waffen aus den Schränken des Sicherheitspersonals.

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Die Verwüstungen durch Bolsonaro-Anhänger in Brasílias Regierungsviertel sind bald aufgeräumt. Die Aufarbeitung wird das Land aber noch lange beschäftigen.

Von Benedikt Peters

Dass Bolsonaro aus politischer Sicht eine Mitschuld an den Verwüstungen trägt, darüber sind sich nahezu alle Analysten einig. An einem friedlichen Übergang zwischen seiner und der Präsidentschaft Lulas zeigte er nie Interesse; er gestand seine Niederlage nie eindeutig ein und weigerte sich entgegen der Tradition, seinem Nachfolger bei dessen Amtseinführung die Präsidentenschärpe zu übergeben. In den vergangenen Jahren machte Bolsonaro außerdem nie einen Hehl daraus, dass Gewalt für ihn ein legitimes politisches Mittel ist. Es sei praktisch, sagte Bolsonaro im Wahlkampf, wenn viele seiner Gegner eng beieinander stünden. "Dann tötet man sie alle mit einer Granate."

Politische Verantwortung ist das eine; die Frage aber ist, ob Bolsonaro für die Ausschreitungen von Brasília belangt werden könnte. Ein nachträgliches Impeachment-Verfahren, wie es - erfolglos - gegen Donald Trump nach dem Sturm auf das Kapitol vor zwei Jahren angestrengt wurde, ist nach Ansicht von Juristen nicht möglich, da Bolsonaro am Tag des Angriffs nicht mehr im Amt war.

Reicht es für eine Anklage? Floss womöglich Geld?

Er könnte aber trotzdem von künftigen Wahlen ausgeschlossen werden, wenn er zuvor rechtskräftig verurteilt würde. Dann dürfte er für eine Dauer von acht Jahren nicht kandidieren. Im Zusammenhang mit dem Sturm auf Brasília wurden offiziell noch keine Ermittlungen gegen Bolsonaro aufgenommen. Doch die Behörden untersuchen vor allem zwei Fragen: Reichen Bolsonaros Äußerungen vor und nach der Wahl, um ihn wegen Anstiftung zu den Ausschreitungen anzuklagen? Und: Hat er sich in irgendeiner Weise an der Organisation oder Finanzierung der Proteste beteiligt?

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In der Frage der Anstiftung sind sich die Juristen uneins. Manche verweisen auf seine zahlreichen hetzerischen Posts, die eine Anklage möglich machten. Andere halten eine Verurteilung für unwahrscheinlich, weil ein direkter Zusammenhang schwer zu belegen sei. Bolsonaro hatte zum Beispiel - anders etwa als Trump vor zwei Jahren - nicht direkt zu den Demonstranten gesprochen, er war an jenem Tag nicht einmal in Brasília.

Umso spannender dürften die Untersuchungen dazu werden, ob Bolsonaro die Proteste in irgendeiner Weise mitorganisiert hat. Als Schlüsselfigur in dieser Frage kristallisiert sich sein ehemaliger Justizminister Anderson Torres heraus, der - so der Verdacht - in seinem neuen Amt als Sicherheitschef von Brasília dafür sorgte, dass die Institutionen kaum von Polizisten geschützt waren. Gegen Torres wurde Haftbefehl erlassen - und bei einer Durchsuchung bei ihm zu Hause fand sich ein Dokument, das die Spekulationen um eine politische Verschwörung befeuert.

Einige sehen Indizien dafür, dass es Putschpläne gegen Lula gab

Es handelt sich um den Entwurf eines Dekrets, mit dem Bolsonaro noch als Präsident den Wahlgerichtshof entmachten und das Wahlergebnis nachträglich hätte ändern können. Torres teilte mit, das Dekret stamme nicht von ihm und sei aus aus dem Zusammenhang gerissen. Beobachter werten es als starkes Indiz dafür, dass es in der Bolsonaro-Regierung Putschpläne gegen Lula gab.

Bleibt die Frage, ob sich die Wähler nach den Ausschreitungen nun von Bolsonaro abwenden werden. Die Politologin und Brasilien-Expertin Mariana Llanos hält das für unwahrscheinlich. "Bolsonaro ist politisch nicht tot", sagt sie. "Viele seiner Wähler glauben den seriösen Medien nicht, sie folgen nur noch Fake News." Auf den entsprechenden Kanälen werden schon seit Tagen abstruse Mythen verbreitet: Hinter dem Sturm auf Brasília, heißt es da, steckten keine Bolsonaro-Anhänger. Sondern verkleidete Linksradikale, die Präsident Lula geschickt habe.

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