Kaukasus:Reden über Frieden

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In Baku feiert man den Jahrestag des Waffenstillstands von 2020. (Foto: Aziz Karimov/Reuters)

Armenien und Aserbaidschan streiten sich seit Jahrzehnten um Bergkarabach. Jetzt gibt es Bewegung in dem Konflikt.

Von Frank Nienhuysen

In der Ukraine ist kein Frieden in Sicht, aber für eine andere Kriegsregion gibt es Hoffnung. Nach Jahrzehnten des blutigen Konflikts um Bergkarabach scheint sich die Lage zwischen Armenien und Aserbaidschan so weit zu entspannen, dass sogar ein Friedensvertrag möglich erscheint. So oft wie derzeit ist davon wohl noch nie die Rede gewesen.

(Foto: SZ-Grafik)

"Ich denke, dass es die Möglichkeit eines Friedensabkommens gibt", sagte der aserbaidschanische Präsident Ilham Alijew kürzlich. Das wiederum hat mit der wiederholten Aussage von Armeniens Ministerpräsident Nikol Paschinjan zu tun, er wäre unter Bedingungen bereit, das von Armeniern bewohnte Gebiet Bergkarabach als Teil Aserbaidschans anzuerkennen. Auch US-Außenminister Antony Blinken sagte, ein Friedensabkommen sei "in Sicht, in Reichweite".

Paschinjan und Alijew, seit Jahren erbitterte Gegner, haben sich zuletzt ungewöhnlich oft getroffen: in Washington, bei der Sicherheitskonferenz in München, vor zwei Wochen in Brüssel, am vorigen Donnerstag in Moskau mit Kremlchef Wladimir Putin und an diesem Donnerstag schon wieder, wenn sich die Europäische Politische Gemeinschaft zu einem Gipfeltreffen in der Republik Moldau trifft. Dann werden bei den Gesprächen am Rande auch Bundeskanzler Olaf Scholz und Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron dabei sein. Es geht also auch um den Einfluss, den Russland, Europäer und auch die Türkei und die USA auf den Friedensprozess im Kaukasus haben.

Armenien stand früher unter dem militärischen Schutz Russlands

Völkerrechtlich gehört Bergkarabach zu Aserbaidschan. Anfang der Neunzigerjahre, nach dem Zerfall der Sowjetunion, eroberte jedoch Armenien das Gebiet sowie eine Pufferzone. Vor drei Jahren wendete sich das Blatt. Das militärisch inzwischen hochgerüstete Aserbaidschan holte sich bei Kämpfen einen großen Teil des Gebietes zurück. Armenien blieb keine Wahl, als einem Waffenstillstand zuzustimmen, den eine russische Friedenstruppe überwachen soll. Trotzdem gab es zwischen Armenien und Aserbaidschan immer wieder Kämpfe, Schießereien, Tote. Insgesamt sind in dem Konflikt in den vergangenen Jahrzehnten mehrere Zehntausend Menschen getötet worden.

Dass der armenische Premier Paschinjan nun öffentlich solche wichtigen Zugeständnisse in Aussicht stellte, nämlich Karabach als aserbaidschanisches Gebiet zu akzeptieren, war früher undenkbar gewesen. In Armenien und in Bergkarabach selber wird dies auch massiv kritisiert. Doch seine Position hat sich in den vergangenen Jahren deutlich verschlechtert. Armenien hat im Konflikt mit Aserbaidschan immer unter dem militärischen Schutz Russlands gestanden, etwa über das Militärbündnis "Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit". Aber das hat sich geändert.

Es fühlte sich von Moskau im Stich gelassen, als Aserbaidschan im Herbst 2020 große Teile in Bergkarabach zurückeroberte und auch armenische Gebiete beschossen wurden. Und als angebliche aserbaidschanische Umweltschützer im Dezember die einzige Verbindung zwischen Bergkarabach und Armenien blockierten, machten die russischen Friedenstruppen keine Anstalten, die Sperre aufzuheben. Zuletzt errichtete Aserbaidschan auch noch einen eigenen Kontrollpunkt an dem Nadelöhr, dem Latschin-Korridor.

Die Rechte der Armenier in Bergkarabach sollen gewahrt werden

Aserbaidschan hat also zuletzt sehr selbstbewusst aufgetrumpft, und es kann auf mächtige Unterstützer setzen: auf die Türkei und auf Russland. Moskau ist durch seinen Krieg gegen die Ukraine gebunden und geschwächt, und es braucht wiederum dringend die Türkei als strategischen Partner. Armenien ist dagegen klar geworden: Russland steht nicht mehr einfach auf seiner Seite. Der Druck auf Regierungschef Paschinjan ist also immens, ein Friedensvertrag auch für ihn offensichtlich eine Chance in dem erbitterten Konflikt.

Doch ob er auch "unausweichlich" ist, wie Aserbaidschans Präsident Alijew sagte? Paschinjan stellt Bedingungen. Es geht unter anderem um Rechte und Sicherheit der Armenier in "Arzach", wie Armenien Bergkarabach nennt, um ihren politischen Status, um ihre Sprache, Kultur, um Grenzziehungen, deren Kontrollen und um internationale Garantien.

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Das aber hat wiederum Aserbaidschans Staatschef Alijew deutlich gemacht: dass Bergkarabach "unsere innere Angelegenheit" sei. Die Menschen dort sollten entweder die aserbaidschanische Staatsangehörigkeit akzeptieren oder sich einen anderen Ort zu leben suchen. Ein heikler Streitpunkt ist auch eine mögliche Zugverbindung zwischen Aserbaidschan und Nachitschewan, einer aserbaidschanischen Exklave. Diese Strecke würde über armenisches Gebiet verlaufen, die Frage aber wäre: Wer kontrolliert sie?

Ein Friedensabkommen wäre also ein sehr großes, kompliziertes Paket. Und es ist schon deshalb schwer zu schaffen, weil außer Armenien und Aserbaidschan so viele weitere Staaten Interessen in der Kaukasusregion haben. Auch die Europäer. Die EU hat auf Bitten Armeniens bereits seit Februar eine bescheidene, aber symbolische Beobachtermission in der armenisch-aserbaidschanischen Grenzregion. Dass neben Macron am Donnerstag auch Bundeskanzler Scholz bei den Gesprächen dabei ist, dürfte mit der Wertschätzung zu tun haben, die Deutschland in der Region genießt.

Gerade Armenien setzt nicht mehr allein auf Russland, debattiert wird in Eriwan sogar, ob es womöglich das Sicherheitsbündnis verlassen könnte. Klar ist jedoch auch: Moskau will nicht einfach mit ansehen, wie es Armenien womöglich an den Westen verliert. Auch deshalb dürften alle immerhin darin einig sein: Ein Friedensvertrag müsste so aussehen, als hätten alle etwas gewonnen.

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