Blair vor Irak-Untersuchungsausschuss:Tag der Abrechnung

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Tony Blair auf dem heißen Stuhl: Wütende Proteste begleiten den Ex-Premier bei seiner Aussage vor dem Irak-Ausschuss in London. Die Hoffnung vieler Briten: Er soll als Lügner entlarvt werden.

Wolfgang Jaschensky

"Es ist ein entscheidender Tag: Für ihn, für die britische Öffentlichkeit und für die moralische Instanz Großbritanniens in der Welt", sagt Anthony Seldon, Tony Blairs Biograph. Doch er glaubt: Entschuldigen wird sich der Ex-Premier nicht. Nicht an diesem Freitag, nicht vor dem Irak-Untersuchungsausschuss.

Hunderte Demonstranten versammelten sich in der Londoner Innenstadt, während Tony Blair vor dem Irak-Untersuchungsausschuss aussagen musste. Der Ex-Premier hat sich zur Hassfigur vieler Briten entwickelt. (Foto: Foto: dpa)

Tony Blair erscheint in blauem Anzug, weißem Hemd und roter Krawatte zum Tag der Abrechnung. Im Saal sitzen 80 per Los ausgewählte Zuhörer, darunter Angehörige von im Irak getöteten Soldaten. Blair wirkt gefasst, aber angespannt. Er weiß, es geht um viel: Um seinen Ruf, um seine Rolle in der Geschichte.

In den vergangenen Jahren hat er sich zur Hassfigur vieler Briten entwickelt. Die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung hält den Einmarsch in den Irak für einen Fehler. Viele sehen in Blair sogar einen Kriegsverbrecher, der 45.000 britische Soldaten in einen unnötigen und illegalen Feldzug gegen Saddam Hussein getrieben hat. Ohne UN-Mandat und auf Grundlage falscher oder gar manipulierter Informationen.

Der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses, John Chilcot, erklärt zu Beginn den Sinn der Befragung: Durch Blairs Aussage sollte vor allem klarwerden, warum Großbritannien im Jahr 2003 im Irak einmarschierte, wann er dem damaligen US-Präsidenten George W. Bush seine Unterstützung für eine Invasion zusagte und ob er absichtlich die Gefahr durch angebliche irakische Massenvernichtungswaffen übertrieb.

Ausschussmitglied Roderick Lyne darf die erste Frage stellen. Doch erst legt er ausführlich sein Wissen dar. Blair wirkt erleichtert, er kann sich einstimmen und dann in Ruhe erklären, wie die Anschläge vom 11. September 2001 die Einschätzung der Bedrohung "dramatisch verändert" haben.

Blair räumt ein, dass sich die vom Regime des irakischen Staatschefs Saddam Hussein ausgehende Bedrohung gleich geblieben sei. "Es war unsere Wahrnehmung des Risikos, die sich verschoben hat", fügt er hinzu. Es sei damals um "eine absolut machtvolle, klare und unablässige Botschaft" gegangen, dass nach den Anschlägen vom 11. September kein Regime mit Massenvernichtungswaffen mehr toleriert werde".

Blair sagt, er sei sich der "Kehrseite" eines Krieges bewusst gewesen. "Ein militärischer Einsatz ist immer der letzte Ausweg, den man in Erwägung zieht." Er sei jedoch immer noch der Meinung, dass "Schurkenstaaten" nicht erlaubt werden dürfe, Massenvernichtungswaffen zu entwickeln. Vor allem aber beharrt er darauf, von der Existenz der Massenvernichtungswaffen im Irak überzeugt zu gewesen zu sein. "Ich hatte keinen Zweifel, dass Saddam Massenvernichtungswaffen besaß. Es war eine Entscheidung, die ich wieder treffen würde."

Eines war schon klar, bevor der Buhmann der Nation den schmucklosen Raum im Queen-Elizabeth-Konferenzzentrum in London betrat: Es wird ein Spektakel. Seit Monaten warten die kriegsmüden Briten darauf, Blair vor laufenden Kameras schwitzen zu sehen, ihn als Lügner zu entlarven.

Blair traf bereits zwei Stunden vor Beginn der Sitzung durch einen Hintereingang in dem Gebäude ein, um demonstrierenden Kriegsgegnern aus dem Weg zu gehen. "Diese feige und hinterlistige Ankunft ist typisch dafür, wie der ehemalige Premier dem Land den Krieg verkauft hat - hinter dem Rücken der Öffentlichkeit", sagte der Vorsitzende einer Friedensbewegung, Andrew Murray.

Hunderte Briten versammelten sich in der Londoner Innenstadt und konnten nur durch ein großes Polizeiaufgebot daran gehindert werden, direkt vor das Konferenzzentrum zu gelangen. Einige Demonstranten hatten rotgefärbte Hände, eine Tony-Blair-Maske über das Gesicht gezogen und trugen einen Sarg auf ihren Schultern. Die Menge skandierte "Blair lied, thousands died" (Blair hat gelogen - tausende sind gestorben) und "Jail Tony" (Inhaftiert Tony).

Diese Forderung der Irak-Kriegsgegner, so viel ist klar, wird sich nicht erfüllen, egal wie das Blair-Verhör verläuft. Niemandem droht durch den Untersuchungsausschuss strafrechtliche Verfolgung. Zudem müssen die Zeugen nicht unter Eid aussagen. Für Kritik sorgte außerdem, dass entscheidende Regierungsdokumente unter Verschluss bleiben und das Gremium von der Regierung eingesetzt wurde, was Zweifel an der Unabhängigkeit der Mitglieder aufkommen ließ.

Dennoch förderte der Ausschuss seit Ende November durch die Befragung von Geheimdienstagenten, Botschaftern, Ministern und Blair-Vertrauten einige Erkenntnisse zu Tage. Vor allem aber rückte er das Thema Irakkrieg wieder in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses.

Maximal mögliche Distanz

Tony Blair sah sich unter Rechtfertigungsdruck und löste mit einem Bekenntnis in einem Fernsehinterview Mitte Dezember bereits eine erste Welle der Entrüstung aus. Er hätte auf jeden Fall eine Intervention gegen Saddam Hussein befohlen - selbst wenn er bereits gewusst hätte, dass der irakische Despot über keine Massenvernichtungswaffen verfüge, erklärte Blair. Es hätte dann eine andere Rechtfertigung für den Einmarsch geben müssen.

Einen Tag später ein weiterer Paukenschlag: Ken Macdonald, einst ein enger Gefolgsmann Blairs, unterstellte dem Ex-Premier, dass er nur in den Krieg gezogen sei, um sich bei George W. Bush einzuschleimen. "Washington hat ihm den Kopf verdreht", schrieb der Mann, den Blair einst auf den Posten des Generalstaatsanwaltes hievte, in der Londoner Times. Blair habe dem Glanz nicht widerstehen können, die ihm diese Gelegenheit bot.

Macdonald sollte nicht der Einzige bleiben, der in den vergangenen Wochen auf maximale Distanz zu Blair gegangen ist. Diese Woche erklärte Michael Wood, der frühere Top-Jurist des Außenministeriums, er hätte den Krieg für illegal gehalten. Auch Woods damaliger Chef, Ex-Außenminister Jack Straw, gibt sich alle Mühe, sich als Skeptiker des Krieges zu inszenieren. Der damalige Generalstaatsanwalt Peter Goldsmith gab zu Protokoll, dass er im Entscheidungsprozess außen vor gelassen wurde und erst kurz vor dem Einmarsch erklären durfte, dass eine Invasion legal sei.

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