Waffenruhe im Kaukasus:EU und Russland besorgt über Sicherheit der Karabach-Einwohner

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In der armenischen Hauptstadt Eriwan schützen Polizisten Regierungsgebäude vor Demonstrierenden. (Foto: Alexander Patrin/Imago)

Aserbaidschan hat mit Angriffen die Kontrolle über Bergkarabach zurückgewonnen. Jetzt wird verhandelt, wie es für die armenische Bevölkerung dort weitergeht - bleiben oder ausreisen?

Von Frank Nienhuysen

Schweigend sind sie auseinandergegangen, kein Statement gaben sie ab, kein Signal eines Durchbruchs ließen sie erkennen. Vertreter Aserbaidschans und des von Armeniern bewohnten Gebiets von Bergkarabach haben am Donnerstag in der Stadt Jewlach darüber gesprochen, wie es nach der Waffenruhe nun weitergehen könnte mit den 120 000 Einwohnern von Bergkarabach und mit dem Gebiet selber. Dass Jewlach in Aserbaidschan liegt, sagt schon viel darüber aus, wie deutlich die Machtverhältnisse in der Region geworden sind.

Vertreter der armenischen Gemeinschaft von Bergkarabach, der aserbaidschanischen Regierung und ein Vertreter des russischen Friedenskontingents nehmen an den Gesprächen in der aserbaidschanischen Stadt Jewlach teil. (Foto: Roman Ismailov/dpa)

Bei den Verhandlungen ging es um eine "Reintegration" Bergkarabachs nach Aserbaidschan, wie es die Regierung in Baku formuliert hat. Es wird dazu noch weitere Gesprächsrunden geben. "Wir müssen noch viele Fragen und Probleme besprechen", zitierte Reuters einen Berater der Karabach-Führung. Zum Beispiel Sicherheitsgarantien für die ethnischen Armenier, wenn sie, wie von Aserbaidschan gefordert, ihre Waffen abgeben. Etwa 24 Stunden lang, von Dienstag bis Mittwoch, hatte das aserbaidschanische Militär das Gebiet Bergkarabach angegriffen, ehe dessen Führung keine Wahl mehr sah und einer Waffenruhe sowie den Verhandlungen in Jewlach zustimmte. Nach armenischen Angaben sind bei den Angriffen mindestens zweihundert Menschen gestorben. Unabhängig überprüfen ließ sich die Zahl zunächst nicht.

Tausende Menschen am russischen Stützpunkt

Der aserbaidschanische Präsident Ilham Alijew sagte am Mittwochabend in einer Fernsehansprache, dass sein Land "die volle Kontrolle über Bergkarabach zurückbekommen" habe. Schon vor drei Jahren hatte es in einem mehrmonatigen Krieg große Teile des Gebiets erobert, in dem traditionell überwiegend Armenier leben. Völkerrechtlich gehört Bergkarabach zu Aserbaidschan. 1991 hatte sich das Gebiet nach einem von Armenien gewonnenen Krieg für unabhängig erklärt. Armenien hat seitdem das Gebiet unterstützt und versorgt. Zuletzt waren Armenien und Bergkarabach noch über eine einzige verbliebene Straße miteinander verbunden, dem Latschin-Korridor. Seit vergangenem Dezember aber wird er von Aserbaidschanern blockiert, die Bevölkerung leidet seitdem massiv unter fehlenden Lebensmitteln, Hygieneartikeln, Benzin und Medikamenten.

Die Bevölkerung leidet: Zivilisten in einem Bunker von Stepanakert. (Foto: IMAGO/oldhike/IMAGO/ITAR-TASS)

Wie es für die Menschen dort weitergeht, ob sie in ihrer Heimat bleiben, auch unter der Kontrolle des autoritären Aserbaidschan, oder ob sie Bergkarabach Richtung Armenien verlassen wollen, ob sie es überhaupt können, all das ist unklar. Aserbaidschans Staatschef Alijew sagte in seiner Fernsehansprache: "Sie sind unsere Bürger." Doch noch am Mittwoch versammelten sich mehrere Tausend Einwohner am Flughafen von Stepanakert, wo die russischen Friedenstruppen ihren Stützpunkt haben.

Viele Menschen in Bergkarabach sehen in Russland noch immer den einzigen Sicherheitsgaranten, obwohl in Armenien selbst die Enttäuschung über Moskau groß ist. Russland ist nach Ansicht von Eriwan weder energisch gegen die Blockade eingeschritten, noch ist es Armenien in den vergangenen Jahren gegen das militärisch überlegene Aserbaidschan zu Hilfe geeilt. Jahrzehntelang war Russland Armeniens militärische Schutzmacht gewesen. Zuletzt hatte die armenische Regierung jedoch aus Enttäuschung engere Kontakte zum Westen gesucht. Russlands Ex-Präsident Dmitrij Medwedjew warnte deshalb den armenischen Premier Nikol Paschinjan bereits davor, sich "in die Hände der Nato" zu begeben. Die Türkei hat sich ohnehin auf die Seite des befreundeten, turksprachigen Aserbaidschan gestellt.

Schäden in einem Wohngebiet nach einem Militärschlag auf Stepanakert. (Foto: IMAGO/oldhike/IMAGO/ITAR-TASS)

Eine Studentin aus Bergkarabach hält eine Integration nicht für möglich

Die Europäische Union und auch Russland betonten, wie wichtig ihnen die Sicherheit der armenischen Einwohner von Bergkarabach sei. Viele Armenierinnen und Armenier fürchten, dass sie vertrieben werden könnten. EU-Ratspräsident Charles Michel forderte in einem Telefonat mit Aserbaidschans Präsident Alijew, dass die Menschen, die Bergkarabach verlassen wollten, sicher ausreisen können. Noch am Donnerstag, also einen Tag nachdem eine Waffenruhe ausgerufen worden war, berichteten Einwohner der umkämpften Region, dass Aserbaidschan die Waffenruhe mit Schüssen gebrochen habe. Dessen Regierung in Baku wies den Vorwurf als "völlig falsch" zurück. Der UN-Sicherheitsrat wollte noch am späten Donnerstagabend über die Lage in Bergkarabach beraten.

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Die aus Bergkarabach stammende Armenierin Sofi Abrahamian sagt am Telefon, dass die Armenier dort jetzt gespannt auf den Ausgang der Verhandlungsrunden warten, viele aber wohl nach Armenien aufbrechen wollten. "Eine Integration ist nicht möglich", sagt die Studentin: "Wir können keinen Frieden haben mit denen, die unser Blut sehen wollen."

Abrahamian kommt aus Stepanakert, der Hauptstadt von Bergkarabach. Seit Beginn der Blockade lebt sie in der armenischen Hauptstadt Eriwan, getrennt von ihrer Mutter und ihrem Bruder. Sie hat am Mittwoch und Donnerstag an spontanen Demonstrationen vor dem armenischen Parlament und am zentralen Platz der Republik teilgenommen. Sie fordert Premier Paschinjan auf, Verantwortung zu übernehmen für die Menschen aus Bergkarabach. "Seine Haltung ist bisher: Erwartet nichts von mir", sagt sie am Telefon. "Aber er muss ihnen helfen, dass sie sicher nach Armenien kommen können."

Paschinjan hatte am Mittwoch in einer Ansprache erklärt, dass er die Entscheidung der Karabach-Führung akzeptiere, die Waffen niederzulegen und Verhandlungen zu führen. Er sagte auch, dass Armenien praktisch gar nicht an den Diskussionen beteiligt sei und auch keine Streitkräfte in der Region habe. Dass er dann auch noch so sehr die Unabhängigkeit und Souveränität der Republik Armenien betonte, löste bei vielen Demonstrierenden in Eriwan den Argwohn aus, dass er nicht genug um die armenische Bevölkerung von Bergkarabach kämpfe. Einige forderten seinen Rücktritt. Kürzlich hatte Paschinjan angedeutet, er könne Bergkarabach als Teil Aserbaidschans akzeptieren, wenn es im Gegenzug Sicherheitsgarantien für seine Einwohner gebe und einen Sonderstatus. Den aber lehnt Aserbaidschan bisher ab.

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