Migration:Was die Bezahlkarte für Geflüchtete bedeutet

Lesezeit: 3 min

Geldtransfers ins Ausland sind mit den Chipkarten nicht mehr möglich. (Foto: Philipp von Ditfurth/dpa)

Statt Bargeld sollen Asylbewerber künftig eine Chipkarte bekommen. Was bringt das? Und warum geht Bayern eigene Wege? Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Von Constanze von Bullion, Roland Muschel, Ulrike Nimz und Johann Osel

Lange galt sie als eher ungeeignetes Instrument, um Migration zu steuern. Wegen steigender Zahlen von Asylbewerbern aber soll nun die Bezahlkarte für Geflüchtete kommen, bundesweit. 14 von 16 Bundesländer haben sich auf gemeinsame Standards für ein Vergabeverfahren geeinigt, das bis zum Sommer abgeschlossen sein soll. Was genau die Chipkarte erlaubt und was nicht, müssen die Länder allerdings noch klären. Die Bundesregierung will dann das Asylbewerberleistungsgesetz entsprechend ändern.

Chipkarte statt Bargeld, was bringt das?

Bund und Länder wollen erreichen, dass Asylbewerberinnen und Asylbewerber weniger Geld in Herkunftsländer überweisen. Statt Bargeld sollen kommunale Behörden künftig Chipkarten ausgeben, mit denen Lebensmittel oder Hygieneartikel gekauft werden können. Zusätzlich kann es auch ein kleines Taschengeld in bar geben, etwa um auf Märkten einkaufen zu können. Geldtransfers ins Ausland sind mit den Chipkarten nicht mehr möglich. In der Bundesregierung hat vor allem die FDP die Einführung der Bezahlkarte gefordert: Hohe Sozialstandards für Asylbewerber seien auch ein Anreiz für illegale Migration, wer sie abbaue, verringere den sogenannten Pull-Effekt, hieß es hier.

Kann die Bezahlkarte die Asylbewerberzahlen senken?

Das ist umstritten. Einige Migrationsforscher bestreiten, dass Bargeld einen wesentlichen "Pull-Effekt" für Asylbewerber hat. Wer den oft lebensgefährlichen Weg nach Europa antrete, entscheide sich eher aus Gründen der Sicherheit für Deutschland - oder weil dort bereits Verwandte lebten. Befürworter der Chipkarte verweisen dagegen darauf, dass Geldtransfers aus Europa in ärmere Länder wie Marokko dort oft einen erheblichen Wirtschaftsfaktor darstellen. Statt solche Überweisungen aus den Leistungen für Asylbewerber zu bestreiten, sollten mehr reguläre Jobs für Einwanderer geschaffen werden, so Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD).

Wo gibt es bereits Bezahlkarten für Geflüchtete?

Als erste Großstadt Deutschlands hat Hannover im Dezember eine Bezahlkarte für Geflüchtete eingeführt. Die "Social Card" unterscheidet sich jedoch wesentlich von den Plänen der Länder. Sie funktioniert wie eine Debitkarte, Berechtigte können frei über die Verwendung ihres Guthabens entscheiden, auch unbegrenzt Bargeld abheben. Nur die Stadt kann Guthaben buchen, kontrolliert aber keine Transaktionen. Die Karte soll den Verwaltungsaufwand bei der Zahlung von Sozialleistungen verringern und Geflüchteten einen "diskriminierungsfreien Zugang zur bargeldlosen Zahlung" ermöglichen, so Hannovers Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne). Man wolle Menschen in Notsituationen Teilhabe ermöglichen und kein Instrument der Restriktion schaffen.

Wie sieht es in anderen Ländern aus?

In Thüringen haben die Landkreise Greiz und Eichsfeld bereits eine Karte eingeführt, im März soll der Wartburgkreis folgen. Bargeld kann damit nicht abgehoben werden. Zum monatlichen Aufladen müssen Berechtigte persönlich im Landratsamt erscheinen, lediglich ein Taschengeld wird bar ausgezahlt. Die Karte funktioniert nur im entsprechenden Landkreis. Der Thüringer Flüchtlingsrat kritisiert das als Gängelung. Von etwa 200 Betroffenen im Kreis Greiz hätten sich seit Einführung der Karte 15 Menschen nicht zurückgemeldet, heißt es aus dem Landratsamt.

Hat die Einführung sofort geklappt?

Nein, nicht überall. Bundesländer wie Bayern haben Überlegungen zur Bezahlkarte zunächst wieder aufgeschoben, die Sache sei zu kompliziert. Baden-Württemberg hatte bereits 2016 die Umstellung von Geld- auf Sachleistungen in den Erstaufnahmestellen für Asylbewerber angestoßen - ohne Erfolg. In ihrem Koalitionsvertrag hatten Grüne und CDU damals explizit die Einführung einer "Sachleistungskarte" vereinbart. Damals habe kein Leistungsanbieter die Anforderungen des Landes erfüllen können, sagt Baden-Württembergs Staatssekretär für Justiz und Migration, Siegfried Lorek (CDU). Inzwischen gebe es aber ein großes Marktinteresse und man sei technisch weiter.

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Warum geht Bayern eigene Wege bei der Chipkarte?

Die bayerische Staatsregierung will keine Zeit verlieren. "Während die gemeinsame Ausschreibung der anderen Bundesländer noch nicht einmal gestartet ist, sind wir bereits mitten im Vergabeverfahren. Bei uns wird es daher schnell gehen", heißt es aus dem Innenministerium. Der Zuschlag für einen Kartenanbieter soll Ende Februar erteilt werden, im März sollen vier Pilot-Kommunen starten. Bis zum Sommer soll die Karte in ganz Bayern kommen. Das Ziel: "etwaige Pull-Faktoren schnellstmöglich senken", so das Innenministerium. Man wolle die Bezahlkarte nicht nur früher einführen, "sondern auch so konsequent wie möglich". Erstmals versprochen hatte Ministerpräsident Markus Söder (CSU) die Einführung einer Bezahlkarte schon im Jahr 2018.

Gibt es keine Abstimmungsprobleme wegen Bayerns Sonderweg?

Die Landesregierung befürchtet das nicht. Bayern habe schließlich bei der Erarbeitung der Mindestanforderungen für die Karte in der Bund-Länder-Arbeitsgruppe intensiv mitgewirkt, "das ist kompatibel". Anpassungen der einzelnen Funktionen seien später immer noch möglich. Es sei davon auszugehen, dass es im Vollzug bundesweit "Unterschiede geben wird, vor allem hinsichtlich der Einschränkungen". Diskutiert wird beispielsweise noch, Überweisungen für Glücksspiel per Chipkarte zu unterbinden.

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