Existenzminimum für Asylbewerber:330 Euro sind zu wenig

Germany Distributes Arriving Migrants Nationwide

Ein Migrant aus Syrien isst in einem Asylbewerberheim in Berlin-Wilmersdorf zu Mittag.

(Foto: Sean Gallup/Getty)

Darf der Staat Geflüchteten die Bezüge kürzen, weil sie in Sammelunterkünften angeblich "aus einem Topf" wirtschaften? Das Düsseldorfer Sozialgericht sagt Nein - und ruft das Bundesverfassungsgericht an.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Die Leistungskürzungen für Asylsuchende, die in Sammelunterkünften leben, sind aus Sicht des Sozialgerichts Düsseldorf verfassungswidrig. Im Fall eines Geflüchteten aus Sri Lanka, der seit 2014 in einer Unterkunft in der Nähe von Düsseldorf lebt, hat das Gericht das Bundesverfassungsgericht angerufen. Begründung: Der gekürzte Betrag von 330 Euro im Monat liege unter dem Existenzminimum und verstoße daher gegen die Garantie der Menschenwürde.

Das Gericht stützt sich dabei vor allem auf das Karlsruher Urteil von 2012. Danach dürfen Leistungen zwar unterschiedlich ausfallen, wenn der Bedarf einer bestimmten Gruppe typischerweise niedriger ist. "Migrationspolitische Erwägungen" - also ein Absenken der Leistungen unter das Existenzminimum, um keine Fluchtanreize zu schaffen - verbieten sich aber laut Verfassungsgericht von vornherein.

Seit 2019 werden alleinstehenden Asylsuchenden die Leistungen, die ohnehin bereits unter dem Hartz-IV-Regelsatz liegen, um weitere zehn Prozent gekürzt. Begründet hat der Gesetzgeber dies mit der These, die Bewohner von Sammelunterkünften hätten geringere Ausgaben, weil sie - ähnlich wie ein Ehepaar - "aus einem Topf" wirtschafteten. Sie könnten beispielsweise durch gemeinsames Einkaufen und Kochen Ausgaben sparen.

Diesen Ansatz hält das Sozialgericht weder für belegbar noch für plausibel. Grundsätzlich seien Kürzungen zwar nicht zu beanstanden, wenn wirklich "aus einem Topf" gewirtschaftet werde, etwa innerhalb einer Familie. Anders als bei Paarhaushalten, für die verschiedene Studien einen Einspareffekt von etwa zehn Prozent belegten, gebe es für Sammelunterkünfte aber keine Erhebungen. Und bei der Nahrung lässt sich aus Sicht des Gerichts wenig sparen, bei der Telekommunikation hätten Asylbewerber sogar eher höhere Kosten. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte, die die Klage unterstützt hat, zitiert den Kläger mit der Aussage: "Von den 330 Euro, die ich monatlich vom Sozialamt bekomme, muss ich alles bezahlen: Essen, Kleidung, Fahrkarten, den Anwalt im Asylverfahren. Das reicht einfach nicht."

Vier Menschen essen vier Portionen Reis

Vor allem aber hält das Sozialgericht die Vorstellung vom "Familienleben" in der Asylbewerberunterkunft für verfehlt. Denn die Menschen hätten sich nicht freiwillig für die Unterkunft entschieden und sich ihre Mitbewohner daher nicht ausgesucht. Es sei äußerst unwahrscheinlich, dass die in behördlich zugewiesenen Unterkünften lebenden Menschen "ein Näheverhältnis entwickeln, das ein gemeinsames Wirtschaften aus einem Topf ermöglicht", heißt es in dem Beschluss. Bereits die hohe Fluktuation und die unterschiedliche Bleibeperspektive sprächen dagegen - vor allem aber die Herkunft aus verschiedenen Regionen und Kulturen, "woraus sich Verständigungsschwierigkeiten und zum Teil sogar Konflikte ergeben können", etwa wegen religiöser Unterschiede oder auch Ernährungsgewohnheiten.

"Mit meinen Mitbewohnern kann ich nicht gemeinsam kochen. Wir haben ganz andere Essgewohnheiten", wird der Kläger zitiert. Und selbst wenn: "Wenn ich für vier Menschen Reis koche, brauche ich auch vier Mal so viel Reis."

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