Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan:Wie geht es weiter mit Bergkarabach?

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Außerhalb der Regionalhauptstadt Stepanakert steigt am Dienstag der Rauch einer Explosion auf. (Foto: Aik Arutunyan/Imago)

Rund 120 000 Menschen leben in dem Gebiet, das Aserbaidschan am Dienstag angegriffen hat. Jetzt herrscht eine Waffenruhe - aber die Aussicht auf Frieden ist mehr als vage. Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Von Frank Nienhuysen

Seit Mittwochmittag gilt in Bergkarabach eine Waffenruhe zwischen Aserbaidschan und der armenischen Führung von Bergkarabach, einen Tag also nach Beginn der aserbaidschanischen Angriffe auf das Gebiet. Demnach sollen armenische Truppen in Karabach entwaffnet und aufgelöst werden. Russische Soldaten sollen die Waffenruhe sicherstellen. In der Nacht zum Mittwoch hatte Aserbaidschan die Artillerieangriffe zunächst fortgesetzt. Armenischen Angaben zufolge wurden innerhalb von 24 Stunden Dutzende Menschen getötet.

Was passiert als Nächstes?

An diesem Donnerstag sollen in der aserbaidschanischen Stadt Yevlax Gespräche über die Zukunft der etwa 120 000 Einwohner von Bergkarabach beginnen. Aserbaidschans Präsident Ilham Alijew sprach von Verhandlungen über "eine Reintegration" auf der Basis aserbaidschanischer Gesetze. Baku wird also aus einer starken Machtposition heraus verhandeln - ein schwerer Schlag für Armenien und dessen Premier Nikol Paschinjan, gegen den es in Eriwan bereits Proteste der Opposition gab. Viele Armenierinnen und Armenier aus der Karabach-Hauptstadt Stepanakert sollen sich auf den Weg zum dortigen Flughafen gemacht haben.

Was hat die neuen Angriffe überhaupt ausgelöst?

Anlass der Bombardierung am Dienstag war nach Angaben Aserbaidschans, dass bei zwei Minenexplosionen vier aserbaidschanische Militärangehörige und zwei Zivilisten getötet worden seien. Baku sprach von Sabotageakten, die eine "Antiterror-Operation" nötig gemacht hätten. Es erklärte zudem, man habe sich schon vorher provoziert gefühlt, etwa durch die "Präsidentenwahlen" im Gebiet von Bergkarabach am 9. September. Gegen einen spontanen Angriff spricht allerdings, dass Armenien schon seit Wochen vor einer militärischen Eskalation gewarnt und auf aserbaidschanische Truppenaufmärsche aufmerksam gemacht hatte.

Was will Aserbaidschan erreichen?

Das Verteidigungsministerium des Landes hat kurzfristig gefordert, dass armenische Streitkräfte in Bergkarabach ihre Waffen niederlegen und aufgeben. Es warf ihnen vor, sie würden die Zivilbevölkerung unter Zwang bewaffnen, um sie in militärische Kämpfe hineinzuziehen. Die armenische Regierung wiederum erklärt, dass es gar keine Streitkräfte in Bergkarabach stationiert habe. Zudem will Baku, dass die Führungsstrukturen von Bergkarabach, die es als illegal ansieht, aufgelöst werden.

Mittel- und langfristig will Aserbaidschan offensichtlich die Kontrolle über das gesamte Gebiet von Bergkarabach gewinnen, das völkerrechtlich auch zu Aserbaidschan gehört. Einen großen Teil hatte es sich bereits im Krieg von 2020 geholt. Aserbaidschan hat zudem großes Interesse an einem durchgehenden Landweg zwischen aserbaidschanischem Kerngebiet und seiner Exklave Nachitschewan. Sollte ihm das gelingen, hätte Aserbaidschan zugleich eine direkte Verbindung zur befreundeten Türkei - und damit einen besseren Zugang zu deren Markt.

Welche Rolle spielt Russland in dem Konflikt?

Russland hat den größten Einfluss in der Südkaukasusregion. In der armenischen Stadt Gjumri hat es auf seinem Militärstützpunkt Nr. 102 Tausende Soldaten stationiert. Russland ist seit Jahrzehnten für Armenien eine Art Sicherheitsgarantie gewesen, auch durch die gemeinsame Mitgliedschaft im Militärbündnis OVKS. In Bergkarabach hatte es seine starke Position noch weiter ausgebaut, als es vor drei Jahren einen Waffenstillstand zwischen Aserbaidschan und Armenien vermittelte. Seitdem sollen 2000 russische Friedenssoldaten überwachen, dass dieser Vertrag auch eingehalten wird.

Inzwischen hat sich die Lage geändert. Russlands Verhältnis zu Aserbaidschan gilt nun als deutlich besser als das zu Armenien. Dessen Premier Nikol Paschinjan wirft Russland seit Längerem vor, Armeniens Hilferufe zu ignorieren. Etwa, als Aserbaidschan im vergangenen Jahr auch armenische Gebiete angriff und Eriwan vergeblich das Verteidigungsbündnis OVKS um Schutz anforderte. In den vergangenen Wochen deutete Paschinjan mehrmals an, dass Armenien aus dem Bündnis austreten könnte. Es sei ein Fehler, dass die Sicherheit seines Landes einzig von Russland abhängig sei, sagte er. Armeniens derzeitiges Militärmanöver mit den USA sowie die EU-Beobachtermission in Armenien lösten wiederum Argwohn in Moskau aus.

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Russlands zuletzt gezeigte Passivität hat Aserbaidschan zweifelsohne ermutigt, in Bergkarabach vorzugehen. Die russischen Streitkräfte haben mit dem Krieg in der Ukraine genug zu tun, weshalb derzeit eher unerfahrene Soldaten in Bergkarabach eingesetzt sein sollen. Zum anderen ist Moskau sehr an einem guten Verhältnis zu Aserbaidschans engstem Verbündeten Türkei gelegen.

Gibt es Aussicht auf einen Friedensvertrag?

So oft wie in den vergangenen Monaten ist über einen Friedensvertrag seit vielen Jahren nicht gesprochen worden. Das liegt auch daran, dass Armeniens Regierungschef Paschinjan signalisiert hat, Bergkarabach als aserbaidschanisches Territorium anzuerkennen. Doch er hat wichtige Bedingungen gestellt: Etwa, dass die armenischen Bewohner Sicherheitsgarantien bräuchten, dass der Schutz ihrer Sprache und Kultur gewährleistet werden müsse. Aserbaidschan scheint aber kaum gewillt zu sein, Bergkarabach einen umfangreichen Autonomiestatus einzuräumen. Ein Hindernis dürfte auch Russland selber sein: Ein Friedensabkommen würde im Prinzip bedeuten, dass russische Friedenssoldaten in der Region langfristig überflüssig wären. Ein schwelender Konflikt dagegen würde ihre dauerhafte Anwesenheit rechtfertigen - und Wladimir Putin immer wieder aufs Neue die Gelegenheit geben, sich als Friedensstifter zu preisen.

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