Baerbock in Skandinavien:Nordische Kombination

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Annalena Baerbock vor dem finnischen Eisbrecher "Polaris". (Foto: Christophe Gateau/DPA)

Trotz der Diskussionen um den Nato-Beitritt Finnlands und Schwedens: Beim Besuch in Helsinki und Stockholm macht die Außenministerin klar, dass Sicherheit für sie nicht nur Militär bedeutet.

Von Paul-Anton Krüger, Helsinki/Stockholm

Der Weg zum Floorball-Training führt 126 Stufen eine Stahlgittertreppe einen Betonschacht hinunter in den Untergrund von Helsinki. Doch Bundesaußenministerin Annalena Baerbock ist nicht hierher herabgestiegen, um den Mannschaften zuzusehen, wie sie mit Plastikschlägern, ähnlich denen beim Eishockey, einen weißen Kunststoffball auf die roten Tore schießen. Baerbock ist hier, weil das Spiel in einer der größten Zivilschutzanlagen Finnlands ausgetragen wird, mitten unter der Hauptstadt, dem Viertel Merihaka.

Die von Neonröhren beleuchteten Hallen, 90 Meter unter der Erde, sind Bunker, die im Ernstfall 6000 Menschen Schutz bieten vor atomaren, biologischen, chemischen oder radiologischen Angriffen, aber auch vor Naturkatastrophen oder Auswirkungen von Chemieunfällen. Mit schweren blauen Stahltoren lassen sich die Kavernen dicht verriegeln, die über ein Filtersystem für die Luft verfügen sowie über eine eigene Wasserversorgung.

Baerbock in einer Zivilschutzanlage in Helsinki. (Foto: Christophe Gateau/DPA)

Am Boden des Stollens, der hierherführt, zeigen gelbe Markierungen, wo im Ernstfall Toiletten aufgebaut würden. Auch Stockbetten mit drei Etagen aus Metallprofilen stehen dort, bespannt mit tannengrüner Plane. Einige Tage könnten Menschen hier ausharren. Lebensmittel sind nicht eingelagert, aber alle finnischen Haushalte sind angehalten, immer Essen für 72 Stunden vorrätig zu haben.

Sie lobt das "umfassende Verständnis von Sicherheit"

Insgesamt hat Finnland mehr als 50 000 Schutzräume, die meisten in privaten Gebäuden; 4,8 Millionen können darin unterkommen bei einer Bevölkerung von etwa 5,5 Millionen Menschen. Baerbock lobt das beeindruckende Zivilschutzkonzept, das es erlaube, die eigenen Bürgerinnen und Bürger im Alltag zu schützen - immer und überall. Deutschland hat da Nachholbedarf; die Länder forderten vergangenes Jahr schon ein "modernes Schutzraumkonzept" von der Bundesregierung; zuständig ist Innenministerin Nancy Faeser von der SPD.

Lobende Worte findet Baerbock auch für das "umfassende Verständnis von Sicherheit" in den nordischen Ländern - am Dienstag reist sie nach Gesprächen mit dem finnischen Präsidenten Sauli Niinistö und dem Besuch auf einem Eisbrecher, den Finnland als Teil einer Flotte zur Sicherung seiner Versorgung betreibt, noch weiter nach Schweden zu einem Treffen mit ihrem neuen Kollegen Tobias Billström. Sicherheit weiter zu fassen als nur militärisch, dafür tritt die Grünen-Politikerin auch zu Hause ein, wo die Bundesregierung unter Federführung des Auswärtigen Amtes noch an der ersten Nationalen Sicherheitsstrategie des Landes feilt.

Eigentlich hätte Baerbock sie gerne noch vor der Münchner Sicherheitskonferenz, die an diesem Freitag beginnt, durch das Kabinett gebracht, aber auch ein Treffen der beteiligten Ressorts auf Chefebene mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat noch keine abschließende Einigung erbracht. Der Bevölkerungsschutz ist dabei nicht einmal zwischen Kanzleramt und Auswärtigem Amt umstritten; es sind die Bundesländer, die sich gegen größere Kompetenzen des Bundes wehren, wie sie Baerbock als Konsequenz aus der Ahrtal-Flut fordert, aber auch um etwa mit den Folgen möglicher massiver Cyberattacken umgehen zu können.

Zugleich verlangt Baerbock, dass angesichts des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine die Ausgaben für Sicherheit nicht allein für die Ausrüstung der Bundeswehr steigen sollten, sondern eben auch für Krisenvorsorge und Diplomatie. Darüber allerdings gibt es noch Gesprächsbedarf in der Koalition; Kanzler Olaf Scholz würde gerne das Zwei-Prozent-Ziel der Nato festschreiben.

Schwedens Außenminister begrüßt sie in fließendem Deutsch

Baerbock ist aber auch gekommen, um den Wunsch Finnlands und Schwedens nach einem raschen Beitritt zur Nato zu unterstützen. Dazu fehlt noch die Ratifizierung durch Ungarn, vor allem aber die der Türkei. Präsident Recep Tayyip Erdoğan blockiert den Schritt derzeit. "Beim Nato-Gipfel in Madrid im letzten Sommer haben wir gemeinsam die Grundlage für den Beitritt gelegt. Und wir erwarten natürlich von allen Nato-Mitgliedern, dass sie diesen Beschluss ohne weitere Verzögerung umsetzen", sagte sie in der Pressekonferenz mit ihrem finnischen Kollegen Pekka Haavisto. Bis zum nächsten Gipfel der Allianz im Juli in der litauischen Hauptstadt Vilnius sollen die Beitritte nach Baerbocks Ansicht über die Bühne gehen - nach Möglichkeit gleichzeitig, wie sie sagt.

Pekka Haavisto, Außenminister von Finnland, mit Annalena Baerbock. (Foto: Christophe Gateau/DPA)

Eine Entscheidung über die mögliche Beteiligung an der Panzerallianz zur Lieferung von Leopard 2 an die Ukraine hat die Regierung in Helsinki noch nicht getroffen, sagt Haavisto, wie Baerbock ein Grüner. Er deutet aber an, dass neben der Lieferung aus dem eigenen Arsenal von etwa 200 Kampfpanzern aus deutscher Produktion auch Unterstützungsleistungen wie die Lieferung von Munition, Ausbildung und Instandhaltung der Beitrag Finnlands sein könnte.

In Stockholm begrüßt sie der schwedische Außenminister Tobias Billström in fließendem Deutsch und kündigt eine Geberkonferenz für die Erdbebenopfer in der Türkei und Syrien an, die seine Regierung in enger Abstimmung mit Ankara im März in Stockholm ausrichten wolle; Schweden hat derzeit die rotierende EU-Präsidentschaft inne. Ob das Erdoğan zu besänftigen mag, muss sich zeigen.

Baerbock mit dem schwedischen Außenminister Tobias Billström in Stockholm. (Foto: Thomas Koehler/Imago)

Billström dankt jedenfalls Deutschland für die entschiedene Unterstützung des angestrebten Nato-Beitritts. Weder Schweden noch Finnland könnten die Entscheidungen des türkischen Parlaments beeinflussen, sagt er auf eine Frage nach der Aussage von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, die Hauptsache sei nicht, dass die beiden Staaten gleichzeitig beitreten, sondern es komme darauf an, dass die Länder schnellstmöglich beitreten können.

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Baerbock zumindest bescheinigt Schweden, die mit der Türkei auf dem Nato-Gipfel in Madrid vereinbarten Schritte erfüllt zu haben. Der gemeinsame Beitritt beider Staaten liege im Interesse der Nato-Staaten. Die Ostsee sei ein gemeinsamer Lebensraum, in dem sich durch Russlands Angriff auf die Ukraine Herausforderungen stellten. Das habe Schweden bewogen, nach knapp 200 Jahren Bündnisfreiheit seine Neutralität aufzugeben.

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