Geld für Asylsuchende:Auf Kollisionskurs mit dem Grundgesetz

Lesezeit: 2 min

Leistungskürzung zur Abschreckung? Schon jetzt ist das Leben für Geflüchtete wie in dieser Containersiedlung in Berlin eines in der Warteschleife. (Foto: Lena Lachnit/dpa)

Drei Jahre statt eineinhalb: Asylsuchende sollen künftig länger warten, bis sie volle Sozialleistungen bekommen. Laut einem Gutachten des Bundestags könnte das verfassungswidrig sein.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

In dieser Woche will die Regierungskoalition ihr "Gesetz zur Verbesserung der Rückführung" vom Bundestag beschließen lassen, ein Paket verschärfter Abschieberegelungen. Darin befindet sich auch eine Änderung, bei der es ums Geld geht. Die Wartefrist bis zum Empfang der vollen Sozialleistungen soll von 18 auf 36 Monate verdoppelt werden. Asylsuchende werden damit künftig für drei Jahre abgesenkte Leistungen erhalten. Bei Alleinstehenden sind dies 460 Euro, gegenüber 563 Euro, die analog zum Bürgergeld gezahlt werden müssten. Weniger Geld bedeutet weniger Flüchtlinge, so dürfte die regierungsinterne Rechnung lauten.

Ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags macht nun deutlich, dass die Ampel sich damit auf Kollisionskurs mit dem Grundgesetz befindet. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits 2012 klargestellt, dass auch Asylsuchende einen Anspruch auf ein menschenwürdiges Existenzminimum haben. Für die Bundestagsabgeordnete Clara Bünger (Linke), die das Gutachten beantragt hat, ist damit klar: "Die geplante Verschärfung des Asylbewerberleistungsgesetzes ist mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unvereinbar."

Die wahren Gründe werden verschleiert

Wie lange die Wartefrist für Asylbewerber ist, bis sie auf das Niveau der normalen Sozialleistungen angehoben werden, unterlag schon immer großen Schwankungen. 1993 lag sie bei 12 Monaten, 1997 wurde sie auf 36 und 2007 auf 48 Monate verlängert. Nach dem Karlsruher Urteil sank sie auf 15 Monate, um dann auf die zuletzt geltenden 18 Monate angehoben zu werden.

Dass die Menschen fortan 36 Monate, also ganze drei Jahre ausharren müssen, bevor sie auf das Niveau des Bürgergelds angehoben werden, soll offenkundig den Fluchtanreiz und damit die Zahl der Asylbewerber senken. Offen ausgesprochen wurde dies beim Treffen des Bundeskanzlers mit den Ministerpräsidenten der Länder am 6. November: "Der Bundeskanzler und die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder sind der Auffassung, dass die Anreize für eine Sekundärmigration innerhalb Europas nach Deutschland gesenkt werden müssen."

In der Gesetzesbegründung wird diese Motivlage geflissentlich verschwiegen. Dort wird erläutert, dass die 36-Monatsfrist mit der Dauer von Asylverfahren korreliert, jedenfalls wenn man Klage und Abschiebung hinzurechnet. "Vor diesem Hintergrund ist es gerechtfertigt, in den ersten 36 Monaten aufgrund des nicht verfestigten Aufenthaltsrechts und dem damit verbundenen fehlenden sozialen Integrationsbedarf gegenüber dem Recht der Sozialhilfe abgesenkte Leistungen zu gewähren", heißt es dort.

Die Menschenwürde sei "migrationspolitisch" nicht zu relativieren, sagt Karlsruhe

Der tiefere Grund für die umständliche Rechtfertigung dürfte in Karlsruhe zu finden sein. Eine Leistungskürzung allein aus Abschreckungsgründen wäre ein klarer Verstoß gegen das Urteil von 2012. Die einzig maßgebliche Größe ist laut Bundesverfassungsgericht das menschenwürdige Existenzminimum. "Migrationspolitische Erwägungen", heißt es dort, "können von vornherein kein Absenken des Leistungsstandards unter das physische und soziokulturelle Existenzminimum rechtfertigen." Die Menschenwürde sei "migrationspolitisch" nicht zu relativieren.

Alle Nachrichten im Überblick
:SZ am Morgen & Abend Newsletter

Alles, was Sie heute wissen müssen: Die wichtigsten Nachrichten des Tages, zusammengefasst und eingeordnet von der SZ-Redaktion. Hier kostenlos anmelden.

Akzeptiert hat das Gericht damals allerdings, dass der Bedarf für einen "nur kurzfristigen, nicht auf Dauer angelegten Aufenthalt" geringer ausfallen kann. Dass man also für einen überschaubaren Zeitraum auch mit weniger Geld auskommen kann, ohne unter das Existenzminimum zu rutschen. Doch müsste eine solche Rechtfertigung mit Fakten unterfüttert werden: Stimmt es wirklich, dass der Kurzzeitgast mit weniger Geld auskommt? Woran macht man das fest?

Hinzu kommt: Die damals geltenden 48 Monate waren dem Urteil zufolge kein "Kurzaufenthalt" mehr. Dass 36 Monate nach der höchstrichterlichen Zeitrechnung gleichwohl als kurz durchgehen könnten, ist damit nicht sonderlich wahrscheinlich, zumal die Dauer von Asylverfahren zuletzt wieder gesunken ist. Aus Sicht von Clara Bünger hätte eine Verfassungsklage damit gute Chancen: "Am menschenwürdigen Existenzminimum willkürlich und zu Abschreckungszwecken herumzuschrauben, ist ein direkter Angriff auf die Menschenwürde und ein klarer Verstoß gegen Artikel 1 des Grundgesetzes."

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusParteiverbotsverfahren
:Kann die AfD verboten werden?

Ein sperriges Instrument mit äußerst strengen Kriterien, aber auch ein scharfes Schwert zur Verteidigung der Demokratie: Was dafür und was dagegen spricht, ein Verbotsverfahren gegen die AfD anzustrengen - auch aus aktuellem Anlass.

Von Wolfgang Janisch

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: