Berlin:"Eingriff in das Grundrecht"

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Grund für den Schritt des Senats: die Gewalt gegen den Studenten Lahav Shapira, der im Februar zusammengeschlagen worden ist. (Foto: Friedrich Bungert)

Bei Fehlverhalten Exmatrikulation? Berlins Hochschulen dürfen künftig wieder das Recht zum Studieren entziehen. Das ist eine Reaktion auf den brutalen Angriff auf einen jüdischen Studenten.

Von Jan Heidtmann, Berlin

Der junge Polizist, der auf dem Platz gegenüber dem Roten Rathaus steht, macht seinen Job gut, das muss man sagen. Den Kopf zur linken Schulter gewandt, spricht er einen ziemlich exakten Lagebericht in sein Mikro. "Etwa 100 Leute sind hier, Stimmung ist ruhig, gerade noch letzte Arbeiten an einem Transparent", erläutert der Beamte. "Hands off Student Rights. Kampagne gegen Zwangsexmatrikulation", sei darauf zu lesen.

Anlass für die Kundgebung an diesem Dienstag ist, dass der Berliner Senat beschlossen hat, das Hochschulgesetz zu ändern. Künftig soll den Universitäten in der Hauptstadt wieder möglich sein, was nur in Berlin nicht möglich ist: Studierende zu exmatrikulieren. Diese Ordnungsmaßnahme war erst 2021 aus dem Gesetz gestrichen worden. Nach der brutalen Attacke auf einen jüdischen Studenten im Februar will der Senat aus CDU und SPD dies nun wieder möglich machen.

Bürgermeister Wegner sagt, man nehme die Hochschulen "mehr in die Verantwortung"

"Wir wollen, dass die Hochschulen sichere und diskriminierungsfreie Orte sind", sagte Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU), bei einer Pressekonferenz am Nachmittag. Mit der Gesetzesänderung gebe der Senat den Hochschulen "mehr Möglichkeiten", gegen Studierende vorzugehen. Zugleich nehme man die Hochschulen selbst "mehr in Verantwortung".

Besonders die Freie Universität Berlin war in den vergangenen Monaten immer wieder dafür kritisiert worden, propalästinensischen und antiisraelischen Kundgebungen zu viel Raum zu lassen. Nachdem am 2. Februar der Lehramtsstudent Lahav Shapira vor einer Bar im Bezirk Mitte von einem Kommilitonen krankenhausreif geschlagen worden war, verlangten Vertreter jüdischer Interessengruppen eine sofortige Exmatrikulation des Täters. Der gewalttätigen Attacke waren offenbar Auseinandersetzungen der jungen Männer an der Universität vorangegangen; die Staatsanwaltschaft geht von einem gezielten Angriff mit antisemitischem Hintergrund aus.

Bei Fehlverhalten soll es ein abgestuftes Vorgehen geben

Die Änderung des Hochschulgesetzes sieht nun ein abgestuftes Vorgehen beim Fehlverhalten von Studierenden vor. Diese beginnen mit einer Rüge oder einem Hausverbot; die Exmatrikulation selbst ist die schärfste Maßnahme. Voraussetzung ist eine strafrechtliche Verurteilung eines Täters. Ausnahmen von dieser Regel gebe es bei Wiederholungstaten, insofern einem Täter bereits mit der Exmatrikulation gedroht worden sei, erklärte Berlins Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra (SPD). Ziel sei der "Schutz der Mitglieder der Hochschulen vor Gewalt", dazu zählten auch sexualisierte Übergriffe. "Es geht nicht darum, politische Haltungen zu sanktionieren."

Die Wissenschaftsexpertin der Fraktion der Grünen im Abgeordnetenhaus kritisiert die geplante Novelle. "Eine Exmatrikulation ist ein tiefer Eingriff in das Grundrecht auf freie Berufswahl", erklärte Laura Neugebauer. Sie dürfe nur Ultima Ratio sein und auch nur, "wenn eine rechtskräftige Verurteilung wegen gewalttätiger Übergriffe vorliegt". Rechtsexperten halten die Neuregelung zudem wegen hoher juristischer Hürden für fragwürdig: "Auch die Wiedereinführung des Ordnungsrechts wird voraussichtlich nicht ausreichen, auf gewalttätige Übergriffe 'schnell und leicht‛ mit einer Zwangsexmatrikulation reagieren zu können", schreibt der Potsdamer Verwaltungsrechtler Klaus Herrmann.

Die protestierenden Studenten vor dem Roten Rathaus haben derweil ihr Transparent aufgestellt. Rund 150 Demonstranten sind es noch geworden, einige von ihnen gehören zu Gruppen, die auch bei den propalästinensischen Protesten an der Freien Universität dabei waren. Für eine Sprecherin der Kampagne "Hands off Student Rights" ist die Intention der Gesetzesänderung klar: "Wir sollen als politische Studenten mundtot gemacht werden."

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