Migration:Gabriel und Spahn verschärfen die Asyldebatte

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CDU-Politiker Jens Spahn fordert, Flüchtlinge an den Außengrenzen abzuweisen. (Foto: Kay Nietfeld/DPA)

Der ehemalige SPD-Chef und das CDU-Präsidiumsmitglied fordern nun sogar den Abschied von völkerrechtlichen Verpflichtungen. Aus der Ampelkoalition kommt Widerspruch.

Von Jan Bielicki, München

Vorschläge prominenter Politiker und Ex-Politiker, das individuelle Recht auf Asyl abzuschaffen, haben die Debatte um den Umgang mit Flüchtlingen in Deutschland weiter angeheizt. Sowohl der frühere SPD-Chef Sigmar Gabriel als auch das CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn forderten radikale Maßnahmen, um die in diesem Jahr deutlich gestiegene Zahl von Schutzsuchenden aus außereuropäischen Ländern deutlich zu begrenzen, ernteten dafür aber auch Widerspruch.

Gabriel verlangte "eine grundlegende Neuausrichtung" der Flüchtlings- und Asylpolitik - und ging dabei bis zu einer Empfehlung, sich von bisherigen Verpflichtungen des Grundgesetzes und des Völkerrechts zu verabschieden: "Der Versuch, mit einem Individualrecht auf Asyl und der Genfer Flüchtlingskonvention auf das moderne Phänomen von Massenflucht zu reagieren, wird uns nicht zum Erfolg führen", sagte der ehemalige Vizekanzler Gabriel dem Redaktionsnetzwerk Deutschland: "Unsere Regeln aus dem 20. Jahrhundert passen nicht zu den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts." Gabriel riet seiner Partei, sich stattdessen den restriktiven Kurs der dänischen Sozialdemokraten in der Migrationspolitik zum Vorbild zu nehmen.

Wie realistisch ist Gabriels Vorschlag?

Die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 ist das grundlegende Dokument des völkerrechtlichen Flüchtlingsschutzes. Sie verbietet es, einen Flüchtling in Gebiete "auszuweisen oder zurückzuweisen, in denen sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht sein würde".

Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil, Sozialdemokrat wie Gabriel, lehnte dessen Vorstoß als wenig hilfreich ab. Mehr als drei Viertel der Menschen, die nach Deutschland kämen, genössen ein Schutzrecht und könnten gar nicht abgeschoben werden, sagte er der Nordwest-Zeitung. "Bei den anderen gibt es viele Menschen, deren Identität wir nicht klären können oder die von den Herkunftsstaaten nicht zurückgenommen werden", erklärte er. Tatsächlich erkannte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) fast 73 Prozent der Schutzgesuche an, über die es 2022 inhaltlich entschied.

Ähnlich wie Gabriel argumentierte auch der Bundestagsabgeordnete Spahn. "Deutschland braucht eine Pause von dieser völlig ungesteuerten Asyl-Migration", sagte Jens Spahn der Bild am Sonntag. Auch der Christdemokrat forderte, Flüchtlinge an den Grenzen abzuweisen: "Daher braucht es ein klares Signal an der EU-Außengrenze: Auf diesem Weg geht es für niemanden weiter."

SPD-Politiker widersprechen Gabriel

Der frühere Gesundheitsminister folgt damit den Thesen seines Parteifreundes Thorsten Frei. Der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion hatte bereits vor einem Monat angeregt, den individuellen Anspruch von Flüchtlingen auf Schutz durch die bloße Zusage zu ersetzen, eine bestimmte Zahl von schutzbedürftigen Menschen direkt aus den Nachbarstaaten von Kriegsgebieten aufzunehmen.

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Politiker der Ampelkoalition lehnen diese Forderungen ab. Die grüne Innenpolitikerin Lamya Kaddor sagte der Zeitung Welt, es könne "keine Lösung sein, Menschenrechte auszusetzen, um Migration zu begrenzen". Der SPD-Innenpolitiker Sebastian Hartmann warnte, nationale Abschottung und ungeregelte Verhältnisse an den EU-Außengrenzen seien keine Alternative.

In den ersten sieben Monaten dieses Jahres haben laut Bamf bisher etwa 175 000 Menschen einen Erstantrag auf Asyl gestellt. Im gesamten Jahr 2022 waren es 212 000.

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