Klimaaktivisten in Berlin:Bastelstunde für die Revolution

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"Wir können uns die Superreichen nicht leisten": Plakat am Balkon eines von Aktivisten gemieteten Zimmers im Hotel Adlon. (Foto: Sean Gallup/Getty Images)

In Berlin haben die Aktionswochen der Klimaschützer von "Extinction Rebellion" und der "Letzten Generation" begonnen. Während die Springerpresse bereits den Umsturz erahnt, schälen die Aktivisten Zwiebeln.

Von Jan Heidtmann, Berlin

Es ist Tag drei im Klimacamp, und es regnet. Das ist vielleicht gut für die ausgedörrte Natur in der Stadt, macht aber die Ansammlung der vielen kleinen und großen Zelte zu einem etwas trostlosen Ort. Seit Dienstagabend campieren rund 300 Aktivisten auf dem Platz zwischen Bundeswirtschafts- und Bundesverkehrsministerium im Stadtteil Mitte. Eine große rosafarbene Rakete ist nahe der Invalidenstraße aufgebaut, darauf steht in Anspielung auf Elon Musks SpaceX: "Plan B - for billionaires only".

Thema der "Frühlings-Rebellion" der Klimaschützer von "Extinction Rebellion" ist das Artensterben und die vermutete Zerstörung der Welt durch multinationale Konzerne. "Wir fordern, dass die Regierung den Biodiversitätsnotstand ausruft und einen gelosten, repräsentativen BürgerInnenrat einberuft", heißt es auf einem Flyer.

Im Innern der Zelte dann herrscht fast Happening-artige Geschäftigkeit. Es wird gebastelt, zwei ältere Damen schälen Zwiebeln und Kartoffeln für das gemeinsame Essen; nach der Meditation am Morgen stehen an diesem Freitagnachmittag außerdem ein Workshop zu Antirassismus und ein Expertengespräch zum Artensterben auf dem Programm. Die fünf Polizisten vor dem Camp haben einen Kreis gebildet und unterhalten sich.

"Der Rechtsstaat wird sich entschlossen entgegenstellen"

Eine Stimmung, so ganz anders, als die Berichte vom Tag zuvor vermuten ließen. Angeführt von der Boulevardpresse, war da die Rede von einem "Anschlag", von "Klima-Chaoten", die das "Adlon stürmen" und von "Rauchbomben", die dort gezündet worden seien. Berlins Innensenatorin Iris Spranger (SPD) berichtete, dass über 60 Aktivisten wegen möglicher Straftaten festgenommen worden seien: "Der Rechtsstaat wird sich entschlossen entgegenstellen."

Tatsächlich hatten Aktivisten von "Extinction Rebellion" und der Gruppe "Letzte Generation" am Donnerstag die Parteizentrale der FDP und mehrere Unternehmenssitze mit Farbe beschmiert, genauer mit "biologisch abbaubarem Fake-Öl". Außerdem hatte "Extinction Rebellion" ein Zimmer im Hotel Adlon gemietet, auf dessen Balkon die Aktivisten dann zwei Rauchfackeln zündeten und ein großflächiges Plakat entrollten: "We can't afford the super rich" - "Wir können uns die Superreichen nicht leisten". Die meisten der festgesetzten Aktivisten waren bereits nach wenigen Stunden wieder frei.

Die teils enorme Diskrepanz zwischen Aktion und Reaktion zeigt, wie sehr sich die Fronten inzwischen verhärtet haben. In einem Video auf der Internetseite der Bild-Zeitung ist ein Mann zu sehen, der einen Aktivisten der "Letzten Generation" von hinten rüde zu Boden stößt. "Autofahrer hat die Klima-Kleber-Faxen dicke" lautet der Titel. Den Soziologen und Protestforscher Dieter Rucht wundern solche Publikationen der Springer-Medien nicht: "Es gibt eine strikte Front gegen alles, was mit Klimaschutz zu tun hat. Da wird eine Abwehrschlacht geführt."

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Rucht meint, es sei "gut und richtig, dass auch mit drastischen Mitteln auf die Klimakatastrophe aufmerksam gemacht wird". Das Problem sei aber, dass die Straßenblockaden oft die Falschen träfen und so erst einmal Widerstand erzeugten. Langfristig können sich das aber durchaus ändern. "Das führt am Ende dazu, dass das Thema Klimaschutz virulent bleibt."

Die kommenden Wochen werden jedenfalls einigen Gesprächsstoff liefern. "Extinction Rebellion", die auf eher kreative Proteste setzen, haben für den Samstag zu einer Demonstration aufgerufen, am Sonntag ist ein Straßenfest in Kreuzberg geplant. Außerdem wird es noch kleinere Störaktionen ähnlich der im Hotel Adlon geben. Die "Letzte Generation" wiederum hat für den kommenden Dienstag zu einer Pressekonferenz eingeladen. Dort soll es um die Proteste in den darauffolgenden Tagen in Berlin gehen, fast 800 Aktivisten hätten sich bereits angemeldet. Das Ziel ist schon mal klar: "Wir bringen die Stadt zum Stillstand, um die Regierung zum Aufbruch zu bewegen."

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