Energiecharta-Vertrag:Darf ein irischer Energie-Investor die Bundesrepublik verklagen?

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Wer ist zuständig, wenn Unternehmen einen Staat wegen Investitionen in zum Beispiel Windparks verklagen? Hier eine Offshore-Anlage vor Helgoland. (Foto: Christian Charisius/dpa)

Das Unternehmen wollte Offshore-Windparks in der Nordsee errichten - und sieht seine Investitionen ausgerechnet durch eine Gesetzesänderung zur Energiewende gefährdet. Wie der Projektentwickler nun 300 Millionen Euro erstreiten will.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Wenn die Politik die Richtung wechselt, dann muss sie mit den Klagen von Unternehmen rechnen, die ihre Investitionen gefährdet sehen. Das kann teuer werden, der Energiekonzern Vattenfall hat wegen des Automausstiegs vor einem Schiedsgericht immerhin 1,4 Milliarden Euro Entschädigung erstritten. Grundlage war damals der Energiecharta-Vertrag, ein drei Jahrzehnte altes Abkommen zwischen rund 50 Staaten sowie der EU, das unter anderem Investitionen im Energiesektor schützt. An diesem Mittwoch hat der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe über drei solcher Klagen verhandelt, in denen es um einen anderen Richtungswechsel geht - die Energiewende.

Gestritten wurde über eine Klausel im Energiecharta-Vertrag, wonach Investorenklagen gegen Staaten durch ein Schiedsgericht in Washington entschieden werden müssen - und zwar exklusiv, wenn die Kläger das wollen. Womit die Klagen der staatlichen Justiz entzogen werden. Ein Urteil wird erst am 27. Juli verkündet, aber der Gang der Karlsruher Verhandlung legt nahe: Das oberste Zivilgericht wird die Millionenprozesse wohl kaum der nichtstaatlichen Paralleljustiz überlassen.

Im ersten der drei Verfahren macht der irische Projektentwickler Mainstream Renewable Power Ansprüche von rund 275 Millionen Euro gegen Deutschland geltend, plus 56 Millionen Zinsen. Das Unternehmen wollte in der Nordsee Offshore-Windparks errichten, sah aber nach Änderungen im Erneuerbare-Energien-Gesetz seine Investitionen als gefährdet an. Die beiden anderen Klagen stammen noch aus der fossilen Welt: Der Energiekonzern RWE fordert von den Niederlanden rund 1,4 Milliarden Euro, Uniper verlangt mehrere Hundert Millionen Euro, in beiden Fällen wegen des niederländischen Kohleausstiegs; die Unternehmen hatten dort in Kohlekraftwerke investiert.

Eine Spezialjustiz für Investoren? Gibt es in der EU eigentlich nicht mehr

Die entscheidende Frage lautet nun: Können sie ihre Ansprüche vor dem Schiedsgericht in Washington geltend machen, wo sie sich offenbar eine deutlich investorenfreundlichere Haltung erhoffen? Genau dies sieht der Energiecharta-Vertrag vor - und beide Staaten haben ihn unterschrieben, Deutschland ebenso wie die Niederlande.

Allerdings sind solche Schiedsgerichtsverfahren in den vergangenen Jahren stark unter Druck geraten, und zwar in den Fällen, in denen die Beteiligten innerhalb der EU angesiedelt sind. Man könnte auch sagen: Sie gehören fast schon der Vergangenheit an. Denn der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mehrfach entschieden, dass sich Staaten und Investoren in Intra-EU-Verfahren nicht einfach per Schiedsvereinbarung aus dem europäischen Recht ausklinken können. Wo die Regeln der EU gelten, müssen eben auch nationale und europäische Gerichte entscheiden; eine Spezialjustiz für Investoren widerspricht diesem Prinzip.

Grundlegend war das Achmea-Urteil des EuGH von 2018, da ging es um ein bilaterales Abkommen zwischen den Niederlanden und der Slowakei. Eine Schiedsklausel sei rechtswidrig, weil damit die "volle Wirksamkeit des Unionsrechts" unterlaufen werde, befand der EuGH. Die große Mehrheit der EU-Staaten hat auf diese Rechtsprechung reagiert, die bilateralen Investitionsschutzverträge sind seither gefallen wie die Dominosteine.

Der BGH ist die letzte Hoffnung der Unternehmen

Vor zwei Jahren dehnte der EuGH seine Rechtsprechung auch auf ein multilaterales Abkommen aus - und zwar auf ebenjenen Energiecharta-Vertrag. Das dort festgelegte Schiedsverfahren verstoße gegen EU-Recht, der entsprechende Artikel 26 sei schlicht nicht anwendbar. Auch hierauf reagierte die Politik: Die Bundesregierung beschloss am 30. November 2022 den Rücktritt vom Energiecharta-Vertrag. "Aus der EuGH-Rechtsprechung folgt eindeutig, dass angerufene Schiedsgerichte ohne Rechtsgrundlage agieren", heißt es auf der Homepage des Wirtschaftsministeriums.

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Der BGH in Karlsruhe ist mithin die letzte, wenngleich geringe Hoffnung der Unternehmen, das Schicksal der Schiedsklausel doch noch zu ihren Gunsten zu wenden. "Investitionen ausländischer Unternehmen in fremden Staaten sind erwünscht", sagte Thomas Winter, Anwalt des niederländischen Unternehmens. Sie setzten allerdings Vertrauen in die Geltung des Abkommens voraus. Uniper-Anwalt Gottfried Hammer hielt das Schiedsgericht ohnehin für die bessere Instanz, weil es unabhängig von politischen Streitigkeiten sei - und keinen Staat als Dienstherrn habe, der im Prozess den Heimvorteil hätte.

Bleibt der BGH bei seiner vorläufigen Einschätzung, wird sich die Hoffnung der Unternehmen allerdings zerschlagen. Der Senatsvorsitzende Thomas Koch arbeitete eine regelrechte Checkliste ab, an der sich Wohl und Wehe des Schiedsgerichts entscheidet. Ergebnis: Das Schiedsgericht würde europäisches Recht anwenden, ohne dass es einer Kontrolle durch nationale oder EU-Gerichte unterläge. Nach der EuGH-Rechtsprechung sei das Schiedsverfahren damit unzulässig. Dass Deutschland und die Niederlande mit der Unterschrift unter den Vertrag die Schiedsklausel akzeptiert haben, wäre unbeachtlich.

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