Grüne in Baden-Württemberg:Wie weit trägt die Methode Kretschmann?

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Kretschmann hört 2026 auf, und die Frage ist, ob dann nur eine Person geht, oder mit ihr auch der Erfolg. (Foto: Stefan Puchner/dpa)

Bei den Kommunalwahlen im Juni wollen die Grünen endlich mehr Rathäuser erobern - mit Pragmatismus. Die Wählerantwort ist ungewiss.

Von Roland Muschel, Stuttgart

Samstags baut Hermino Katzenstein gern seine mobile Fahrradwerkstatt auf dem Marktplatz von Neckargemünd auf, daneben einen Infostand. Hier Montageständer, Inbusschlüssel, Glühbirnen, Bremsbeläge, dort Flyer der Grünen. Denn Katzenstein ist nicht nur Fahrradenthusiast, sondern auch Politiker.

Seit 2009 sitzt er für die Grünen im Gemeinderat von Neckargemünd, seit 2016 auch im Landtag von Baden-Württemberg. Interessierten pumpe er auf dem Marktplatz die Fahrradreifen auf, stelle Bremsen und Lichter ein, erzählt Katzenstein am Telefon. Und dass der kostenlose Service die Barrieren für ein Gespräch über Politik senke.

Der Kandidat will ein offenes Ohr auch für Autofahrer haben

Nun will Katzenstein Bürgermeister von Neckargemünd werden, eine 13 000-Einwohner-Stadt nahe Heidelberg. Bei den Landtagswahlen hat er zweimal das Direktmandat gewonnen, bei den jüngsten Gemeinderatswahlen die zweitmeisten Stimmen vor Ort. Er rechnet sich daher Chancen aus, die Bürgermeisterwahl im Mai für sich zu entscheiden. Aber er muss natürlich kämpfen. Gegen die Mitbewerber, und ein Stück weit gegen Vorbehalte aufgrund seines Parteibuchs.

Heizungsgesetz, Agrardiesel, es gab für grüne Wahlkämpfer schon bessere Zeiten. Katzenstein sagt zwar, er habe mit mehr Gegenwind gerechnet. Trotzdem überlegt er, ob er seine Fahrradwerkstatt auch in der heißen Wahlkampfphase einsetzt. Er will ja als Kandidat wahrgenommen werden, der für alle ein offenes Ohr hat, für Radfahrer, klar, aber eben auch für Autofahrer, für die Mehrheit der Wählerschaft. Mehr Partizipation der Bürgerschaft verspricht er im Falle eines Wahlsiegs - und große Aufgaben mit einem klaren Plan anzugehen. Wie die Sanierung von Straßen.

Es ist der Versuch, die Erfolgsformel des grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann zu kopieren, der seinen Landesverband mit einem ultrapragmatischen Kurs in die politische Mitte gerückt hat. Die Wählerschaft hat das mit steigender Zustimmung honoriert.

Nur hört Kretschmann 2026 auf, und die Frage ist, ob dann nur eine Person geht, oder mit ihr auch der Erfolg. Auch deshalb hat die Parteispitze in Stuttgart das Ziel ausgegeben, nach dem Staatsministerium die Rathäuser zu erobern, den Erfolg auf ein breiteres Fundament zu stellen. Bislang mit sehr bescheidenem Erfolg. 1101 Gemeinden hat Baden-Württemberg, aber gegenwärtig nur acht direkt gewählte Bürgermeister und Oberbürgermeister. Die Rathäuser sind für die Grünen bislang kein Fundament. Eher eine Planskizze.

Das Parteibuch ist bei Bürgermeisterwahlen zweitrangig, sagt der grüne Co-Landeschef

Von einer "stagnierenden Tendenz", spricht Pascal Haggenmüller, Co-Landeschef der Grünen, und davon, dass das nichts mit dem Bundestrend zu tun habe. Das Parteibuch sei bei Bürgermeisterwahlen zweitrangig, für eine erfolgreiche Kandidatur sei vielmehr Verwaltungserfahrung sehr wichtig. "Wir haben einfach noch zu wenige Leute, die das mitbringen."

Optimistischer blickt Haggenmüller auf die landesweiten Kommunalwahlen Anfang Juni. In 450 Kommunen standen 2019 grüne oder grün-nahe Listen auf dem Wahlzettel, landesweit kam die Partei auf 17,2 Prozent der Stimmen, vorn lagen freie Wählervereinigungen und die CDU. Diesmal kommen wohl rund 50 Listen dazu, vor allem in Kleinstädten. Und noch etwas speist Haggenmüllers Optimismus: Die Partei gewinnt nicht nur Kandidatinnen und Kandidaten, sondern auch Mitglieder.

Seitdem die Bürger in vielen Kommunen gegen das Erstarken des Rechtsextremismus demonstrieren, steigt das Interesse am grünen Parteibuch. Seit Jahresbeginn sind in Baden-Württemberger 1300 Menschen in die Partei eingetreten, der Landesverband hat nun 17 750 Mitglieder, ein Allzeithoch.

Mehr Mitglieder bedeuten nicht unbedingt auch mehr Wähler

Elmar Braun gehört zu denen, die das Wachstum skeptisch sehen. Die Grünen hätten einen Zulauf an Mitgliedern, nicht an Wählern, sagt er. Ein feiner Unterschied, und einer, bei dem das eine mit dem anderen zusammenhängt. So sieht es jedenfalls Braun, der eine gewisse Expertise mitbringt, wenn es um Wahlerfolge geht. 1991 gewann er die Bürgermeisterwahlen in Maselheim, als erster Grüner deutschlandweit - ausgerechnet im konservativen Oberschwaben.

Elmar Braun (li.), Bürgermeister von Maselheim, 2017 im Gespräch mit Kretschmann. (Foto: Felix Kästle/DPA)

Bis zu seiner Pensionierung 2023 bestätigte ihn die Bürgerschaft dreimal im Amt. Sowohl Bürgermeister- als auch Kommunalwahlen seien Persönlichkeitswahlen, sagt Braun. Für die grünen Listen benötige man daher Menschen, die man kenne, denen man vertraue. Vereinsvorsitzende, Elternbeiratsvorsitzende, Ärztinnen, Polizisten. Für diese Gruppen sei die Partei derzeit eher nicht attraktiv.

"Grün ist im Moment nicht sexy, das war vor fünf Jahren anders." Das sei nicht gerecht, aber habe sich die Partei auf Bundesebene ein Stück weit selbst eingebrockt. Die neuen Mitglieder seien eher jung, links, programmfixiert, geprägt von den Klimaaktivisten der "Letzten Generation" und von "Fridays for Future", nicht vom mittigen Kretschmann-Stil. Die baden-württembergischen Grünen würden daher bei den Kommunalwahlen eher verlieren, als dazugewinnen, glaubt Braun.

Auch wenn die Parteispitze diese Analyse nicht teilt, blicken die Grünen mit gewisser Sorge auf den Juni. Denn die Kommunalwahlen finden in Baden-Württemberg zeitgleich mit den Europawahlen statt. Ein Urnengang, bei dem Parteien in der Vergangenheit schon öfter für ihre Bundespolitik abgestraft wurden, obwohl es um Europa gehen sollte.

Die Klärung der Nachfolge von Ministerpräsident Kretschmann wird daher wohl noch auf sich warten lassen. Dabei geht es inzwischen weniger um die Frage, ob sich Cem Özdemir zu einem Wechsel nach Stuttgart bereit erklären wird, sondern eher: wann. Eine solche Ankündigung soll ja Aufbruch vermitteln. Dafür wäre es aus Sicht grüner Strategen vor dem Juni definitiv zu früh.

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