Gemeinnützigkeit:Politischer Streit ist nützlich

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Der Bundesfinanzhof in München. (Foto: dpa)

Der Bundesfinanzhof sagt: Attac versuche, die politische Meinung zu beeinflussen - daher sei er nicht gemeinnützig. Das Urteil lässt befürchten, dass nun kritische Vereine finanziell ausgehungert werden.

Kolumne von Heribert Prantl

Rosenmontag und Faschingsdienstag sind in Sicht. Die Ismaninger Straße 109 in München-Bogenhausen gehört eigentlich nicht zu den Adressen, auf die sich aus diesem Anlass die Blicke richten. Unter dieser Anschrift findet man nämlich nicht eine der närrischen Hochburgen, sondern ein denkmalgeschütztes Palais in einem gepflegten Park, in dem eine höchst respektable Einrichtung residiert: das oberste deutsche Gericht für Steuersachen, der Bundesfinanzhof. Das ist üblicherweise kein Ort für Gaudi, Frohsinn und Scherze. Es geht dort um Geld, um viel Geld, um Steuergeld; und das ist selten zum Lachen. Dieser Bundesfinanzhof hat freilich in dieser Woche eine Entscheidung publiziert, bei der man nicht weiß, ob man darüber lachen oder weinen soll. Die Richter haben dem globalisierungskritischen Verein Attac die Gemeinnützigkeit abgesprochen.

Egal wie man zu den Aktionen von Attac steht; man muss den Verein, dem auch der 2017 verstorbene CDU-Politiker Heiner Geißler angehörte, nicht unbedingt mögen, um das Unwerturteil des Gerichts und dessen Begründung als höchst sonderbar zu kritisieren. Das Urteil besagt letztendlich, dass aus Sicht des Steuerrechts das pointierte Agieren in der Zivilgesellschaft, also das Werben für politische Projekte und Positionen eine irgendwie suspekte, jedenfalls nicht förderungswürdige Sache sei. Attac darf jetzt keine Spendenquittungen mehr ausstellen.

Das Urteil muss Sorgen machen; es hat toxische Wirkung. Es ist zu fürchten, dass nun kritische Vereine und Verbände finanziell ausgehungert werden. Schon gibt es aus der CDU/CSU Forderungen nach einer Ausdehnung des Urteils zum Beispiel auf die Deutsche Umwelthilfe. Der CDU-Parteitag in Hamburg im Dezember hatte deren steuerliche Überprüfung gefordert. Die Parteipolitik versucht, auf die Finanzämter durchzugreifen.

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Von Jana Anzlinger

Der entscheidende Satz des Anti-Attac-Urteils des Bundesfinanzhofs lautet: "Wer politische Zwecke durch Einflussnahme auf politische Willensbildung und Gestaltung der öffentlichen Meinung verfolgt, erfüllt keinen gemeinnützigen Zweck." Man muss den strohtrockenen Satz zwei-, dreimal lesen, dann beginnt er gefährlich zu knistern. In diesem Satz steckt nämlich eine vordemokratische Botschaft: Politisches Engagement, wie es der Bundespräsident landauf, landab von den Bürgerinnen und Bürgern verlangt, ist angeblich steuerlich nichts wert; es ist angeblich weniger relevant für Gemeinnutz und Gemeinwohl als das Werkeln in einem Verein für Modellflug, Amateurfunk, Kleingärtnerei oder Hundesport. Das alles ist in Paragraf 52 der Abgabenordnung als gemeinnützig und förderungswürdig aufgelistet; die Bundesfinanzrichter halten sich streng und eng an diese Auflistung; das ist eine "Idiotie". Im antiken Griechenland nannte man so den Rückzug ins Private.

Die Richter hatten auch keine Lust, Begriffe wie "Volksbildung", die gemäß Abgabenordnung steuerlich förderungswürdig ist, aufklärerisch auszulegen. Die Volksbildung soll, so meinen die Finanzrichter, wenn sie schon politisch ist, möglichst allgemein und unkonkret sein; gemeinnützig ist ihrer Ansicht nach nur so eine Art Sozialkundeunterricht. Wenn das Engagement aber konkret wird - im Fall von Attac für eine Transaktionsteuer, gegen die Spekulation mit Lebensmittel, für die Regulierung der Finanzmärkte, gegen Stuttgart 21, für feministische Ökonomie, gegen Atomwirtschaft - dann wird das Engagement angeblich heikel; dann zerrinnt die Förderungswürdigkeit.

Was tun? Attac kann derzeit nicht einmal Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe einlegen; der Bundesfinanzhof hat sich nämlich geweigert, die Sache selbst endgültig zu entscheiden und sie mit seinen strengen Vorgaben an das hessische Finanzgericht zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen. Das hatte in der Vorinstanz die Gemeinnützigkeit von Attac anerkannt. Nun muss Attac erst die neuen Urteile des Finanzgerichts und des Bundesfinanzhofs abwarten; erst dann ist der Rechtsweg erschöpft, erst dann kann Karlsruhe angerufen werden. Und bis dahin? Unstrittig förderungswürdig ist nach den geltenden Regeln das "Brauchtum einschließlich des Karnevals, der Fastnacht und des Faschings". Der Rosenmontags-Rat an Attac lautet also: Narrenkappe aufsetzen, Flugblätter mit "Alaaf" und "Helau" beenden und bei Demonstrationen Konfetti und Kamelle werfen.

Fehlende geistige Offenheit hat der Bundesfinanzhof Attac vorgeworfen. Das ist eine Hohl-, Leer- und Vernichtungsformel. Den Vorwurf kann man jeder Ansicht machen, die einem nicht passt. Fehlt die geistige Offenheit, wenn man den "ausbeuterischen und spekulativen Absichten" auf den Finanzmärkten per Transaktionsteuer den Riegel vorschieben will? Das Zitat stammt nicht von Attac, sondern von Papst Franziskus.

Das Steuerrecht darf kein Mittel sein, um unliebsamen Organisationen den Garaus zu machen. Förderungswürdig sind also auch Vereine, deren Ziele man gar nicht teilt - die einen halten die Globalisierungskritiker, die gegen den Finanzkapitalismus streiten, für Chaoten; die anderen halten die sogenannten Lebensschützer, die gegen Abtreibung kämpfen, für Spinner. Aber: Auch die Ansichten, die eine Mehrheit für verquer hält, gehören zum demokratischen Diskurs und sind daher nützlich. Eines freilich geht nicht: Grundrechtsfeindlichkeit und Gemeinnutz - das geht nicht zusammen. Wer also Rassismus propagiert, wer gegen Minderheiten hetzt, der soll das nicht auch noch mit steuerlicher Förderung tun.

Demokratie ist das ständige Nachdenken, Mitreden und Streiten darüber, wie Zukunft am besten geht. Dieses Nachdenken und Mitreden sollte auch dem Steuerrecht etwas wert sein; die Abgabenordnung und der Bundesfinanzhof gehören ja auch zur Demokratie.

© SZ vom 02.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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